Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Februar 2024, Teil 17
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Kino Mal Seh’n im Frankfurter Nordend bringt immer wieder zu den anlaufenden Filmen auch vorherige Previews wie am Mittwoch, 31. Januar THE GREEN BORDER (polnisch / russisch / englisch / arabische OmU) von Agnieszka Holland, Polen / Frankreich / Tschechische Republik / Belgien 2023, 147 Min. Mit anschließendem Fachgespräch In Kooperation mit medico international.
Die Vorstellung was ausverkauft und mehr, denn es konnten nicht alle im Saal Platz finden. Obwohl der Film mit zweieinhalb Stunden und der tragischen und drastischen Flüchtlingsdramatik anstrengend ist, blieben fast alle zur anschließenden einstündigen Diskussion, die sich vor allem um die Arbeit der Aktivisten und sonstigen Helfern im polnischen Grenzgebiet drehte.
Der Film, der deshalb Green Border heißt, weil der Grenzzaun zwischen Belarus und Polen auf beiden Seiten ein gewaltiges Waldgebiet umfaßt, weshalb der Anfang des Films auch in Grün ein herrliches riesenhaftes Waldstück zeigt, dem dann in Schwarz – Weiß die Flüchtlingsverfolgung an der Grenze folgt. Übrigens interessant, daß dem Film immer wieder vorgeworfen wurde, er zeige zwar abschreckende Verhältnisse, weise aber keine Lösungsmöglichkeiten auf. Ganz abgesehen davon, daß dies nicht Aufgabe von Filmen ist, wäre einem solchen Film dann auch sofort Indoktrination vorgehalten, ja vorgeworfen worden. So bleibt es bei einer Beschreibung der unhaltbaren, weil inhumanen Flüchtlingssituation, die vom belorussischen Diktator Lukaschenko inszeniert wird, in dem im Verbund mit der Türkei per türkischer Fluglinie besser gestellte Flüchtlinge aus Afrika, Syrien, Afghanistan nach Minsk gelockt werden. Ihnen wird versprochen – und dafür zahlen sie ja den Schleusern und der Fluglinie viel Geld – problemlos über die belorussisch-polnische Grenze nach Europa zu gelangen wo sie Asyl beantragen können oder wie im Film beabsichtigt, direkt zu ihren Verwandten nach Schweden gelangen.
Auf dem Podium versammelten sich vier, von denen eine die Diskussion führte, einer für medico international auf Englisch und zwei gerade aus Polen kommend zu den dortigen Grenzaktivisten gehören, die aus ihrer Praxis berichteten. Übereinstimmend hieß es, daß die Verhältnisse an der polnischen Grenze noch schlimmer seien als im Film gezeigt. Das mag man sich kaum vorstellen, denn es ist schlimm genug, was wir im Film sehen. Noch einmal werden die politischen Interessen vom Belarus-Diktator Lukaschenko herausgestellt. Der motiviert Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika in sein Land zu kommen, weil die Grenze nach Polen, an die die ankommenden Flüchtlinge gebracht werden und für schon bezahlte Flüchtlingsquoten noch einmal bezahlen müssen, der Eintritt in ein besseres Leben, der Eintritt nach Europa bedeutet. Eigentlich.
In Wahrheit werden die, die hoffen, mit der Landroute bessere Überlebenschancen zu haben als der gefährliche Weg über’s Wasser, abgezockt, vom Diktator persönlich hinters Licht geführt. Am Anfang müssen die Flüchtlinge nur Geld nachzahlen, aber wenn sie von den polnischen Grenzbeamten erneut nach Weißrussland gedrängt werden, gibt es keinen fröhlichen Empfang wie beim ersten Mal, sondern ihre Not wird ausgenutzt und zynisch und frech 50 Euro für eine Flasche Wasser verlangt. Wasser ist das Wichtigste zum Überleben. Da kommen die Aktivisten ins Spiel, bei denen sich an der polnisch-belorussischen Grenze auch Deutsche beteiligen, wie die beiden auf dem Podium betonten. Sie betonten noch etwas, was mir neu war und von dem ich nicht ganz überzeugt bin, daß sich die einzelnen Aktivisten so verhalten. Ich auf jeden Fall könnte es nicht!
Es geht darum, daß die Helfer auf polnischer Seite keinen der Flüchtlinge transportieren dürfen, also weiter in polnisches Gebiet bringen, sondern daß sie nur humanitäre Hilfe an Ort und Stelle im Grenzgebiet leisten dürfen. Das war mir völlig neu, hatte ich doch die Funktion der Aktivisten gerade im Retten der Flüchtlinge gesehen, Retten, um die Rechte der Flüchtlinge durch Registrierung zu beginnen. Doch dies ist strafbar, also das Transportieren von Menschen aus dem Grenzgebiet in innerpolnisches Gebiet. Die Tätigkeit der Aktivisten darf also rein in der Hilfestellung von Tee,Wasser, Suppe, Nahrung, Toilettsachen, Medizin etc. bestehen.
