1. bis 31. März 2024 im Berliner Kino Arsenal
Romana Reich
Berlin (Weltexpresso) - Es ist ja nicht so, als ob mit dem Ende der Berlinale, die heute beginnt!, in Berlin mit Filmen nichts mehr los wäre! Die georgische Regisseurin Lana Gogoberidze ist in Berlinund anderswo keine Unbekannte – sie war mehrere Male im Arsenal wie auch im Forum der Berlinale zu Gast –, eine umfassende Präsentation der Filme ihrer langen Karriere stand jedoch bislang noch aus. Nach dem Festival GoEast in Wiesbaden, das 2022 die weltweit erste Retrospektive organisiert hat, ist ihr Werk, das zum großen Teil neu digitalisiert wurde, nun den gesamten März über im Arsenal zu sehen.
Freude, Lana Gogoberidze am 1. März zur Eröffnung der Retrospektive im Arsenal zu begrüßen.
Vorher ist Lana Gogoberidze bereits mit ihrem neuesten Film DEDA-SHVILI AN RAME AR ARIS ARASODES BOLOMDE BNELI (Mother and Daughter, or the night is Never Complete, Ko-Regie: Salome Alexi, Georgien/F 2023) beim Forum der Berlinale zu Gast und wird ihn am 16., 17. und 25. Februar dem Publikum vorstellen.
Die 1928 in Tbilissi geborene Gogoberidze studierte zunächst Literatur, bevor sie am WGIK in Moskau ein Regiestudium absolvierte. Ihre filmische Laufbahn begann in den frühen 60er Jahren und dauert bis heute an. Dabei verlief ihr Lebensweg keineswegs ohne Brüche. Bereits ihre Kindheit war von Verlusten geprägt. 1937 wurde ihr Vater im Zuge der stalinistischen Säuberungen ermordet und die Mutter für zehn Jahre nach Sibirien verbannt (wovon WALZER AUF DER PETSCHORA erzählt). So wie das Autobiografische oft Eingang in ihre Filme findet, positioniert sie das Politische immer auch im Privaten. Dreh- und Angelpunkt ihrer Filme sind meist Perspektiven von Frauen, die ihr Lebensglück im Schatten von übermächtigen politischen Systemen verteidigen und ihre Eigenständigkeit zu bewahren versuchen. Der Blick richtet sich vor allem auf konkrete Lebensverhältnisse, auch auf den Alltag mit all seinen Mühen, nicht zuletzt der Hausarbeit und der Sorge um Familienmitglieder. Lebenswege sowie schwierige Entscheidungen und moralische Fragestellungen sind ebenso Thema wie die Verortung des Menschen in der Gesellschaft und ganz spezifisch auch die georgische Kultur und Tradition in all ihren Ausprägungen.
Programm
Fr 1.3., 20h, Zu Gast: Lana Gogoberidze, Moderation: Gaby Babić & Di 12.3., 20h
ERTI TSIS QVESH Under One Sky Lana Gogoberidze GSSR 1961 OmeU 85’
Dreimal weibliches Begehren, dreimal eine unerfüllt bleibende Liebe. Der Film spielt zu drei entscheidenden Zeiten des bewegten 20. Jahrhunderts und an drei verschiedenen Schauplätzen, die jeweils Orte der Sehnsucht darstellen: das Schwarze Meer der Adligen Maya, die Dächer über Tbilissi der jungen Nana, die Baustelle einer großen Sporthalle im sich modernisierenden Georgien der Architektin Rusudan. In ihrem der Zensur abgetrotzten Debütfilm erzählt Gogoberidze in expressionistischen Bildern und mit einer sich wie schwerelos bewegenden Kamera von Frauen, die selbstbestimmt ihre Leidenschaft ausleben. Die in Großaufnahme gefilmten ausdrucksstarken Gesichter sprechen von Gefühlen, wenn die Worte versagen.
