Neu auf DVD und als VoD ab Donnerstag, 21. März 2024
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) – Die neunjährige Cáit (Catherine Clinch) soll zum Schuljahresende 1981 zu älteren Verwandten aufs Lands geschickt werden. Ihre Eltern haben bereits vier Töchter und die Mutter (Kate Nic Chonaonaigh) ist schon wieder schwanger. Dabei lebt die Familie in ärmlichen Verhältnissen. Ihre Mutter Mária vergisst schon mal, ihren schulpflichtigen Töchtern die Pausenbrote für die Schule zu machen. Der Vater (Michael Patric) verprasst gerne das Geld beim Spielen und in der Kneipe. So bleibt wenig Geld für zahlreiche hungrige Mäuler.
Cáit selbst ist ein schweigsames Mädchen, das im Haus und in der Schule wenig beachtet wird und noch Bettnässerin ist. Auch in der Schule hat sie Probleme, dem Stoff in Lesen und Rechnen zu folgen. Da sie nicht ″gesehen″ wird, wird sie auch immer wieder von den Mitschülern einfach umgerannt.
Der Vater bringt das Mädchen im Auto zu den entfernten Verwandten ihrer Mutter, zu Eibhlín (Carrie Crowley) und Seán Cinnsealach (englisch: Kinsella) (Andrew Bennett). Dort benimmt er sich wie ein Rüpel und vergisst bei Wegfahren auch noch den Koffer mit Cáits Sachen aus dem Auto zu holen, so dass das Mädchen nur das schmutzige weiße Kleid hat, mit dem sie angekommen ist. Eibhlín gibt ihr einfach passende Kleidung aus einem Schrank in ihrem Zimmer, die in weit besserem Zustand sind ist als die Sachen, mit der sie zu ihr geschickt wurde.
Die Cinnsealachs sind hart arbeitende Farmer, die es zu bescheidendem Wohlstand gebracht haben. Eibhlín kümmert sich behutsam und liebevoll um Cáit und gibt ihr Geborgenheit und Nähe. Das führt dazu, dass das Kind schon bald nicht mehr ins Bett nässt. Eibhlín zeigt ihr auch die kleine, geheime Wasserstelle im Wald, zu der sie täglich mit einem Eimer hinlaufen, um Wasser zu holen.
Allerdings bleibt das Verhältnis zu Seán distanziert, auch wenn er immer mal wieder kleine Süßigkeiten für sie liegen lässt, bis Eibhlín mal ein paar Tage verreisen muss und Seán sich von dem Mädchen bei der Arbeit mit den Tieren helfen lässt. Dadurch öffnen sich das ruhige Kind und der zurückhaltende Mann ganz langsam. Als Seán Cáit eines Tages zum Briefkasten am Ende einer langen Allee schickt, sieht man wie das Mädchen befreit lächelt und langsam beginnt, ihre eigenen Stärken zu erkennen.
Auch wenn Mrs Cinnsealach davon gesprochen hat, dass es in dem Haus keine Geheimnisse gäbe, spürt Cáit doch, dass dort eine Stille herrscht, die auf einen dauernden Schmerz seiner Bewohner hindeutet. Es dauert aber noch einige Zeit, bis das Kind nach einen Gespräch mit der klatschsüchtigen Nachbarin dahinter kommt, was das traurige Geheimnis dieser Familie ist und woher die Kleider kommen, die sie getragen hat.
Doch dann erhält Cáit von ihrer Mutter einen Brief, dass ihr Brüderchen geboren wurde und dass sie wieder zurück nach Hause kommen kann. Eibhlín und Seán müssen sie zurück zu ihrer Familie bringen, deren Freude über ihre Rückkehr sich aber in Grenzen zu halten scheint…
″The Quiet Girl″ ist der erste irische Film, der 2023 für einen Oscar als bester internationaler Film nominiert wurde (da in überwiegenden Teilen des Films nicht Englisch, sondern Gälisch gesprochen wird). Er hat dann allerdings gegen den deutschen Kriegsfilm ″Im Westen nichts Neues″ verloren. Neben sieben Auszeichnungen bei den Irish Film and Television Awards 2022 erhielt der Film z.B. Nominierungen als Bester fremdsprachiger Film und für das Beste adaptierte Drehbuch bei den British Academy Film Awards 2023. Kate McCullough erhielt beim Europäischer Filmpreis 2022 eine Auszeichnung mit dem Excellence Award für die Beste Kamera.
