poster 195197Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. Februar 2024, Teil 4

Redaktion

London (Weltexpresso) - Łukasz Żal hatte im Laufe seiner Karriere bereits zwei Oscar-Nominierungen bekommen: für die Kameraarbeit an IDA und COLD WAR – DER BREITENGRAD DER LIEBE, zwei Kinodramen seines polnischen Landsmanns Pawel Pawlikowski. Beide Filme waren von Ewa Puszczyńska produziert worden, die nun bei THE ZONE OF INTEREST an der Seite von James Wilson als Koproduzentin fungierte. Żal empfand seine Arbeit in Glazers System als große, aber willkommene Herausforderung: „Es war heftig, doch auf eine positive Art“, sagt er. „Jonathans Arbeitsweise lässt sich folgendermaßen charakterisieren: Zuerst versucht er, sich selbst in eine Kiste zu stecken, und dann will er diese Kiste sprengen. Ich denke, es ist erstaunlich, wie er sich immer wieder dazu antreibt, genau hinzusehen, zu improvisieren und etwas Neues zu finden. Er weiß, was er will, und wenn er es nicht weiß, hakt er nach. Es ist eine sehr ehrliche Zusammenarbeit. Er muss dir vertrauen, aber wenn er dir vertraut, bist du sein bester Freund.“


Weil die Kamera in THE ZONE OF INTEREST die Perspektive eines distanzierten, unbeteiligten Beobachters einnehmen sollte, experimentierten die Filmemacher mit Weitwinkelobjektiven und geometrisch zentrierten Rahmen – mit dem Ziel, jegliche Form von Schönheit aus den Aufnahmen zu verbannen. „Wir wollten, dass die Kamera wie ein neutrales Auge ist“, erklärt Żal, der fast ausschließlich mit natürlichem Licht oder diegetischen Quellen arbeitete, also keine zusätzlichen Scheinwerfer benutzte, sondern nur Lichtquellen, die auch im Bild zu sehen waren, wie zum Beispiel Nachttischlampen oder Kerzen. „Das Wichtigste war, nichts zu ästhetisieren – das verbietet sich bei diesem Thema. Wir haben also versucht, das Bild nie zu manipulieren. Sogar bei der Farbkorrektur haben wir darauf geachtet, dass es flach blieb.“

Auch wenn sich Glazers Entscheidungen auf der konzeptionellen Ebene als richtig erwiesen, brachte die harte Arbeit, die mit der erfolgreichen Umsetzung seines Plans verbunden war, den Regisseur und sein Team an ihre Grenzen – etwa die körperlich anstrengende Set-Einrichtung, die ständige spontane Anpassung des Bildausschnitts oder die schier unlösbare Aufgabe, auf mehrere Monitore gleichzeitig blicken zu müssen. „Es war manchmal sehr frustrierend für mich“, gibt Glazer zu. „Ich saß da und schaute auf zehn Bildschirme! Es gibt eine Szene, in der Hedwig im Wohnzimmer mit ihren Freundinnen beim Kaffeekränzchen sitzt und Rudolf nebenan in seinem Büro mit den Ofenbau-Ingenieuren des Erfurter Familienbetriebes J. A. Topf & Söhne verhandelt, die ihm ihr neues, wesentlich effizienteres Krematoriumskonzept verkaufen wollen, während die Dienstmädchen im ganzen Haus hin und her laufen und im Garten der Villa die SS-Offiziere aus dem Konzentrationslager eintreffen, um auf Rudolfs Geburtstag anzustoßen – und das alles passiert gleichzeitig und wird gleichzeitig gefilmt, noch dazu in einer Sprache, die ich nicht spreche. Das war ziemlich irrsinnig, doch andererseits wusste ich, dass es in all diesen Szenen eine Gleichmäßigkeit des Tons geben würde, die wir auf keine andere Weise hätten erreichen können.“


