Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Januar 2024, Teil 5
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Wann haben Sie das erste Mal von Stella Goldschlag gehört und wie sind Sie zu dem Projekt gekommen?
Zum ersten Mal habe ich von Stella Goldschlag durch das Projekt gehört. Ich wurde durch Kilian Riedhof und der Produktion angesprochen, ob ich Interesse an dieser Figur und dem Projekt hätte. Nach dem ich das Drehbuch gelesen habe, war sehr schnell klar, dass ich diese Rolle übernehmen werde.
Was haben Sie gedacht, als Sie das Drehbuch das erste Mal gelesen haben?
Vor allem war ich von der Geschichte sehr eingenommen und von ihrer Brutalität und Grausamkeit überwältigt. Drehbücher mit solch einem Ausmaß an Schrecklichkeit, die die Zeit ab 1933 mit sich brachte, liest man nicht jeden Tag. Noch dazu war das Buch sehr gut geschrieben. Ich konnte mich direkt auf die emotionale Reise einlassen und auf diese wahnsinnig komplexe Figur, die Stella nun mal ist. Das wiederum hat mich als Schauspielerin interessiert. Und das ist vielleicht das Paradoxe am Schauspiel, dass die menschlichen Abgründe zum Spielen sehr spannend sind.
Was war für Sie der besondere Reiz, bei diesem Projekt dabei zu sein?
Vor allem waren es die vielen Seiten die Stella hat. Das junge Mädchen, das von Amerika träumt und eine Jazzband hat, welches zu einer berechnenden Verräterin wird und später alles leugnet, was sie getan hat. Eine Figur zu erzählen, die Opfer dieses schrecklichen Systems war und dann aber selbst zur Täterin wurde. Für mich war die Frage von Anfang an: „Wie kann ein Mensch das machen?“
Wie würden Sie Stella Goldschlag beschreiben?
Da Stella Goldschlag wirklich lebte, möchte ich mir nicht anmaßen über sie als Person zu sprechen. Ich kann nur über meine Figur Stella sprechen, die ich in unserem Film spiele. Diese Stella hat viele Gesichter und alle ihre Gesichter brauchen viel Aufmerksamkeit von außen. Sie hat einen starken Hass gegen sich selbst und braucht daher die permanente Bestätigung und Bewunderung ihrer Mitmenschen. Sobald sie sich angegriffen oder bedroht fühlt, schlägt sie um sich. Die Angst allein zu sein, multipliziert sich im Laufe der Geschichte noch mit der Angst ums eigene Leben und das ihrer Eltern. All das brodelt unter einer oft perfekt funktionierenden Fassade. Stella erkennt schnell, was die Menschen um sie herum von ihr wollen, und kann diese Rolle perfekt erfüllen. Sie beherrscht dieses Spiel und gleichzeitig macht es sie immer einsamer. Sie ist eine sehr instabile Persönlichkeit, die stark abhängig von ihrem Umfeld ist.
Worin lag für Sie die größte Herausforderung, eine solch ambivalente Frau zu spielen?
Es waren vor allem meine Widerstände, mich auf diese Figur einzulassen. Wenn man anfängt eine Figur vorzubereiten, taucht man immer tiefer in ihre Geschichte ein, und das ist bei Stella die Zeit des Nationalsozialismus. Was im Geschichtsunterricht erschreckende Fakten sind, werden plötzlich greifbare konkrete Situationen, gefüllt mit Emotionen. Zeugenberichte, Fotos der betroffenen Menschen, real verortbaren Schauplätzen. All das lässt die Situationen wiederaufleben und ging mir wirklich durch Mark und Bein. Gleichzeitig muss ich mich als Schauspielerin auf die Realität meiner Figur einlassen und dieser Spagat hat viel Zeit und Arbeit erfordert.
Wie haben Sie sich auf die Dreharbeiten vorbereitet?
