Hanswerner Kruse
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auch dieser Film wurde vom Institut präsentiert. Er ist ein deutsch-französischer Film, den auch Belgien mitproduziert hat und nicht ganz verständlich, warum bei der gemeinsamen Koproduktion kein deutscher Titel vorhanden ist, wird doch das Original auf Deutsch gesprochen, mit französischen Untertiteln. Dieser Film lief auf der diesjährigen Berlinale und schildert einen Jugendaustausch von Lena in Leipzig, zu der erst Fanny aus Straßburg kommt, und wo Lena dann nach Straßburg reist. Sehr interessant, die unterschiedlichen Elternhäuser, Frau-Mann-Beziehungen. Aber im Kern geht es um die beiden Mädchen.
Die französische Austauschschülerin Fanny wird alleine am Leipziger Bahnhof von Lenas Mutter Susanne abgeholt. Denn die Tochter und Aktivistin muss unbedingt auf eine wichtige Friday-for-Future-Demonstration gehen. Erschöpft von der Reise, einsam und etwas unglücklich, schläft sie in der Fremde ein.
Fanny (Lilith Grasmug) ist schüchtern, zurückhaltend - und suizidal, weil sie in der Schule gemobbt und gedemütigt wird, wie sie ziemlich bald Lena (Josefa Heinsius) erklärt, die sie unsanft aufweckt. Später trinkt Susanne (Nina Hoss) Wein, trinkt überhaupt ganz gerne, wie wir im Laufe des Films merken. Der Gast bekommt ebenfalls etwas ab und beide bekommen von Lena zu hören: „Na, besauft ihr euch?“ Der Umgangston in der Familie ist ruppig, noch schlimmer wird es, als einige Tage später Susannes Ex-Mann - der seine Tochter nicht wollte und es sie immer noch spüren lässt - und die Großeltern kommen auch. Sie finanzieren das Leben der Tochter und Enkelin, leiten daraus natürlich das Recht ab, sich mächtig einmischen zu dürfen. Das Treffen endet im Chaos, weil Fanny sich mal getraut hat, mit dem Ex im Garten Twist zu tanzen und Susanne ihn ankreischt: „Du kannst sie doch gleich hier ficken.“
Die dargestellten Familienverhältnisse sind mittlerweile wohl „normal“ geworden: geschiedene Eltern, Patchwork-Familien, Alleinerziehende – und sind auch in anderen Coming-of-Age-Filmen auf der Berlinale präsent. „Langue Étrangère“ hätte in Generation laufen können oder umgekehrt, manche Streifen mit ähnlicher Problematik, finden sich ebenfalls in der Sektion Kinder- und Jugendfilme.
Bei diesem Familientheater möchte auch Fanny mithalten und erzählt von ihrem Vater, der heimlich mit einer anderen Frau eine Tochter hat. Ihre Halbschwester hätte einmal Kontakt mit Fanny aufgenommen, aber seitdem sahen sich die beiden nicht mehr wieder. Bis zum Ende des Films ist Lena von der Idee besessen, die beiden zusammenzubringen. Als Fanny sich mal wieder schlecht fühlt und heulend ihre Mutter anruft, meint sie hinterher: Das sei ihre schwangere Freundin gewesen, die keine Abtreibung machen dürfe. Nach dieser (für uns Zuschauende) eindeutigen Lüge, keimt langsam der Verdacht auf, dass die junge Französin vielleicht häufiger nicht die Wahrheit sagt.
Doch über diese Probleme und Auseinandersetzungen kommen sich die beiden Mädchen einander näher, Lena kann sich munter engagieren, was sie gerne tut, und Fanny fühlt sich angenommen. Auf einer Party im Garten schmusen und knutschen sie beide mit einem Typen, wer weiß, was noch passiert wäre, hätte nicht der Haushund das Liebesspiel unterbrochen.
Nach einem harten Schnitt sehen wir Lena nun doch in Straßburg ankommen, hier sind die Familienverhältnisse nicht prickelnder als in Leipzig. Ihre Eltern streiten sich und misstrauen einander. Fanny fängt mächtig Krach mit ihnen an, wohl auch um ihre Besucherin zu beeindrucken. In der Schule wird Lena gleich durch den Nazigruß empfangen und mitgemobbt. Ein schöner Empfang, denkt man, aber natürlich kann sich die Deutsche besser wehren und Respekt verschaffen. Intensiv betreibt Lena die Suche nach der – vielleicht nur angeblichen – Schwester, sie streifen durch Clubs, nehmen an Demonstrationen teil, suchen sie mit Flugblättern. Denn Fanny hatte sich auf einem Demonstrationsbild im Internet eine Schwester ausgeguckt.
Irgendwann liegen die beiden jungen Frauen des Nachts auf einer Wiese in der Nähe des Clubs, in der sie gesuchte Schwester vermuteten. Sie schmusen und küssen sich, Fanny gesteht ihre Lüge mit der Schwester und bekennt ihre Liebe zu Lena. Nach einem harten Schnitt geht die junge Deutsche heulend in den Straßburger Bahnhof, aber das Ende der Erzählung bleibt offen:
Weint sie, weil Fanny sie belogen hat? Oder weil sie gehen muss? Fanny jedenfalls hat Kraft geschöpft, das spürt man, und sie hat ihre Lebenslust entdeckt. Die beiden Frauen sind sinnlich und lustvoll miteinander umgegangen, aber ihre sexuelle Orientierung wird durch den Film freundlicherweise nicht thematisiert.
Sie nehmen uns mit auf eine spannende Reise zueinander, in ihre Familien und Lebenswelten, die sich in Leipzig oder Straßburg kaum unterscheiden. Ihre behutsame Annäherung, das Entdecken jugendlichen Begehrens ist glaubwürdig. Nina Hoss als etwas überdrehte Susanne ist köstlich und die „Tochter“ Josefa Heinsius ist ihr aus dem Gesicht geschnitten, sie hat die gleiche Sprödigkeit und Verletzlichkeit, wie wir sie von Nina Hoss kennen. Sie könnte wirklich deren Tochter sein…
Es ist Josefas erste Filmrolle, ein beeindruckender Start in die Kinowelt.
Foto:
Fanny & Lena © Les Films de Pierre
„Langue Étrangère“, F, D, B 2024. 105 Minuten. Regie und Buch Claire Burger mit
Lilith Grasmug (Fanny)
Josefa Heinsius (Lena)
Nina Hoss (Susanne)
Chiara Mastroianni (Antonia)
Jalal Altawil (Anthar)