Sa 2.3., 19h & So 24.3., 20h
ME VKHEDAV MZES I See the Sun Lana Gogoberidze GSSR 1965 OmeU 87‘
In das friedliche Leben eines georgischen Dorfes bricht jäh das Unheil in Form des 2. Weltkriegs ein. Auch wenn die Front weit weg ist, bringt der Tod der gefallenen Söhne und Brüder Schmerz und Verlust mit sich, werden Lebensträume für immer zerstört. Für zwei Menschen aber besteht die ganze Welt nur aus dem jeweils anderen – der Waisenjunge Sosoia und die blinde Khatia, die einander in aufrichtiger Zuneigung zugetan sind. Die Sonne wird zum Sinnbild der Hoffnung: Solange Khatia sie sehen kann, besteht die Möglichkeit auf Heilung. Lana Gogoberidze verfilmte die Novelle von Nodar Dumbadze mit großer Sensibilität und in lyrisch-leichten Bildern.
Sa 2.3., 21h & Fr 15.3., 19h
RAMDENIME INTERWIU PIRAD SAKITCHEBSE Einige Interviews zu persönlichen Fragen Lana Gogoberidze GSSR 1978 OmeU 95‘
Die etwa 40-jährige Sofiko geht ganz in ihrem Beruf auf. Als Journalistin interviewt sie unterschiedlichste Frauen zu ihren Lebensbedingungen und Wünschen und bemüht sich gleichzeitig selbst um eine fragile Balance zwischen beruflicher Erfüllung und familiären Pflichten. Feinfühlig erzählt Lana Gogoberidze in dokumentarisch anmutendem Stil und mit dynamischer Kameraführung von der Verzahnung des Privaten und des Politischen. Mit seinem Fokus auf die alltäglichen Kämpfe einer emanzipierten Frau gilt EINIGE INTERVIEWS ZU PERSÖNLICHEN FRAGEN als einer der ersten feministischen Filme der Sowjetunion.
So 3.3., 20h & Fr 15.3., 21h
OROMTRIALI Full Circle Lana Gogoberidze GSSR 1986 35 mm OmeU 100‘
OROMTRIALI versammelt einen ganzen Reigen lose miteinander verbundener Personen im Tbilissi der Gegenwart. Die alternde, immer noch glamouröse Schauspielerin Manana muss mit dem Verlust von Aufmerksamkeit und von finanziellen Möglichkeiten zurechtkommen, während die 19-jährige Tochter ihren Platz in der Welt sucht. In einem Krankenhauszimmer treffen zwei weitere Personen aufeinander: Mananas alte Freundin Rusudan, die alleine lebt und als Wissenschaftlerin arbeitet, sowie die kleine Anna, die dabei ist, ihre Mutter zu verlieren. Als emotionaler Mittelpunkt dient ein psychologisches Experiment, von dem die Alltagsszenen eingerahmt werden. Die stummen Filmaufnahmen einer Frau regen zu Spekulationen an: Drückt ihr Gesichtsausdruck Liebe, Angst, Wut oder Hass aus? Alles scheint möglich und wirft die Frage auf, wie genau man andere Menschen wirklich wahrzunehmen vermag.
Mi 6.3., 20h & Di 19.3., 20h
WALSI PETSCHORASE Der Walzer auf der Petschora Lana Gogoberidze Georgien 1992 35 mm OmdU 104‘
Explizit autobiografisch erzählt Lana Gogoberidze von den ineinander verwobenen Schicksalen einer Mutter und einer Tochter, die beide ihr Leben unter schwierigsten Umständen allein meistern müssen. Während die Mutter in die Verbannung nach Sibirien geschickt wurde, sucht das elternlos gewordene Kind Anna Zuflucht im alten Zuhause, das nun von einem Geheimpolizisten bewohnt wird. Mit ihrer Angst, aber auch mit Lebensfreude begegnet Anna in den privaten Räumen dem Eindringling, der zwischen Prinzipientreue und gelegentlichem Mitgefühl schwankt.