Das Drama basiert auf der Kurzgeschichte Foster von Claire Keegan, die zuerst im Februar 2010 in zwei Teilen in der Printausgabe des New Yorker veröffentlicht wurde. Eine erweiterte Fassung erschien dann im gleichen Jahr als eigenständiges Buch. Regisseur des Films ist Colm Bairéad in seinem Spielfilmdebüt; er hat auch selbst das Drehbuch verfasst.
″The Quiet Girl″ ist eigentlich eine sehr einfache Geschichte, in der nicht allzu viel passiert, doch es ist ein sehr gelungenes Beispiel für einen Film der leisen Töne. Blicke und Gesten genügen, um die Geschichte eines jungen Mädchens zu erzählen, das während der Sommerferien ihr deprimierendes Zuhause verlassen darf und erst langsam im Haus ihrer Pflegeeltern auftaut. Dabei verändert sich aber nicht nur Cáit, sondern auch Eibhlín und Seán Cinnsealach hilft der Besuch, über einen eigenen Schicksalsschlag hinweg zu kommen.
Die Veränderung Cáits wird auch vom Regisseur bildlich dargestellt, denn in dem Moment als sie zum Briefkasten rennt, verbreitert sich das Bildformat des Films. Hier zeigt sich endlich der wahre Befreiungsschlag für das Mädchen. Die junge Catherine Clinch spielt die Veränderung Cáits ganz hervorragend vom vernachlässigten Mädchen, das in der erstickenden Enge der düsteren und dreckigen Hütte mit physisch und finanziell überforderten Eltern lebt, zu einen Kind, das durch die liebevolle Fürsorge und Zuneigung eines kinderlosen Paares sich zaghaft öffnet und dadurch sowohl ihre schulischen als auch persönlichen Probleme hinter sich lassen kann. Dabei spiegelt sich Cáits Unglücklichsein wegen ihrer häuslichen Verhältnisse in der stummen Trauer ihrer Pflegeeltern Eibhlín und Séan über ihren verstorbenen Sohn. Beide Pflegeeltern werden wundervoll zurückhaltend von Carrie Crowley und Andrew Bennett gespielt.
Insgesamt erzählt Regisseur Colm Bairéad in seinem ruhigen irischen Familiendrama mit klaren, kühlen Bildern von der emotionalen Vernachlässigung und der Kraft der bedingungslosen Liebe. Dabei ist der Film aber bei aller Emotionalität nie kitschig, sondern er entwickelt in ruhigen Bildern das Trauma eines Kindes und ansatzweise auch das eines Ehepaares. Das wunderschöne Drama liefert zum Schluss zwar ein offenes, dafür aber ein extrem hoffnungsvolles Ende. Das alles macht ″The Quiet Girl″ zu einem Geheimtipp, den man unter keinen Umständen zu Hause versäumen sollte.
Foto 1: Cover DVD © Neue Visionen Filmverleih GmbH / EuroVideo
Foto 2: Catherine Clinch als Cáit und Carrie Crowley als Eibhlín Cinnsealach © Neue Visionen Filmverleih GmbH
Foto 3: Carrie Crowley als Eibhlín Cinnsealach, Catherine Clinch als Cáit und Andrew Bennett als Seán Cinnsealach © Neue Visionen Filmverleih GmbH
Foto 4: Catherine Clinch als Cáit und Andrew Bennett als Seán Cinnsealach © Neue Visionen Filmverleih GmbH
Info:
″The Quiet Girl″ ist ab Do. 21.03.2024 als DVD und als VoD im Handel erhältlich. Die Sprachfassung ist in Deutsch & Irisch in Dolby Digital 5.1. Die Untertitel sind in Deutsch. Das Bildformat der DVD ist 1,33:1.
The Quiet Girl (Irland 2022)
Originaltitel: An Cailín Ciúin
Genre: Drama, Romanverfilmung
Filmlänge: ca. 95 Min.
Regie: Colm Bairéad
Drehbuch: Colm Bairéad nach der Kurzgeschichte Foster von Claire Keegan (2010)
Darsteller: Catherine Clinch, Carrie Crowley, Andrew Bennett, Michael Patric, Kate Nic Chonaonaigh u.a.
Verleih: Neue Visionen Filmverleih GmbH
Vertrieb: EuroVideo
FSK: ab 12 Jahren