swr.de xSOPHIA, DER TOD & ICH. Auf DVD und Blu-ray seit dem 12. Januar , Teil 1 

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Der Tod war derjenige, der als erster Darsteller an die Seite von Charly Hübner trat. Man konnte auch sagen: der Teufel. Denn Marc Hosemann kam zu seinem Vorsprechtermin im Mephisto-Outfit – frisch von einer „Faust“-Vorstellung an der Berliner Volksbühne, wo er den stets verneinenden Geist spielte. Für die Rolle von Ex-Freundin Sophia setzte sich die vielfach preisgekrönte Anna Maria Mühe durch. Mit am längsten dauerte die Suche für die Besetzung der Hauptfigur Reiner, bis man sie schließlich in Dimitrij Schaad fand. Seine Beteiligung hatte für Charly Hübner einen besonderen Aspekt: „Er hat zusätzlich zu der Thees Uhlmann-Atmosphäre noch etwas Eigenes mit hineingebracht, was nicht „nord- deutsch, punk, moin-moin“ war. Und diese Erweiterung war wichtig, damit wir eben nicht in unserer kreativen Blase blieben.“
 
Reiners Mutter wiederum wurde mit der vielseitig erfahrenen Johanna Gastdorf („KDD – Kriminaldauerdienst“) besetzt. Die Rollen des G. und von Erzengel Michaela wurden mit den Theaterstars Lina Beckmann und Josef Ostendorf besetzt – „Denn das sind allegorische Figuren, für die ich eine andere Tonalität brauchte,“ so Hübner. Zum Cast stießen außerdem noch Carlo Ljubek und Rocko Schamoni und nicht zu vergessen Charly Hübner selbst.

In enger Absprache stellte die Produktion Charly Hübner erfahrene Head of Departments an seiner Seite. Mit Kameramann Martin Farkas konnte er bereits seine Dokumentation WILDES HERZ realisieren, der auch schon bei verschiedenen „Polizeiruf 110“-Folgen gearbeitet hat. Szenenbildnerin Dore Bahlburg war ihm wiederum aus gemeinsamen Theaterarbeit vertraut. Kostümbildnerin Ulé Barcelos hatte sich unter anderem mit Kinofilmen wie SYSTEMSPRENGER und NIEMAND IST BEI DEN KÄLBERN einen Namen gemacht. Den Schnitt übernahm Eva Schnare (LINDENBERG! MACH DEIN DING), die Charley seit seinen Anfängen vor der Kamera kennt. Für die Songs und den Score konnte er das gefeierte Schweizer Folk-Popmusik- Duo Steiner & Madlaina und Jörg Gollasch, der ihm aus der Theaterarbeit bekannt ist, gewinnen. Und Thees Uhlmann steuerte den Abschluss-Song bei.

„Gerade weil ich viele der Beteiligten schon kannte, ist da nie Angst hochgekommen,“ erinnert sich Charly Hübner. „Mein Prinzip war es, sie einfach machen zu lassen. Bei allen großen Regisseurinnen und Regisseuren habe ich beobachtet, dass sie ihren Mitstreitern unglaublich Ver- trauen schenken.“


EINE KRUDE ANGELEGENHEIT - EIN REGISSEUR UND SEINE VISION

Doch dafür musste Charly Hübner all diese Mitstreiter auf eine gemeinsame Vision einschwören. Die war viel komplexer als bei manch anderen Regiedebüts, die sich in einem überschaubaren visuellen Rahmen bewegen. Denn er wollte nicht einfach einen Film mit ‚sprechen- den Köpfen‘ machen:„Das ist Kino. Und ich wollte alles aus der Geschichte herausholen, was dem Kino entspricht.“
Was genau entsprach aus seiner Sicht dem Kino? Seine filmischen Assoziationen reichten – abgesehen von Aki Kaurismäki - von Ingmar Bergmans DAS SIEBTE SIEGEL über Kevin Smiths DOGMA bis hin zu LITTLE MISS SUNSHINE. Am Anfang, als sich die verschiedenen Tode auf der Erde manifestieren, setzte er ein Zitat aus UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART.

