In LiebeInternationale Filmfestspiele Berlin vom 15. bis 25. Februar 2024, BERLINALE, Wettbewerb Teil 7

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Am Anfang des Filmes pflückt Hilde Coppi Erdbeeren, am Ende liegt sie unter dem Fallbeil. Diese zwei Szenen machen die Spannweite dieses außergewöhnlichen Werks deutlich: Die Clique um Hilde und ihren neuen Freund Hans, ist keine heldenhafte Widerstandsgruppe. 


Es sind junge Menschen, die Spaß haben wollen, im Wannsee Baden gehen, Liebe machen, Motorrad fahren… Doch sie wollen menschlich handeln, anständig bleiben und legen sich durch illegale Aktionen mit den Nazis an.

Nach dem Erdbeerpflücken wartet die Gestapo bei Hilde zu Hause, sie muss ihre Sachen packen und soll auch „etwas Warmes mitnehmen.“ Die meisten ihrer Aufseher und Wärterinnen sind keine Monster, liebevoll streicht ein Polizist ihren Schwangerbauch und meint, seine Frau sei auch in anderen Umständen. Ein anderer bietet ihr später von seinem Brot an: „Leberwurst?“ Doch die Atmosphäre ist entwürdigend, in der sie sich nackt ausziehen muss und von Wärterinnen untersucht wird. Ihr wird Kollaboration mit dem Feind vorgeworfen. Hochverrat! Es ist das Jahr 1943.

Durchgehend wird ihre Geschichte auf zwei Ebenen erzählt, die ständig wechseln: Einerseits erleben wir die Situation im Knast. Die problematische Geburt des Kindes, das wie ihr Lover auch Hans heißen wird. Wie sie mit dem Baby im Gefängnis lebt. Die Verhöre und Gerichtsverhandlung, schließlich das Todesurteil und die Hinrichtung. Anderseits nehmen wir an dem schönen langen Sommer teil, den Hilde mit Hans und der Clique verbringt. „Wir brauchen deine Hilfe“, meint Hans zum Sommeranfang, daraus wird nicht nur das Besorgen eines Morsegerätes, sondern auch eine wilde Liebesaffäre.
 

Das Morsen will gelernt sein, so erproben Hilde und Hans es nun jeden Tag, am liebsten mit den Fingern auf der nackten Haut des anderen. „Das müssen wir jetzt jeden Tag üben“, kichert Hilde. Der Film ist kein Biopic über sie, sondern ein Spielfilm – aber vieles hat sich genauso ereignet. „Was wir hier gemacht haben ist keine Fiktion“, meint Regisseur Andreas Dresen in einem Interview. Liv Lisa Fries („Babylon“) ist unglaublich in ihrer Rolle als Hilde: Schüchtern, ein wenig ängstlich, manchmal hilflos wirkend, entfaltet sie dennoch eine immense Stärke, die den ganzen Film trägt. Zwar „stolpert sie in diese Rolle hinein“, wie Schauspielerin Fries selbst dazu meint, doch sie ist kein Opfer, sondern eine tapfere Kämpferin.

Aber ebenso wie die anderen jungen Leute wollte sie keine Märtyrerin werden. Dresen sagt dazu: „Bei uns (in der DDR) wurden die Widerstandskämpfer ja heroisiert, sie waren fast Götter, man schaute zu ihnen hinauf.“ Als er das Treatment las, „waren die Helden plötzlich gar nicht mehr so weit weg.“ Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis auf Dresens langjährige Drehbuchschreiberin Laila Stieler, die bereits 2022 für das Skript zu „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ einen Silberbär bei der Berlinale erhielt.

Der Film überwältigt nicht durch Brutalität, Folter und Blut, einige Nazis sind sogar ganz nett, setzen sich über die strengen Regeln hinweg. Das macht jedoch die Distanzierung und Abgrenzung von ihnen manchmal schwer. Durch seine sepiaartigen Farben und die leichte Unschärfe (wie mit einer 35-mm-Kamera aufgenommen) wirkt der Streifen sehr authentisch und zieht uns Zuschauerinnen und Zuschauer tief in das kurze Leben Hildes hinein; lässt uns intensiv teilhaben an ihrem Schicksal.

Am Ende des Films erfahren wir im Nachspann, dass alle gemorsten Berichte über die Situation in Berlin, niemals in Moskau angekommen sind. Sind Hilde und die Leute in ihrer Clique umsonst gestorben, war alles vergeblich? Nein! Sie haben auch andere Aktionen unternommen, Anti-Nazi-Zettel geklebt, Briefe an Angehörige von gefangenen deutschen Soldaten geschickt, versteckten Juden Essensmarken besorgt. Vor allem aber haben sie sich gewehrt, nicht stillgehalten, sich nicht opportunistisch angepasst: Sie haben ihre Würde behalten! „Auch deshalb sollte man von Menschen wie Hilde Coppi erzählen“, entgegnet Andreas Dresen, „es gilt einen inneren Kompass zu haben.“

Zitate 
von Andreas Dresen & Liv Lisa Fries aus dem Interview mit der Berliner Zeitung vom 17. 2. 2024

Foto
Hans & Hilde © Frederic Batier / Pandora Film