Die Vorbereitungen waren sehr weit gefächert, da Stella sehr unterschiedliche Facetten bedient. Zum einen hatte ich Tanz- und Gesangsunterricht, Proben mit meinen Spielkollegen, meine Vorbereitung der Rolle, die in der Geschichte einige Zeitsprünge und damit charakterliche Veränderungen mit sich bringt. Noch dazu Kostümproben und vor allem hat sich mein Äußeres sehr verändert. Die blonden Haare haben mir am Ende vielleicht am meisten geholfen, mich als Figur zu fühlen und auf Stella einzulassen.
Die Stationen im Leben von Stella Goldschlag sind geprägt von Diktatur, Angst ums eigene Leben und das Überleben der nächsten Menschen in ihrem Leben. Wie ist es Ihnen gelungen, sich hier einzufühlen?
Die Frage, wie Schauspiel eigentlich funktioniert und wie es möglich ist, Gefühle zu empfinden, über die man vorher in einer Szene liest, stelle ich mir jedes Mal. Das großartige an uns Menschen ist, dass wir Empathie haben. Wir verlernen manchmal den Zugang dazu und lernen uns vor Unangenehmen zu schützen. Aber ein Verständnis, was manche „archaische“ Emotionen wie Todesangst bedeuten, tragen wir, glaube ich, alle in uns. Das ist nur nicht angenehm und deswegen nicht in unserem Alltagsrepertoire. Als Schauspielerin habe ich durch meine Figur einen Rahmen an äußeren Umständen, warum sich meine Figur so fühlt, und kann so in ihre Realität eintauchen.
Wie war die Zusammenarbeit mit Jannis Niewöhner?
Jannis und ich haben das erste Mal zusammengearbeitet, als ich 18 war. Die Vertrautheit, die man hat, wenn man sich schon so lange kennt, hilft bei einem Stoff wie STELLA. EIN LEBEN. ungemein. Jannis hat mich direkt angerufen, nachdem er die Rolle zugesagt hat und mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, da ich wusste, ich werde in all diesem Wahnsinn einen tollen Partner an meiner Seite haben. Und so war es dann auch. Zusammen mit Joel Basman waren wir ein gutes Trio und wir hatten trotz all dieser harten Szenen zum Glück viel Spaß zusammen.
Wie war die Zusammenarbeit mit Katja Riemann und Lukas Miko, die Ihre Eltern in dem Film gespielt haben?
Beide waren von Anfang an wahnsinnig liebevoll und ich habe mich wirklich elterlich beschützt gefühlt. So ist es manchmal, dass die Rollendynamiken abfärben. Nachdem unsere Probentage vorbei waren, haben wir, so erinnere ich mich zumindest, so gut wie gar nicht mehr über unsere Figuren geredet. Szenen zu spielen, in denen es um Deportation geht oder andere schreckliche Dinge, machen natürlich etwas mit einem und demnach war unser Bedürfnis nach Harmonie und Spaß sehr groß.
Wie war das Zusammenspiel mit dem restlichen Cast, ist Ihnen jemand besonders in Erinnerung geblieben?
Ich denke an Joel Basman, Damian Hardung und vor allem Bekim Latifi.
Bekim Latifi und die gesamte Band waren für mich jedes Mal das euphorische Hoch während des Drehs. Wir sind als Gruppe gut zusammengewachsen in dieser kurzen Zeit und mir war das eine liebe Abwechslung zu all den Szenen, in denen ich mit Stella „alleine war“. Bekim spielt Stellas besten Freund und hat auch mich während des Drehs sehr unterstützt. Aaron ist die einzige Figur, die in Stellas Leben später auch nochmal auftaucht und gemeinsam an der Dynamik und Freundschaft zwischen Stella und Aaron zu arbeiten, hat mir große Freude bereitet.
Der Film beginnt mit einer großartigen Musik-Szene, in der sie selbst singen und Ihnen die Lebenslust nur so ins Gesicht geschrieben steht? Wie haben Sie sich auf diese Szenen vorbereitet? Sind Sie Jazz-Fan?