Aber aus derlei Anklängen ließ sich noch keine durchgängiges Gesamtkonzept konstruieren. „Es gab keinen einzelnen Film, der wie ein Platzhalter über allem schwebte,“ so Charly Hübner. Er war sich von vornherein im Klaren, dass SOPHIA, DER TOD UND ICH verschiedene Tonalitäten in sich vereinen würde. „Der Anfang ist Comedy, und das kann man auch so spielen“, so Charly Hübner. „Aber wenn man das fortsetzen würde, wird das sehr schnell banal. Wir mussten diese Geschichte schon ernst nehmen.“

Charly Hübner hatte eine präzise Herangehensweise: „Ich wusste, dieser Film will sich selbst erzählen. Und er tut das, wenn man seinen inneren Wesenskern erkennt. Jede Geschichte, jedes Bild hat in sich eine innere Erzähldynamik. In diesem Fall war klar: Das ist eine coole Story, die man anfängt, nach dem fünften Glas Rotwein zu erzählen.“ Deren „inneres Wesen“ beschreibt der Regisseur mit dem Wort „krude“, dass man in etwa mit‚ungeschliffen‘ paraphrasieren könnte. „Ich musste etwas finden, was krude bleibt – ohne, dass ich das Kino unterlaufe und in die Sprechende Köpfe-Nummer komme, aber ohne auch in eine romantische Komödie abzudriften.“

Befürchtungen, dass ihm diese Gratwanderung misslingen konnte, hatte er nicht: „Angst ist in diesem Kontext verkehrt. Dieses Projekt war ein Geschenk, und über Geschenke freut man sich.“
 

DIE FAHRT ÜBER DEN BODENSEE - DIE DREHARBEITEN

Dieses Geschenk sollte ursprünglich Ende 2021 ausgepackt werden. Doch mit dem Auslaufen der Corona-Welle kam es zu einem derartigen Schub an Produktionen, dass deutschlandweit nicht genügend Teammitglieder zur Verfügung standen. So verschob sich der Drehbeginn auf den 14. März 2022. Die Pandemie machte sich allerdings weiterhin bemerkbar, denn während der Aufnahmen erkrankten mehrere Mitarbeiter. „Aber weil die wichtigsten Leute verschont wurden, konnten wir drehen, ohne dass wir anhalten mussten,“ so Sonja Schmitt.

Auch das Wetter spielte nicht immer mit. So gab es bei den Aufnahmen in Bayern zunächst strahlenden Sonnenschein, doch dann schneite es über Nacht, und das ganze Set lag im Schnee, was Umstellungen im Drehplan erforderte. Doch Charly Hübner hatte sich sorgfältig auf sein ganzes Bündel an Aufgaben vorbereitet. Das fing bereits damit an, dass er in den Jahren vor dem Dreh bei seinen Schauspielprojekten „den Meisterinnen und Meistern bei der Arbeit zuguckte“. Er wusste, dass es anders ablaufen würde, als bei seiner Dokumentation WILDES HERZ: „Filmregie ist viel Kommunikation. Mir war klar, dass ich für jeden eine Antwort haben musste, der eine Frage hatte.“

Gleichzeitig nutzte er die Erfahrungen seines Schauspieljobs: „Vor dem ersten Drehtag will ich immer wissen, wie die Geschichte läuft, welche Figur wo emotional steht und was sie zu dem entsprechenden Zeitpunkt der Geschichte weiß. Das ist Teil meines Handwerks, und das habe ich auf die Regiearbeit übertragen. Ich musste stets wissen, an welchem Punkt wir uns befinden, was die Geschichte erzählen will und was für Bilder ich dafür brauche.“ Dafür war auch der enge Austausch mit Kameramann Martin Farkas unumgänglich:„Wir bereiteten uns immer sehr weit auf das vor, was wir an dem jeweiligen Tag erreichen mussten. Was brauchten wir? Was ist der Witz der Szene? Auf diese Weise konnten wir auch mit den Wetterproblemen, die wir in Bayern hatten, umgehen.“

