Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. Januar 2024, Teil 8
Anny Jung
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mit ‚4 Minuten‘ fing es an. Dem Film, der Hannah Herzsprung berühmt gemacht hat. Der Film, in dem sie eine Gefangene spielt. Eine sehr zornige, sehr junge Frau, die einsitzt aus Liebe. Für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hat. Und die eine Ausnahmebegabung ist. Ein ehemaliges Wunderkind. Gefangen auch in ihrem inneren Gefängnis. Dann übt sie mit der Musiklehrerin im Knast für eine Aufführung (eben für die titelgebende 4 Minuten) und findet darüber wieder mehr zu sich. 2007 war das.
Seitdem sind 15 Jahre vergangen. Und Hannah Herzsprungs Jenny ist mittlerweile in der Resozialisierung. Arbeitet als Reinigungskraft bei einer kirchlichen Organisation. Und sie ist immer noch wütend. Sehr wütend. Über sich, über ihr Leben, über ihre Umwelt, und vor allem über den Mann, der ihr das alles angetan hat. Ihr früherer Freund, der einen Mord begangen, und sie dafür ins Gefängnis gebracht hat. Sie ist durchdrungen von Rachegefühlen. Wir sehen sie gleich zu Beginn im Stuhlkreis mit anderen ehemaligen Straftätern, die resozialisiert werden sollen, und wir wissen sofort, dass diese Frau ein Vulkan ist, und kein Maulwurfhügel, den man mit Therapie von oben etwas plätten kann.
Hannah Herzsprung ist eine Wucht. Was soll man mehr bewundern? Ihren Mut, ihre Schonungslosigkeit, ihre Uneitelkeit, ihre Hingabe an die Musik und das Klavierspiel (das sie absolut glaubwürdig vermittelt). Ihre Verletzlichkeit und ihre Aggression liegen blank. Ungeschützt. Wie bei einem starken, aber geprügelten Tier. In einer Szene lässt sie bei Reinigungsarbeiten am Flughafen einen Löwen frei. Ob mit Absicht oder aus Versehen bleibt unklar. Anscheinend ist ihr auch nicht klar, welche Gefahr der Löwe (das wilde Tier in ihr….) für sie selbst bedeutet. Als ein Polizist den Löwen erschießt, attackiert sie ihn. Mit dieser Aktion ‚schafft‘ sie es bis in die Abendnachrichten. Aber Öffentlichkeit und ‚Berühmtheit‘ sind keine erstrebenswerten Kategorien für Jenny. Allerdings erkennt sie, dass ihre künstlerische Virtuosität es ihr ermöglicht, in die Nähe ihres ehemaligen Freundes zu kommen. Der ist nämlich mittlerweile berühmter Moderator einer bekannten Musikshow a la ‚the voice of germany‘.
Allein die Perfektion, wie diese Show im Film die Muster und den falschen Schein dieses Genres auf den Punkt bringt, und gleichzeitig noch überdreht, ist umwerfend. So perfekt und gut gemacht, dass ich mich noch während des Films gefragt habe, warum es diese Show so noch nicht im Fernsehen gibt.
Albrecht Schuch als blond gefärbter goodlooking guy zeigt einmal mehr, WIE wandelbar er ist. In dieser Rolle empfiehlt er sich als germanys next Ryan Gosling.
Jennys musikalischer Partner für den Auftritt in der Show heisst Oman Annan. Diese Figur ist an das reale Vorbild eines für Kinder mitten im syrischen Krieg Klavier spielenden Künstlers angelehnt. Hassan Akouch verkörpert in dieser Rolle den einzigen ungebrochenen, sympathischen Menschen in diesem düsteren Szenraio.
Ausgerechnet er, den die Taliban verstümmelt haben, ist die einzige integre, warmherzige Person. Und natürlich verliebt er sich in Jenny, diese erwachsen gewordene Form einer ‚Systemsprengerin‘. Dass diese Gemengelage hochexplosiv und dramatisch, und nicht Happy End fähig ist, spürt man in jeder Minute.
Der Film ist eine Wucht, man merkt ihm an, dass er eine lange Zeit der Reife hatte. Eben ganze 15 Jahre. Vielleicht hat aber auch diese lange Zeit dazu eingeladen, immer noch eine Schippe drauf zu legen, und damit einfach zuviel zu wollen. Neben dem Drama von Schmerzensfrau und Racheengel noch Medienkritik, Kriegstraumata und Flüchtlingsschicksal. Aber in 15 Jahren ist eben auch sehr viel passiert.
Foto:
©Verleih
Info:
15 Jahre - Film von Chris Kraus
Ab 11.1. 2024 im Kino
Genre: Drama
Länge: 144 Minuten
Stab
Buch und Regie: Chris Kraus
Besetzung
Jenny von Loeben. Hannah Herzsprung.
Omar Annan. Hassan Akkouch
Gimmiemore Albrecht Schuch
Harry Mangold Christian Friedel
Frau Markowski Adela Neuhauser.
Wolke. Stefanie Reinsperger.