„Wir kannten uns alle sehr gut“, sagt Żal. „Wir hatten unsere eigene Sprache. Es gab sozusagen eine Art interne Verständigung.“ Trotz seiner erschütternden Erinnerungen an die Dreharbeiten in Auschwitz betont der Kameramann, das Endergebnis sei absolut bemerkenswert: „Meiner Meinung nach wird das Wort ,radikal‘ bisweilen etwas überstrapaziert. Doch ich denke, auf diesen Film trifft es wirklich zu. Er ist radikal wegen der Befreiung, die wir alle empfunden haben.“


Die Renovierung des Hauses

Vielleicht hat niemand aus dem Filmteam mehr zur Verwirklichung von Glazers Vision beigetragen als Chris Oddy, der britische Szenenbildner, der bereits bei UNDER THE SKIN – TÖDLICHE VERFÜHRUNG mit dem Regisseur zusammengearbeitet hatte. Da die Abschottung ein zentrales Thema in THE ZONE OF INTEREST ist, schuf Oddy mit seinen raffiniert konstruierten Sets sowohl ein Produktionsumfeld als auch eine visuelle Welt, die auf klar abgegrenzten Räumen basiert. „Jonathan liebt es, mich herauszufordern“, sagt Oddy. „Von Anfang an wollte er in dem Originalhaus drehen – der reinste Wahnsinn.“
„Die Villa wurde nur wenige Jahre vor dem Einzug der Familie Höß gebaut“, sagt Glazer. „Im Film sollte sie also neu aussehen. Auch Auschwitz sollte neu aussehen. Die Bäume, die jetzt 15 Meter hoch sind, waren damals noch Schößlinge. Alles sah so gut wie neu aus.“

Nachdem Oddy nach Auschwitz gereist war und die tatsächlichen, 80 Jahre alten Überreste der Höß-Villa gesehen hatte, wurde ihm klar, wie groß die Kluft zwischen Konzept und Ausführung sein würde. „Ich wollte das Haus einfach nachbauen“, sagt er. „Ich wollte es von Grund auf neu errichten, und zwar an einem Ort, an dem wir von absolut unberührter Natur umgeben sein konnten.“ Erschwerend kam allerdings hinzu, dass Auschwitz zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden war – eine Auszeichnung, die Bauarbeiten und andere Aktivitäten innerhalb einer 500-Meter-Sperrzone verbietet. „In diesem Bereich darf man nichts verändern“, erläutert Oddy.

 
„Man darf keinen Lärm machen. Man darf das Gelände nicht umgestalten. All das ist verbunden mit dem Welterbe-Status.“ Schließlich entschieden sich Glazer und Oddy für ein verfallenes Gebäude, knapp 200 Meter vom echten Anwesen der Familie Höß entfernt, am Rande eines überwucherten Feldes, das an Auschwitz angrenzte: eine alte Offizierskaserne, die Zentimeter für Zentimeter nach alten Fotos und Plänen wieder aufgebaut werden konnte. Dort ließ sich auch eine Nachbildung von Hedwigs geliebtem Garten in mühevoller Kleinarbeit neu anlegen, bepflanzen und pflegen, mit Hedwigs Satz „Vor drei Jahren war das noch ein Feld“ im Hinterkopf – allerdings mit dem Unterschied, dass das Szenenbildner-Team dafür nur vier Monate Zeit hatte, weil die Dreharbeiten in Auschwitz bereits im Sommer 2021 begannen. Oddy erklärt: „Zuallererst haben wir damals im Februar die Bäume gepflanzt, sie gehegt und dafür gesorgt, dass sie den Transport überlebten. Das Umpflanzen eines Baumes mitsamt seinen Wurzeln ist ein heikles Unterfangen, das leicht schiefgehen kann.“

Die Nachbildung des Hauses der Familie Höß entpuppte sich als gewaltiges Vorhaben, das eine komplette Umgestaltung und Instandsetzung der Innen- und Außenbereiche erforderte. So mussten unter anderem Treppenhäuser und Veranden hinzugefügt werden. „Wir haben die Böden abgeschliffen und poliert, die Wände neu verputzt und die Fenster erneuert“, sagt Oddy. Eine weitere Herausforderung bestand darin, in die Kulissen diverse unsichtbare Räume einzubauen, in denen die Kameras untergebracht werden konnten. „Ich habe einfach berechnet, wie viele Hohlräume ich in dem Haus erschaffen musste“, so Oddy.

