another EndInternationale Filmfestspiele Berlin vom 15. bis 25. Februar 2024, BERLINALE, Wettbewerb Teil 8

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Hier geht’s in die Vollen! Zu Beginn der Pressekonferenz zu diesem Film, auf der neben dem italienischen Regisseur Piero Messina) alle wichtigen Schauspieler (der Mexikaner Gael García Bernal, zum 5. Mal auf der Berlinale, die wunderbare Französin aus DER ARTIST, Bérénice Beja, die Norwegerin Renate Reinsve, die Britin Olivia Williams, der Engländer Pal Aron) anwesend waren und sehr emotional von den Dreharbeiten und dem fertigen Film sprachen, kam die Frage auf, ob dieser Film eine Dystopie oder Utopie sei, also ob er eine schreckliche Zukunft oder eine wünschenswerte zeige. Während sich der Regisseur in der Antwort bedeckt hielt, sagen wir ganz klar: furchtbar, so eine Zukunft will niemand.

Denn der Filmtitel vom anderen Ende meint, daß mittels einer speziellen Technologie die gerade Verstorbenen noch einmal lebendig zurückkehren, damit die Zurückgebliebenen von den eigentlich Toten in Ruhe Abschied nehmen können. Allerdings tauchen sie nicht immer in ihrem ursprünglichen Körper auf, sondern ihr Geist, ihr Gemüt kann auch eine andere körperliche Form annehmen, was zu Konflikten führen kann und hier auch führt. Damit ist aber nur eine Richtung des Films beschrieben, in der es um sehr viel mehr geht, was man insgesamt mit unterschiedlichen Liebesbeziehungen umfassen könnte: das stärkste Motiv ist die geschlechtliche Liebe zwischen Mann und Frau, aber es geht massiv auch um Geschwisterliebe, um Mutterliebe, um Vaterliebe und um so etwas wie Familienliebe auch. Kurz gesagt geht es um Liebe, Tod und ein Weiterleben der Gefühle zu Verstorbenen.

Sal (Gael García Bernal) erscheint am Anfang mit leeren Augen, er ist nicht gegenwärtig, sondern seine inneren Augen suchen und sehen nach seiner Frau, die bei einem Verkehrsunfall – er lenkte den Wagen – gestorben ist. Allerdings wird im Film an späterer Stelle davon gesprochen, daß beide Ehepartner ums Leben kamen. Aber Sals Schwester Ebe (Bérénice Bejo) ist bei der Organisation Another End beschäftigt und kann mit Geheimwissen punkten und den Bruder lebendig halten. Der allerdings will immer nach seiner Frau suchen, was zu Konflikten führt. Ihr Vorgehen, nämlich das Lebendighalten von Sal hat Dr. Doyle ( Pal Aron), der die Therapiegruppe mit Sal und anderen leitet, mitbekommen, der sie abmahnt, was sie ihm damit entgegnet, daß sie von seinen Versuchen, dasselbe für seine Toten gemacht zu haben, weiß. Sie haben sich also beide in der Hand, sind neutralisiert.

Letzten Endes ist Ebe die interessanteste Figur im ganzen Film. Sie ist zum einen eine Eingeweihte, weiß um die Mechanismen der Wiederbelebung auf kurze Zeit. Sie liebt ihren Bruder und tut was sie kann. Und das immer wieder, wobei sie ihm jedes Mal sagt, daß sie nun zum letzten Mal helfe. Der Film löst seinen von ihm selbst hergestellten Widerspruch, daß Sal ja eigentlich beim Unfall auch gestorben ist, nun aber als lebendiger Mensch nach seiner verstorbenen Frau sucht, nicht auf.

Inzwischen hat Sal eine Frau getroffen, in der er den Geist seiner Zoe (Renate Reinsve) erkennt, allerdings heißt sie Ava (Renate Reinsve) und ist Nachtclubtänzerin, eigentlich Stripperin. Diese Mischung aus Diskrepanz der Körper und Vertrautsein mit dem Wesen in Ava stürzt Sal von einer Krise in die andere, allerdings auch von einem Glücksgefühl in das andere, als er endlich mit ihr schläft. Sal will den Zustand aufrechterhalten. Der andere Körper – noch dazu ein ansehnlicher – stört ihn nicht mehr, wenn er sein Vertrautsein mit Ava erlebt. Doch ist das Programm ja nur auf Zeit aufgelegt.
Neben dieser Hauptgeschichte geht es aber auch um Juliette, die den Tod ihres Mannes und ihrer Tochter nicht verkraftet, aber auch nicht beide zurückruft, sondern erst ihren Mann, damit sie dann durch ihn gestärkt, die aufmüpfige, gewaltbereite, laute Musik verbreitende Pubertierende erträgt und disziplinieren kann. Die Familie wohnt über Sal, weshalb er wegen der lauten Musik in ihre Sphäre eintritt und wir mit ihm auch.
Vieles bleibt rätselhaft in diesem Film und wurde auch bei der Pressekonferenz nicht aufgedröselt, sondern im Vagen belassen. Schließen wir uns dem an, daß man diesen Film sicher auf verschiedene Weise interpretieren kann. Sicher wird es welche geben, die eine Organisation wie ANOTHER END gut finden und technologisch für möglich halten. Was man aber nach all dem Gerede vom zu frühen Tod, Wiederbelebungsversuche in verschiednen Körpern mit einer eigenen Abteilung der Gedächtnisforschung auf jeden Fall sagen kann: wir Menschen sollten unsere Lebenszeit nutzen, um mit den Menschen, die wir lieben und von denen wir geliebt werden, auch wirklich zu leben.

Foto::
© Matteo Casilli / Indigo Film

Info:
Stab
Regie Piero Messina
Buch Piero Messina, Giacomo Bendotti, Valentina Gaddi, Sebastiano Melloni

Besetzung

Gael García Bernal (Sal)
• Renate Reinsve (Zoe-Ava)
• Bérénice Bejo (Ebe)
• Olivia Williams (Juliette)
• Pal Aron (Doktor Doyle)