Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. April 2024, Teil 2
Redaktion
Wien (Weltexpresso) - Weinviertel. Klingt malerisch. Man denkt an eine kultivierte, hügelige Landschaft, endlose Reihen von sich aneinanderreihenden Weinreben, die sich in langgezogenen Strängen über die Berge erstrecken. An einigen Stellen windet sich ein Fluss durch die steilen Hänge. Doch mit dieser Beschreibung landen wir schnell im floskelhaften Fuselbereich von Wanderführern. Und eine solche Idylle könnte im Kino sehr schnell zu einer grünen Hölle werden, die die Augen ermüdet und aussieht wie Tourismuswerbung.
Das nördlich von Wien, in Niederösterreich gelegene Weinviertel zeigt sich insbesondere im nordöstlichen Teil, an der Grenze zu Tschechien und der Slowakei, von einer anderen, wenig idyllischen Seite. Landschaftlich eher schnörkellos. Keine Berge, eintönige Felder, viel Himmel, geprägt durch Straßendörfer mit kleinen, eingeschossigen Häusern. Keine Blumen vor den Fenstern, keine Menschen auf der Straße. In ihrer Trostlosigkeit erinnern die Dörfer an Westernstädte. Es gibt zwar keine Cowboys, Saloons und Schießereien. Aber immer viel Wind und deswegen wäre es dann doch nicht überraschend, würde hier ein Strohballen über die leere und einzige Straße wehen.
Hier war gleich hinter den Äckern der eiserne Vorhang, hier war nie Tourismus, hier wurde wenig investiert. Das prägt die Filmschauplätze: Eine Arbeitersiedlung aus den Fünfzigerjahren in Laa an der Thaya sieht aus, als wäre die Zeit stehengeblieben. Ein Bäckereicafe in Stronsdorf ist der letzte übrig gebliebene Treffpunkt des Ortes. Die Menschen, die in diesen Ortschaften leben, sind meist dort geboren, aufgewachsen und fest verwurzelt. Aber viele Junge arbeiten in Wien, viele ziehen auch ganz dorthin. Die Alten bleiben übrig, und nicht alle sind mehr zu zweit: einsame Männer und Frauen, die in ihren alten Bauernhöfen und Reihenhäusern leben wie in Burgen verschanzt. Viele haben Alkohol gebunkert, die Männer auch die eine oder andere Waffe. Hier passiert nie etwas, trotzdem sind Angst und Sicherheitsbedürfnis groß. Zeit ist für die Menschen hier kein Faktor. Worte sind es ebenso nicht, denn geredet wird eh nur wenig und weglaufen kann man sowieso nicht.
Der Kreisverkehr in Unterstinkenbrunn, ebenso im nordöstlichen Weinviertel gelegen und auch als „Zwiebeldorf“ bekannt, liefert vermutlich das prägnanteste, bildnerische Element des Films. In der Mitte des Kreisels platziert, ist das 6,5 Meter hohe „Große Zwiebelchen“. Der Künstler Leo Schatzl hat diese Skulptur in der Form einer großen stilisierten Zwiebel geschaffen. Eine inhaltliche Parallele lässt sich zu den Zwiebeltürmen barocker Kirchen ziehen, die eine Vielzahl der Städte und Dörfer des katholischen Österreichs prägen. Andere Assoziationen? Bitte schön! Würde man jedoch einen Roadtrip durch Österreich unternehmen, umrundete man eine Menge weiterer und ähnlich überdimensionierter Skulpturen: eine Erdölpumpe, einen Golfschläger, einen Dinosaurier oder aber einen Salzstreuer. Der Kreisverkehr als Marketinginstrument. Österreich eben.
Eine besondere Bedeutung kommt dem Ort Neumarkt an der Ybbs zu. Dort liegt das „Tanz Royal“. In den Achtzigerjahren war das eine hippe Disco. Damals hieß das Lokal „Herrenhaus“, aber dann ist gegenüber an der Autobahnabfahrt ein Puff eingezogen, und man hat sich umbenannt, um Verwechslungen zu vermeiden. Inzwischen ist die Disco ein Singletreff und dieselben Leute, die damals ihre ersten schüchternen Erfahrungen mit der Liebe machen durften, kommen jetzt wieder dorthin. Genauso herausgeputzt und erwartungsvoll wie damals, um noch einmal alles in den Kampf zu werfen gegen die Einsamkeit.
Jede Provinz hat auch ihr Zentrum. In Niederösterreich ist das St. Pölten. Keine bürgerliche Landeshauptstadt wie Graz oder Salzburg. Eher eine aufgeblähte Kleinstadt – ähnlich wie Bielefeld zwar schön, aber nicht wirklich interessant. Gedreht wurde nicht im barocken Teil der Stadt, sondern im modernen Regierungsviertel, erbaut in Neunzigern. Anthrazitfarbene Architektenträume an der Ausfallstraße. Am Tag bevölkert von Regierungsbeamten in Businessoutfit, in der Nacht vollkommen verlassen. Niederösterreich bietet eben manchmal nur die Wahl zwischen Not und Elend…
Über die Musik – „Nahuel Huapi/Daydrinking“ von Bilderbuch
Wer wünscht sich nicht ein Leben wie im Bilderbuch? Es erscheint kaum als Zufall, dass der Song „Nahuel Huapi/Daydrinking“ von Bilderbuch immer dann ertönt, wenn Andrea im Auto sitzt. Dann ist sie weit weg von ihrem Alltag, dem störrischen, alternden Vater, der Dorfgemeinschaft, die alles beäugt und scheinbar wohlwollend kommentiert, dem tödlichen Unfall.
Auch wenn sich die Schauplätze des Songs weit weg befinden, das Lied schickt Andrea auf einen Roadtrip in hoffnungsvolle Träumereien. Träume von einem anderen Leben, von einem anderen Ort als den, an dem man gerade ist. „Nahuel Huapi/Daydrinking“ ist Andreas Hymne. Wenn das Lied erklingt, ist da Hoffnung. Sie taucht ein in einen paradiesischen Ort, wo sie im Moment sein kann. Zumindest für einen kurzen Augenblick – einen Augenblick des Glücks. Auch wenn dieser nur eine Autofahrt lang währt. Haben Sie ebenso den Wunsch nach Eskapismus? Dann hier reinhören und mitsingen.
Begleitmaterial – Der Drink zum Song „Nahuel Huapi/Daydrinking“
Sober Daydrinking
„No Double Trouble“ – Free Gin Tonic
Zutaten
Alkoholfreier Gin (4 cl)
Tonic Water (16 cl)
Limettensaft (10 cl)
Limette (1 Stück)
Eiswürfel
Zubereitung
Longdrinkglas mit Eiswürfeln füllen
alkoholfreien Gin eingießen
mit Tonic Water auffüllen
und mit Limette garnieren
Eigenschaften
Verhindert die Teilnahme an Jackass-Mutproben
Bester Grund keinen schlechten Wein trinken zu müssen
Ihre Krankenkasse wird sich freuen
Foto:
©Verleih
Info:
BESETZUNG
Andrea Birgit Minichmayr
Franz Josef Hader
Georg. Thomas Schubert
Walter. Robert Stadlober
Andreas Vater Branko Samarovski
Andy Thomas Stipsits
STAB
Regie Josef Hader