Auch im Film wird diese Reduzierung und die eigentlich zu erwartende Hilfe deutlich angesprochen und von denen, die schon länger die Flüchtlinge mit Essen und Trinken etc. versorgen, wird immer wieder betont, daß man diese Menschen nicht an die Orte bringen dürfen, wie Bahnhöfe oder Haltestellen, wo sie von alleine weiterkommen, denn auch diese Familie, der wir im Film lange folgen, will ja gar nicht bleiben, sondern nach Schweden weiterreisen. Doch dazu kommt es nur mit Hindernissen. Als nun mit der Psychotherapeutin sich jemand Lebenserfahrener an der Versorgung der hillflos im Wald Umherirrenden beteiligt, geht diese den zur wirklichen Rettung notwendigen Schritt und führt im Wagen einen Flüchtling mit. Wie sie überwacht wird und durch Personenkontrolle, die mit Ausziehen bis auf die Haut geht, schikaniert wird, zeigt der Film auch.
Kein Wunder, daß sich die offiziellen Stellen in Polen hier nicht wiedererkennen wollen, aber müssen. Kein Wunder also, daß staatlicherseits und seitens der damals alles beherrschenden Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) mit dem allmächtigen Jarosław Kaczyński alles getan wurde, um Agnieszka Holland als Vaterlandsverräterin nicht nur madig zu machen, sondern sie regelrecht zu verfolgen, so daß sie Personenschutz brauchte. Für sie, die schon allerhand mitgemacht hat, war das eine neue, durchaus traumatische Erfahrung, die ganz Polen aufwirbelte und den Wahlkampf bestimmte. Solch Bild will Polen von sich nicht sehen. Aber, das war die bittere Konsequenz des Podiums: trotz der neuen Regierung aufgrund der Wahlen hat sich an den polnischen Grenzen nach Osten und Süden nichts getan.
Thema ist auch das im Film als Kontrast dargestellte herzliche Willkommen für die ja sehr viel umfangreicheren Flüchtlingsströme aus der Ukraine nach Putins Angriffskrieg. Das allerdings kann man psychologisch durchaus verstehen, denn der gemeinsame ‚Feind‘, einst die Sowjets, jetzt die Russen, die den Nachbarn überfallen, rufen unmittelbare Hilfskationen hervor. Das muß man nicht kritisieren und sie für alle und jeden einfordern. Rechtsstaatliche Verhältnisse muß man einfordern, aber nicht ein Bleiberecht für jeden.
Insofern fehlte dieser Veranstaltung dann doch die Dimension, wie es weitergehen kann. Nur darauf zu verharren, den Flüchtlingen zu helfen, ist heute eigentlich unpolitisch. Europa kann nicht ganz Afrika per Emigration aufnehmen. Es rächt sich die läppische durchgeführte Entwicklungspolitik seit den Siebziger Jahren. Es rächen sich die meist erfolgreichen Kämpfe der ‚Brunnenbauer‘ gegen die, die Schulen bauen und Bildung vermitteln wollten, wie es bei der GTZ gang und gebe war. Es müssen endlich Konzepte her, wie neben den politischen Verhältnissen, deretwegen Menschen fliehen und für die das Asylrecht voll zutrifft, die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge andere Perspektiven bekommen.
Foto:
Theaterleiter Gunter Deller
Podium
©Redaktion
Info:
Besetzung
Jalal Altawil. Bashir
Maja Ostaszewska. Julia
Behi Djanati Ataï. Leila
Mohamad Al Rashi. Bashirs Vater
Dalia Naous. Amina
Tomasz Włosok Janek
Taim Ajjan. Nur
Talia Ajjan. . Ghalia
Monika Frajczyk. Marta
Jaśmina Polak: „Żuku“
Aboubakr Bensaihm. Ahmad
Malwina Buss. Kasia
Marta Stalmierska. Ula
Agata Kulesza: Basia
Maciej Stuhr: Bogdan
Ärztin im Krankenhaus
Piotr Stramowski: Maciek
Afrikanische Frau
Magdalena Popławska: Bogdans Frau
Stab
Regie Agnieszka Holland
Mitarbeit Regie. Kamila Tarabura und Katarzyna Warzecha
Drehbuch Maciej Pisuk, Gabriela Łazarkiewicz-Sieczko, Agnieszka Holland
Green Border, Preview im Frankfurter Kino Mal Seh’n mit Diskussion
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- Kategorie: Film & Fernsehen