dingeSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. April 2024, Teil 1

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Vier Jahre nach der ersten Zusammenarbeit zwischen Quad Productions und Mélanie Auffret bei „Roxane“ und einer vertrauensvollen Beziehung, war es nur folgerichtig, dass sich die Pariser Produktionsfirma und die Filmemacherin auch für ihren zweiten Film, ES SIND DIE KLEINEN DINGE, wieder zusammenschlossen. Die Produktionsfirma hat sich die Unterstützung von Projekten junger Autoren und Filmemacher auf die Fahne geschrieben. Der Entschluss, Mélanie Auffret auch bei ihrer zweiten Regiearbeit zu begleiten, war schnell gefasst.

„Roxane“ erzählte anhand des theaterbegeisterten Geflügelzüchters Raymond, wie man mit einer unkonventionellen, aber ehrlichen Idee aus seiner Komfortzone treten und in Gemeinschaft Berge versetzen kann. Schon diese mit viel Herz und menschlicher Anteilnahme erzählte Geschichte um einen bretonischen Familienbetrieb war bereits in der Welt der Landwirtschaft und Bauern angesiedelt. Mit ihrem neuen Film, ES SIND DIE KLEINEN DINGE greift Mélanie Auffret den Faden wieder auf und wirft erneut einen optimistischen und authentischen Blick auf die ländliche Welt, fernab der Zentren und Metropolen des Landes. Die Filmemacherin selbst stammt aus einer Gegend der ländlichen Region der Bretagne und ließ sich für ihren Film erneut inspirieren vom Alltag ihrer Verwandten und den  Menschen, mit denen sie aufgewachsen ist. ES SIND DIE KLEINEN DINGE ist ein Stoff, dem es gelingt, auf eine leichte Weise wichtige gesellschaftliche Probleme anzusprechen. Im Mittelpunkt der Handlung stehen zwei charismatische Figuren: Alice, die von Julia Piaton gespielt wird, ist die junge Bürgermeisterin und Lehrerin des fiktiven kleinen Dorfes Kerguen in der Bretagne (in Realität heißt das
Dorf Le Juch). Émile, von Michel Blanc verkörpert, ist ein hitzköpfiger 65-jähriger Analphabet, der sich als neuer Schüler in Alices Schulklasse drängt, mit dem erklärten Willen, endlich Lesen und Schreiben
zu lernen.

Bisher hatte sich Émile stets auf seinen Bruder Christian verlassen, mit dessen Hilfe es ihm möglich war, seinen Analphabetismus zu kaschieren. Doch seit dessen Tod ist das Leben in der heutigen Welt für ihn fast unmöglich geworden: Die Briefe und Rechnungen stapeln sich in seinem Haus, er weiß nicht, was er damit anfangen soll. Die anfängliche Spannung und dann zunehmende Freundschaft zwischen
diesem so unterschiedlichen Duo, Alice und Émile, lässt den Film zu einer berührenden Komödie werden, die ernste Themen vor dem Hintergrund ländlicher Verödung behandelt. Die Situation in
Kerguen ist in der Tat kritisch. Das Dorf zieht niemanden mehr an, die Geschäfte schließen eines nach dem anderen, und sogar die Schule steht kurz davor, aufgrund des eklatanten Schülermangels
geschlossen zu werden: Gerade einmal zehn Kinder zählt die Gemeinde noch. Um als Schule weiter anerkannt zu werden, muss die Klasse aber aus mindestens 13 Schülern bestehen.

Das Drehbuch erzählt zwar eine universelle Geschichte, nimmt aber vor allem den Alltag einer Bürgermeisterin eines bretonischen Dorfes in der heutigen Zeit unter die Lupe. Alice ist an allen Fronten
präsent und jongliert mit ihren Aufgaben: mal ist sie Eheberaterin, mal Straßenarbeiterin, mal Vermittlerin bei Nachbarschafts-streitigkeiten... Stets muss sie auf mehreren Hochzeiten tanzen – ein
ungewöhnliche, aber jederzeit nachvollziehbare Filmheldin, die vor allem eine unbestreitbare Realität widerspiegelt: Die ländlichen Gebiete Frankreichs leeren sich, die Schulen schließen und die Geschäfte
ziehen an den Stadtrand – Stichwort: Landflucht. Alice weiß, dass die Rettung ihres Dorfes auch die Rettung einer ganzen Gemeinschaft bedeuten würde. Dieser hartnäckige Kampf, der im Mittelpunkt
des Films steht, wird mit ebenso großem Optimismus und Humor behandelt, wie Auffret ihn bereits in „Roxane“ eingesetzt hatte. Er ist in den regionalen und familiären Werten verankert, die auch Mélanie 
Auffret vertritt, und entspricht jener Art von aufrichtigem Kino, das sie seit Beginn ihrer Karriere antreibt.

Der Film erzählt aber auch eine andere Geschichte, nämlich die einer erstaunlich aktuellen und weitgehend unbekannten Notlage. Er wirft ein Schlaglicht auf den Analphabetismus, von dem heute in
Frankreich nach wie vor mehr als 2,5 Millionen Menschen betroffen sind. Mit Émile, einem vom Leben gebeutelten bretonischen Arbeiter, wirft Mélanie Auffret ein Schlaglicht auf dieses Handikap, das die
Betroffenen in ihrem Alltag stark behindert. Diese Menschen befinden sich in einem ständigen Kampf, durchaus auch mit sich selbst: In einer Welt, in der alles geschrieben steht, wird es ihnen unmöglich
gemacht, die kleinsten Dinge zu verrichten. Grundlegende Aktivitäten sind ihnen verwehrt. Es ist ihnen unmöglich, den Führerschein zu machen, die Rechnungen zu lesen... Ohne Zugang zu Arbeit, ohne
Zugang zu Kultur entgeht Émile eigentlich alles, was das Leben lebenswert macht. Seine eigene Unsichtbarkeit ist Sinnbild für die Unsichtbarkeit der ländlichen Bevölkerung.

Besonders stolz ist Quad Productions auf den erstklassigen Cast, der für ES SIND DIE KLEINEN DINGE zusammengestellt werden konnte. Leinwandlegende Michel Blanc bereichert den Film mit seinem
Temperament und seinem ausgeprägten Talent für Komödie, und Julia Piaton verkörpert mit ihrer Sanftheit und Entschlossenheit eine Bürgermeisterin, die stolz auf das von ihr Geleistete ist.
So ist ES SIND DIE KLEINEN DINGE eine Reise ins Herz unserer Werte: Familie, Solidarität, kollektives Überleben. Der Film bietet ein Eintauchen in das Herz der Bretagne, aber auch ein Eintauchen in die
Realität, die Tausende von Menschen in Frankreich erleben. Ein Kampf um Zugang zu Kultur und Worten.