Ich wurde von der großartigen Anna Bauer gesangstechnisch vorbereitet und sie hat mir auch beigebracht, worum es im Jazz und beim Singen geht. Ich würde mich nicht als Jazz-Fan bezeichnen, aber ich liebe Musik, vor allem Live-Musik. An unserem Drehtag war es vor allem die Dynamik mit der Band, die diese Szenen zum Leben erweckt und damit möglich gemacht hat. Ich hatte vor diesen Szenen großen Respekt, weil ich keine Sängerin bin und das für mich Neuland war. Mir hat das Singen aber von Anfang an großen Spaß gemacht und das hat auch die Angst geschmälert. Unsere Band bestand zur Hälfte aus Schauspielern und zur Hälfte aus Musikern. Dementsprechend aufgeregt war ich vor unserer ersten Probe in der Vorbereitungszeit, weil ich es ja nur mit Profis zu tun hatte. Das ist aber sofort verflogen, als wir aufeinandertrafen, und hat einfach riesigen Spaß gemacht.
Der Film hat eine sehr auffällige Kameraführung, die offensichtlich viele Takes erforderte. Es muss ein unglaubliches Drehpensum gewesen sein und Sie sind mehr oder weniger in jedem Bild. Haben Sie Tricks, wie sie so einen Marathon-Lauf durchhalten?
Dafür gibt es keine Tricks. Natürlich kann man Entspannungsübungen oder Sport machen, je nachdem, was einem hilft abzuschalten und sich so gut es geht auf den Dreh vorbereiten. Ein 14 Stunden Drehtag mit vielen Takes und das über zwei Monate bleibt aber einfach anstrengend.
Es müssen sehr fordernde Dreharbeiten gewesen sein. Wie schafft man es, nach Drehschluss wieder zu sich zu finden bei einer solch fordernden Rolle?
Für mich gibt es keine Schwierigkeit, abends die Rolle abzulegen. Natürlich macht so eine Figur etwas mit einem, dafür habe ich aber Wege gefunden, die für mich gut funktionieren. Ich kann gut trennen zwischen der Figur im Take und mir als Privatperson nach Feierabend.
Stella trägt immer sehr schöne Kleider und ist sehr modebewusst. Haben Ihnen die Kostüme dabei geholfen, in die Rolle von Stella Goldschlag zu schlüpfen?
Ja, Kostüm und Maske haben mir wahnsinnig geholfen. Historische Kostüme geben einem direkt ein anderes Körpergefühl und Thomas Oláh hat einen sehr besonderen Stil für Stella gefunden, über den ich Stella auch nochmal anders verstanden habe. Die blonden Haare waren vielleicht das Entscheidende in der Verwandlung. Haarfarben verändern nicht nur das Aussehen, sondern auch, wie andere Leute einen wahrnehmen und das war mit Blond enorm.
Was wünschen Sie sich, sollen die Zuschauer aus dem Film mitnehmen?
Bei allen Widerständen, die ich gegen Stella hatte, hat mir immer geholfen, dass ich diese Rolle spiele, damit andere Menschen etwas sehen und verstehen können. Ich habe durch Stella vor allem eines verstanden: Angst ist etwas sehr Mächtiges und kann, außer Kontrolle geraten, zu grausamen Taten führen. Es liegt an jedem Einzelnen sich seiner eigenen Angst und den Dämonen, die man mit sich trägt, zu stellen und eigenverantwortlich damit umzugehen. „Die Anderen“ zum Schuldigen oder Verantwortlichen zu machen, ist keine Option.
VOR DER KAMERA
PAULA BEER
als Stella Goldschlag
Paula Beer, Jahrgang 1995, gehört zu den angesehensten Schauspielerinnen ihrer Generation. Sie wurde gleich mit ihrer ersten Rolle als 14jährige Halbwaise Oda in Chris Kraus‘ vielgelobtem Drama POLL als Schauspielentdeckung des Jahres gefeiert und mit dem Bayerischen Filmpreis als „Beste Nachwuchsdarstellerin“ ausgezeichnet. Es folgte 2016 der Nachwuchsdarstellerpreis der Filmfestspiele in Venedig für ihre Rolle in François Ozons FRANTZ. Mit dem Deutschen Schauspielpreis, dem Deutsche Fernsehpreis, dem Grimme-Preis sowie einem Bambi wurde sie für die Verkörperung der Investmentbankerin Jana Liekam in „Bad Banks“ geehrt sowie 2020 für ihre darstellerische Leistung in Christian Petzolds UNDINE mit dem Silbernen Bär der Berlinale und dem Europäischen Filmpreis.
