Bildschirmfoto 2024 02 02 um 23.51.58Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Februar 2024, Teil 12

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Musik ein Hobby? Für den Liedersänger, den Kneipensänger Erich ‚Rickerl‘ Bohaceks (Voodoo Jürgens) aus Wien gilt das nur, was das Verdienst angeht, denn er, der mit seiner Gitarre und dem auf ihr Spielen lebt, dafür lebt, kann von dem wenigen Geld, das ihm abendlich zugesteckt wird, kaum überleben, schon gar nicht eine Familie ernähren. Das ist sein Kummer, denn seine Frau hatte das alles satt, hat einen Neuen und neureichen Deutschen, einen ‚gestopften Piefke namens Kurti‘, ist also seine „Ex“, und Dominik, der sechsjähriger Sohn, lebt bei ihr, was sein Kummer ist.

Wir lernen Rickerl kennen, als gleich Dreierlei schiefgeht: Er verliert seinen Job als Totengräber, die Aussicht auf eine eigene Platte erfordert, daß er die vielen selbstgedichteten Lieder, die alle auf Zetteln in seinem Gitarrenkasten durcheinander liegen, auf der Schreibmaschine abtippen soll, doch er verliert seine Gitarre und dann verliert er auch noch seinen Sohn. Buchstäblich. Er hatte einen wichtigen Termin sausen lassen, damit er mit Dominik, den er an diesem Tag ‚haben‘ darf, was Tolles machen kann, zieht mit ihm auf die Auen nah der Donau, wo die beiden zelten, baden und Musik machen und dann vergißt er einfach auf die Gitarre im Kasten, was ja deswegen besonders schlimm ist, weil die ganzen Lieder drinnen liegen.

Das ist gleichzeitig eine Geschichte von ganz vielem:
Vater-Sohn, Geschichte und das gleich doppelt, denn Rickerls spiel- und eigensüchtiger Vater taucht auch immer wieder auf und spielt eine unangenehme Rolle, Vater Rickerl dagegen hat seinem Sohn zu dessen Entzücken eine Kindergitarre geschenkt
kreativer Musiker, der mit seinen selbstgedichteten und komponierten Liedern – Nachfolger des Austropop seit den Sechzigern: Falco, Wolfgang Ambros, Georg Danzer, Rainhard Fendrich, Ludwig Hirsch etc.- die Zuhörer in den Kneipen Wiens gefühlsselig macht
eine Geschichte von einem, der nicht rational handelt, nicht zum eigenen Vorteil, der nicht gewinnorientiert ist, nicht mal, wenn es um das Bekanntwerden seiner eigenen Lieder geht, vom Geld ganz zu schweigen,
eine Geschichte von den Beisln, den Kneipen der echten, alten, eher armen Wiener und den Tschocherln, noch eine Stufe tiefer in den Kellern, wo nicht der Heurige die Gläser bestimmt, sondern das Bier und die Zigarette und die tiefe Verbundenheit der Besucher, Stammgäste, die auch Karten spielen und eben hier ihre Familie finden und von dem wenigen, was sie haben, auch Rickerl noch was abgeben,
und es ist auch eine Geschichte über die Lieder, die ja eigentlich im Film die Hauptrolle spielen, nur sind wir gewohnt, sie als Beigabe zum Leben zu empfinden. Aber hier unterfüttern die Lieder, - die meist von Voodoo Jürgens selber stammen, aus dessen eigenem Leben auch viel in die Filmgeschichte einfloß, aber eben nicht alles - emotional den ganzen Film. Es geht in den Liedern um seine Erfahrungen und das in einer Sprache, die nichts zu tun hat mit dem Burgtheaterdeutsch und nichts mit dem Wienerln der gehobenen Schichten, sondern das proletarische Weanerisch der Vororte Wiens. Melancholisch, ja traurig, aber dann doch wieder mutmachend wie „Ollas nimma deins“. Das stammt im übrigen vom zweiten Album „‘S klane Glücksspiel“ des echten Jürgens. Und die Lieder, die er im Film vorträgt, sind wie auch die einheimischsten Textstellen alle auf Hochdeutsch untertitelt.
Und alle diese Geschichten sind zusammengehalten von der filmbestimmenden Beziehung von Rickerl zu seinem Sohn, für den er auch das ausgemachte Radiointerview sausen läßt, das für die beabsichtigte Platte wichtig gewesen wäre, die dann eh nur noch ein Wunsch ist, weil ja die ganzen Lieder im Gitarrenboden verschwunden sind, weil er, der doch eins mit seiner Gitarre ist, sie beim Campen mit seinem Sohn vergessen hat. Doch: Sie taucht wieder auf, und beschert einen Gastauftritt von Nino, ebenfalls ein bekannter Wiener Liedersänger. Die Texte sind alle noch da und nachdem Rickerl sie glücklich an sich nimmt, verschenkt er seine Gitarre.

Doch da ist ja noch das verlorengegangene Vertrauen seines Sohns zu ihm, den er einfach hat sitzen lassen, was zu dem Schlimmsten gehört, was einem Kind passieren kann. Dominik will ihn nicht mehr sehen, was nun wiederum zu dem Schlimmsten gehört, was einem Vater passieren kann. Dominik wird lernen, daß man auch seinem Vater nicht völlig vertrauen kann und Rickerl, was das Wichtigste in seinem Leben ist. Doch sie finden wieder zusammen und wir sehen als Abschluß, wie Dominik auf seiner Gitarre klimpert.
Ein Film voller Sentiments, voller Musik, voller Wehmut über eine untergehende Welt. Ein echter Wiener Film, denn „Der Tod, das muß ein Wiener sein“, dem Lied von Georg Kreisler von 1969:
Da drob'n auf der goldenen Himmelbastei,
da sitzt unser Herrgott ganz munter
und trinkt a Glas Wein oder zwei oder drei
und schaut auf die Wienerstadt runter.
Die Geister, die geistern bei ihm umeinand',
ja, er hat s' in der Hand jederzeit,
das Glück und das Unglück, den Tod und die Schand
und die Lieb und den Zorn und den Neid
und den Geiz und die Gier und die Gall und die Gicht -
ja, da gibt's eine sehr große Schar.

Der Tod muß ein Weaner sein.


Foto:
©Verleih

Info:

BESETZUNG

Erich "Rickerl" Bohacek     Voodoo Jürgens
Dominik                Ben Winkler
Viki                       Agnes Hausmann
Kurti                     Claudius von Stolzmann
Rickerls Vater       Rudi Larsen
Frau König           Nicole Beutler
als er selbst.        Der Nino aus Wien

STAB
Regie, Drehbuch        Adrian Goiginger
Kamera                       Paul Sprinz