Fr 8.3., 19h & So 17.3., 20h
DGES GAME UTENEBIA Day Is Longer Than Night Lana Gogoberidze GSSR 1984 OmeU 104‘
Ein Frauenleben im Georgien des 20. Jahrhunderts: Nachdem sie ihre große Liebe Georgi verloren hat, heiratet Eva einen Mann, den sie eigentlich verabscheut. Zudem gerät ihr Leben durch die politischen Verhältnisse unter Druck. Das erst noch fremde, sowjetische Zeitalter bringt neue Feindbilder mit sich, die Kollektivierung hinterlässt Opfer und führt zur Verödung des Dorflebens, intime Wünsche werden vom Weltgeschehen verschlungen. Opulent ausgestattet und vor einer beeindruckenden Bergkulisse gedreht, dienen die Lieder und Spielszenen einer Gruppe von Wanderschauspieler*innen als Kontrapunkt.
Fr 8.3., 21h & Sa 23.3., 21h
ROTSA AKVAVADA NUSHI When Almonds Blossomed Lana Gogoberidze GSSR 1972 OmeU 75‘
Eine Clique von Teenagern trifft sich nach der Schule und unternimmt ausgelassene Ausflüge ans Meer. Im Zentrum steht der charismatische Sportler Zura, der nicht vor Lügen und Tricksereien zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen. Zwar löst sein einflussreicher Vater alle Schwierigkeiten für ihn, doch geht es für Zura darum, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Lana Goboberidze wirft einen zärtlichen Blick auf die moralischen Dilemmata junger Menschen und fängt ihre Unbeschwertheit und übermütige Energie mit viel Musik und einer fast schwebenden Kamera ein.
So 10.3., 19h & Sa 23.3., 19h
PERISTSVALEBA Limits Lana Gogoberidze GSSR 1968 OmeU 83‘
Der lebenslustige Theaterregisseur Givi wird aus seiner Behaglichkeit herausgerissen, als er mit einer Gruppe von Freunden in einer Straßenunterführung Zeuge eines brutalen Verbrechens wird. Voller Gewissensbisse über seine Untätigkeit beginnt er, sein Leben, seine Beziehungen und seine Arbeit radikal zu hinterfragen. Wie kann Kunst geschaffen werden, wenn man dem Leben gegenüber gleichgültig ist? Welche Verantwortung hat jeder Einzelne gegenüber der Gesellschaft? Das schockartige Erlebnis wird zum Auslöser einer tief empfundenen Auseinandersetzung mit der ganz persönlichen Haltung zur Welt.
Mi 13.3.,20h &Do 28.3., 20h
AURZARI SALKHINTESI Commotion Lana Gogoberidze GSSR 1975 russ. OmeU 85‘
AURZARI SALKHINTESI ist ein Musical, begründet in der georgischen Volkskultur und gedreht in der kachetischen Kleinstadt Telawi. „In der Stadt der Freude herrscht eine Kultur des exzessiven Essens – alles dreht sich um Diners, Restaurants, Kochwettbewerbe und die georgische Küche. Makro, eine berühmte Theaterschauspielerin, die ihre große Karriere schon hinter sich hat, kehrt hierhin zurück und möchte ihre Spiritualität mit einfließen lassen. In einem der örtlichen Restaurants eröffnet sie eine Gemäldegalerie und zieht damit die Wut der Restaurantbesitzer auf sich – doch die Stadtbewohner sind begeistert.“ (Gaby Babić)
Do 14.3.,19h &Mi 27.3., 20h
OKROS DZAPI The Golden Thread Lana Gogoberidze Georgien/F 2019 OmeU 92‘
Die verwitwete Schriftstellerin Elene steht kurz vor ihrem 80. Geburtstag. Ihre Familie bewegt jedoch etwas ganz anderes als der bevorstehende Ehrentag. Die Mutter des Schwiegersohns soll bei ihr einziehen, und damit ausgerechnet die Frau, die als Sowjetfunktionärin Elenes Schriftstellerkarriere behindert hatte. Gleichzeitig meldet sich nach Jahrzehnten ihre einstige Jugendliebe Archil wieder. In der großen Wohnung, die erfüllt ist von den Spuren ihres Lebens und die sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes kaum verlassen kann, gibt sie sich ihren Erinnerungen hin und kontempliert sowohl die eigene Vergangenheit als auch die ihres Landes. Zusammen mit Elene durchstreift die Kamera die Wohnung und den Innenhof, wo sie und wir Anteil an den kleinen Alltagsdramen ihrer Nachbar*innen nehmen.