Paula Beers Karriere begann auf dem Schulhof, wo sie von der Casting-Direktorin Britt Beyer für POLL entdeckt wurde. Doch schon zuvor sammelte sie erste Erfahrungen mit Schauspiel und Tanz im Jungen Ensemble des Berliner Friedrichstadt Palasts, dem sie vier Jahre angehörte. Noch als Schülerin übernahm sie weitere Rollen, wie z.B. in dem Historienfilm LUDWIG DER II von Peter Sehr und Marie Noelle (2012) sowie in der Literaturverfilmung DER GESCHMACK VON APFELKERNEN von Vivian Naefe (2014). Seither arbeitete Paula Beer mit Branchengrößen wie Volker Schlöndorff oder Andreas Prochaska, dessen Film DAS FINSTERE TAL mit Beer in der weiblichen Hauptrolle mit acht Deutschen Filmpreisen ausgezeichnet wurde, zusammen. Aber auch in Theresa von Eltz‘ Spielfilm-Debüt 4 KÖNIGE (2015) über vier Jugendliche aus Problemfamilien, die das Weihnachtsfest in der Jugendpsychiatrie verbringen müssen, wirkte Beer neben Jella Haase, Jannis Niewöhner und Moritz Leu mit. Mit Sherry Hormann drehte sie den Polit-Thriller „Tödliche Geheimnisse“, bevor Beer in François Ozons‘ Drama FRANTZ (2016) auch international für große Aufmerksamkeit sorgte. Neben der Auszeichnung als Beste Nachwuchsschauspielerin des 73. Filmfestivals von Venedig wurde Paula Beer sowohl für den César, den Prix Lumière und auch den Europäischen Filmpreis 2017 nominiert. 2018, im selben Jahr, in dem auch die Serie „Bad Banks“ von Christian Schwochow in aller Munde war, sah man die Schauspielerin auf der großen Leinwand in Florian Henckel von Donnersmarcks Oscar®-nominierten WERK OHNE AUTOR wie auch in Christian Petzolds TRANSIT an der Seite von Franz Rogowski. 2019 folgte die französische Filmproduktion LE CHANT DU LOUP sowie das schon erwähnte Liebesdrama UNDINE von Christian Petzold. 2022 war Paula Beer in der von David Nawrath inszenierten sechsteiligen Serie „Euer Ehren" zu sehen. In der Rolle der Nadja brillierte die Schauspielerin zuletzt in dem berührenden Sommerfilm ROTER HIMMEL von Christian Petzold.
Auf der Bühne konnte man Paula Beer 2020 am Theater Basel in dem Stück „Metamorphosen“ sehen.
FILMOGRAFIE (Auswahl)
2023 STELLA. EIN LEBEN. Regie: Kilian Riedhof
2023 ROTER HIMMEL Regie: Christian Petzold
2020 UNDINE Regie: Christian Petzold
2018 WERK OHNE AUTOR Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
2018 TRANSIT Regie: Christian Petzold
2018-2020 „Bad Banks“ Regie: C. Schwochow & C. Zübert
2016 FRANTZ Regie: François Ozon
2015 4 KÖNIGE Regie: Theresa von Eltz
2014 DAS FINSTERE TAL Regie: Andreas Prochaska
2013 DER GESCHMACK VON APFELKERNEN Regie: Vivian Naefe
2011 LUDWIG II. Regie: P. Sehr & M. Noëlle
2010 POLL Regie: Chris Kraus
Foto:
©Verleih
Info:
Besetzung
Stella Goldschlag Paula Beer
Rolf Isaakson Jannis Niewöhner
Toni Goldschlag Katja Riemann
Gerd Goldschlag Lukas Miko
Peter Joel Basman
Manfred Kübler Damian Hartung
Aaron Salomon Bekim Latifi
Dobberke Gerdy Zint
Stab
Regie Kilian Riedhof
Drehbuch Marc Blöbaum, Jan Braren & Kilian Riedhof
Abdruck aus dem Presseheft