Es war naheliegend, dass er besonders auf die kreativen Be- dürfnisse seiner Besetzung einging:„Ich liebe es, wenn der erste Schuss den Spielern gehört, weil sie dadurch die Szene erst richtig kennenlernen und sie am eigenen Leib und der eigenen Seele erfahren. Danach begann die Feinjustierung: Das ist zu schnell, das ist zu laut oder zu leise.“ Ihm war dabei klar, dass jeder seiner Akteure unterschiedliche Herangehensweisen hatte: „Es gibt SpielerInnen, die kannst du 40mal durch die Szene schicken, andere, die brauchen vier Wiederholungen, um sich warm zu laufen, und andere, die bei denen im ersten Take schon alles da ist.

Das deckt sich mit Sonja Schmitts Wahrnehmung: „Charly ist prädestiniert, SchauspielerInnen zu führen und zu wissen, wo die Schwierigkeiten liegen. Auch mit dem Team ging er sehr freundschaftlich zugewandt um. Ich fand es bemerkenswert, wie er ganz schnell jeden, bis zum Praktikanten, beim Namen kannte und angesprochen hat. Das hat dazu geführt, dass sich alle in der Produktion wohlgefühlt und gesehen haben und ihm zur Seite gestanden sind.“

Wie genau die Arbeit mit den Schauspielern aussah, zeigt das Beispiel der Liebesszene zwischen Sophia und Reiner. Charly Hübner hatte im Drehplan eine Stunde vorgesehen, wo er mit den beiden Darstellern über die Auflösung sprechen wollte. In dieser Zeit ließ Kameramann Martin Farkas einen Kran aufbauen, mit dem das Ganze gedreht werden sollte. Dabei machte sich die gemeinsame Erfahrung von Improvisations-Projekten bezahlt – ebenso wie die OFFENHEIT der Darsteller. Nach diesen ganzen mentalen und technischen Vorbereitungen wurde für 30 Minuten gedreht. „Und es war klar, von dieser halben Stunde kommen maximal drei Minuten in den Film.“

Bei den kniffligen Momenten – etwa, wenn ein Teammitglied an Corona erkrankte oder eben das Wetter nicht mitspielte – half ihm sein „Mecklenburger Bauernblick“, den er folgendermaßen beschreibt: „Oh, das wird eine schwere Ernte dieses Jahr. Aber wir gehen trotzdem. Was soll man machen? Der Film soll ja gedreht werden.“ Gelegentlich kam er sich vor „wie mit einer Truppe im Ruderboot auf einem See von Bodenseegröße aufwärts, Windstärke sechs. Und ich sagte allen: ‚Ist alles gut Leute.‘ Das, was man tun kann, kann man nur zu 200 Prozent tun. Alles andere kann man nicht kontrollieren.“

Mit dieser Haltung überstand er dann auch den Zeitdruck des Drehs. Erst danach machte sich seine Erschöpfung bemerkbar: „Am zweiten Tag nach Drehende bin ich mitten am Tag auf einer Wiese im Ruhrgebiet eingepennt – obwohl ich zuvor viel geschlafen hatte. Das Ganze war wie ein Marathonlauf, wo du die ganze Zeit auf einem High bist.“


SCHACHPARTIE - DIE FERTIGSTELLUNG

Schon während des Drehs machte sich die kollegial- entspannte Zusammenarbeit mit DCM positiv bemerkbar. „Sie haben mich lässig machen lassen. Es ist da eine fantastische Bande entstanden,“ so Charly Hübner. DCM ließ Charly Hübner auch vor Start der Postproduktion Zeit, um einen „frischen Blick“ auf das Material zu bekommen. „Das war sehr wichtig“, meint der Regisseur. „Denn wie beim Schach entscheiden die letzten Züge.“