Trotz des großen Aufwands wirkt Oddys Arbeit in THE ZONE OF INTEREST äußerst subtil, was seiner Meinung nach der springende Punkt ist. „Fast könnte man meinen, unser Job wäre ein Klacks gewesen“, sagt er über die minimalistische Ästhetik des Films. „Ich habe zu meinem Team gesagt, dass wir just dadurch die Gewissheit bekämen, unser Ziel erreicht zu haben: Wenn man unsere Arbeit nicht sehen kann, dann haben wir sie gut gemacht!“


Dunkle Tage und Nächte

Wenn es ein gemeinsames Gefühl gab, das die Dreharbeiten zu THE ZONE OF INTEREST prägte, dann war es der tief empfundene Eindruck, vom Drehort selbst heimgesucht zu werden. „Ich beschloss, das Konzentrationslager zu besichtigen“, erinnert sich Friedel. „Ich wollte dies vor Drehbeginn tun, als Mensch, als normale Person, als ich selbst. Doch während meines Besuchs hatte ich plötzlich den Eindruck, dass meine Filmfigur die Macht über mich übernahm. Mich beschlich ein äußerst mulmiges Gefühl: ,Das ist mein Schloss, das ist meine Arbeit…‘ Es war seltsam, dies zu tun, aber sehr wichtig.“

Für Żal, der sich dazu entschieden hatte, in einem Wohnwagen am Rande des Drehortes zu campen, hatte die unmittelbare Nähe zum KZ „einen großen Einfluss“, während Oddy „eine unbestreitbare Verbindung“ spürte, als er, wie er es ausdrückt, „von den echten Ziegeln und dem Mörtel von damals“ umgeben war: „Die Geister sind, wenn man so will, alle noch da.“ Glazer ergänzt: „Es herrschte eine sehr seltsame Atmosphäre. Ich erinnere mich, dass ich den Leuten erzählt habe, dass der ganze Film im Grunde genommen von diesem Ort handelt – von seiner Abschottung und seiner Auswirkung auf den Charakter der Menschen.“

Rudolf und Hedwig, die Seite an Seite an der Soła stehen, jenem Fluss, der hinter ihrem Anwesen vorbeifließt, dem Schauplatz so vieler idyllischer Familienausflüge, könnten jedes beliebige Paar sein, das über seine Zukunft nachdenkt. Als er ihr mitteilt, dass er zur Inspektion der Konzentrationslager (IKL) nach Oranienburg versetzt wird, entspringt ihre hartnäckige Weigerung, das Nest zu verlassen, das sie gehütet hat, einer ehrlichen Empfindung: Zuhause ist dort, wo das Herz zu Hause ist – selbst dann, wenn das unmittelbar neben einem Schlachthof sein sollte. Die Überzeugung des Ehepaares Höß, Teil von etwas Größerem zu sein, ist ebenfalls für uns alle nachvollziehbar; in unserem Bestreben, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren (was immer es auch sein mag), tendieren wir Menschen dazu, den Blick stur nach vorn zu richten und nicht woanders hinzuschauen – auch und gerade, wenn die Kollateralschäden unseres Handelns eigentlich klar erkennbar sind. Trotz all seiner Aufnahmen von Abschottung ist THE ZONE OF INTEREST letztlich ein radikal offener Film, der sich weigert, die Tür zu unserer Vergangenheit zu schließen: Sie bleibt geöffnet, für immer – als Mahnmal für uns alle.
    

Foto:
©Verleih

Info:
Stab

Regie & Drehbuch Jonathan Glazer
Romanvorlage       Martin Amis

Besetzung 
Rudolf Höß     Christian Friedel
Hedwig Höß.   Sandra Hüller
Klaus Höß       Johann Karthaus
Hans-Jürgen Höß     Luis Noah Witte
Ingebrigitt Höß.        Nele Ahrensmeier
Heidetraut Höß         Lilli Falk
Annegret Höß           Anastazja Drobniak