So 31.3., 19h
DEDA-SHVILI AN RAME AR ARIS ARASODES BOLOMDE BNELI Mother and Daughter, or the night is Never Complete Lana Gogoberidze, Ko-Regie: Salome Alexi Georgien/F 2023 OmdU 89’
DEDA-SHVILI AN RAME AR ARIS ARASODES BOLOMDE BNELI ist Erinnerungsarbeit und liebevolle Hommage an Nutsa Gogoberidze, Georgiens erste Filmemacherin, die 1937 im Zuge der stalinistischen Säuberungen als Frau eines „Volksfeindes“ in zehnjährige Verbannung geschickt wurde und nach ihrer Rückkehr weder an ihre Filmkarriere anzuknüpfen vermochte, noch je von ihren Filmen sprach. Getragen von der eindringlichen Stimme Lana Gogoberidzes vermittelt sich nicht nur das persönliche Schicksal eines Kindes, das seine Mutter verlor, sondern auch das einer Frau, die mitsamt ihren Filmen von der (Film)Geschichte vergessen wurde. Was in so einem Leben Trost und Lebensenergie spenden kann, sind menschliche Begegnungen sowie Kunst und Poesie. Lana Gogoberidze greift nicht nur auf Fotografien und Erinnerungen zurück, sondern sucht auch in ihren eigenen Filmen nach Spuren der Mutter. Die persönliche wie kollektive Geschichtsschreibung vollzieht sich auch im Kino.
So 31.3., 21h, Filme von Nutsa Gogoberidze
BUBA Nutsa Gogoberidze GSSR 1930 engl. Zwischentitel 39'
UJMURI Nutsa Gogoberidze GSSR 1935 engl. Zwischentitel 54'
Wir zeigen die beiden Filme Nutsa Gogoberidzes, die lange als verschollen galten und erst vor wenigen Jahren wieder gefunden und restauriert wurden, in einem Programm: BUBA zeigt die Hochgebirgsregion Ratscha, in der die Menschen seit Jahrhunderten ums Überleben kämpfen. Kaum ist die karge Ernte eingebracht, steigen die Männer ins Tal und lassen Frauen und Kinder monatelang der gefährlichen Natur ausgeliefert zurück. Nutsa Gogoberidze überblendet in ihrem poetischen Dokumentarfilm die patriarchale Ordnung mit Bildern einer strahlenden, technisierten Zukunft, rhythmisiert durch eine dynamische Montage und mit eindrucksvollen Aufnahmen von ehrfurchtgebietenden Naturgewalten. Nutsa Gogoberidzes stummer und einziger Spielfilm UJMURI wurde nach seiner Premiere 1934 verboten und setzte ihrer Regiekarriere ein Ende. Die Sümpfe der georgischen Region Mingrelien sollen trockengelegt werden, um die Malaria zu bekämpfen und das Land bewirtschaften zu können. Der lokale Volksglaube macht es dem Modernisierungsprojekt aber schwer. Die Göttin Ujmuri soll in den Sümpfen wohnen und sich allen Eindringlingen widersetzen. Eine Kontrastmontage, die starke Charaktere und harte Lebensumstände effektvoll in Szene setzt, markiert den Kampf zwischen Tradition und Moderne.
Und noch eine Empfehlung:
2019 ist Lana Gogoberidzes Autobiografie Ich trank Gift wie kachetischen Wein im Mitteldeutschen Verlag erschienen, mitherausgegeben vom Arsenal – Institut für Film und Videokunst e. V. Ihre Erinnerungen korrespondieren auf ganz besondere, persönliche Art und Weise mit der georgischen Geschichte sowie der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Foto:
RAMDENIME INTERWIU PIRAD SAKITCHEBSE Einige Interviews zu persönlichen Fragen
Lana Gogoberidze GSSR 1978©rsenal
Info:
Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.
Kino Arsenal 1 & 2 | Potsdamer Straße 2 | 10785 Berlin
Das Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.