Eine ganz wichtige Strategie bei dieser Partie war es, die richtige Balance zwischen komischen und tragischen Elementen herzustellen. Dafür fand Charly Hübner in Cutterin Eva Schnare eine kongeniale Großmeisterin: „Sie kommt aus der Region von Thees Uhlmann, hat also seinen Humor in den Knochen. Sie hat ganz früh einen Rhythmus gefunden, der das Spiel zwischen Comedy und Melancholie in die Waage kriegte. Ich bin die erste Hälfte des Schnitts neben ihr gesessen und habe so gesehen, wo der Film mit sich hin will, und konnte dann korrigierend eingreifen. Das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht.“
Eine besondere Herausforderung stellte die Schlusssequenz dar, in der Reiner auf seinen Sohn treffen soll. Schon vor dem Dreh wusste Charly Hübner, dass es hier um die „innere Assoziation“ des Protagonisten geht. „Ich finde es doof, wenn Filme ein ‚ich‘ im Titel haben und das dann nicht zum Thema machen.“ Entsprechend hatte er die Szene inszenatorisch gestaltet, wobei dann die endgültige Form dem Schnitt vorbehalten war.

In der ersten Schnittphase erkannte er auch, dass SOPHIA, DER TOD UND ICH „ein Soundfilm“ war: „Über den Sound verstärkten wir einerseits das Krude, stabilisierten aber zugleich die Melancholie. Letztere hält im Buch im letzten Viertel Einzug, aber beim Film haben wir nicht so eine lange Wahrnehmungsspanne. Ich musste sie früh mit thematisieren, und das war nur über den Sound möglich. Unsere Mischtonmeister Dominik Schleier und Martin Steyer hatten sich super vorbereitet, und dank ihnen hat der Sound alle Erwartungen übertroffen.“

Musikalisch steuerte Thees Uhlmann persönlich einen neuen Song für den Abspann bei, für die weitere musikalische Tonlandschaft sorgten die beiden Schweizer Musikerinnen Nora Steiner und Madlaina Pollina – besser bekannt als Steiner & Madlaina. Charly Hübner hatte mit Musikberaterin Charlotte Goltermann ein FolkPunk-Klassik-Konzept vorgeschwebt und „ewig“ nach den passenden musikalischen Mitstreitern gesucht.

Das Frauen-Duo schrieb zunächst den Song für die Eröffnungssequenz, und der Regisseur war so begeistert, dass er ihnen den ganzen Film übertrug: „Die beiden gucken als Frauen auf die Geschichte und werden damit zu einer Stimme von Sophia.“

Eine Resonanz, die Sonja Schmitt sehr wohl verstehen kann: „Obwohl ich den Film schon öfters gesehen habe, bin ich immer wieder überrascht, was für tiefgreifende Momente er hat, über die man nachdenken kann. An bestimmten Stellen rührt er mich, an anderen finde ich ihn sehr lustig. Er hat für mich eine sehr schöne Mischung aus allen Emotionen, die man fürs Kino braucht.“

Die positive Stimmung, die diese Arbeit hinterließ, schwingt auch in Charly Hübner weiter. Und daher soll sich auch seine Reise als Regisseur fortsetzen: „Ich habe total Blut geleckt. Ich habe gehofft, dass ich kein Blut lecke, aber jetzt würde ich gerne ein, zwei weitere Filme drehen.“

Anfang 2023 war SOPHIA, DER TOD UND ICH dann fertiggestellt.


Foto:

©Verleih

Info: 
Sophia, der Tod und ich

DVD und Blu-ray
Literaturverfilmung
BRD, 2023
FSK ab 12 freigegeben 
Genre: Komödie, Drama, Literatur
Spieldauer: 98 Min.
Regie: Charly Hübner
Darsteller: Dimitrij Schaad, Marc Hosemann, Anna Maria Mühe, Johanna Gastdorf, Lina Beckmann
Drehbuch: Lena May Gray
Basierend auf dem Bestseller Roman von: Thees Uhlmann
Sprache: Deutsch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Widescreen
Erscheinungstermin: 12.1.2024
Besetzung: Dimitrij Schaad, Anna Maria Mühe, Marc Hosemann, Johanna Gastdorf, Carlo Ljubek, Lina Beckmann, Josef Ostendorf und Rocko Schamoni

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