f3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos am 11. Juli 2024, Teil 4

Corinne Elsesser

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein Film, der die entscheidenden Momente des Dritten Reichs in den Fokus nehmen will, wird sich immer an der Filmgeschichte messen müssen, an Meisterwerken wie "Der Untergang" von Oliver Hirschbiegel von 2004 oder "Das radikal Böse", einem Film von Stefan Ruzowitzky von 2014.

Mit ersterem verbindet der neue Film von Joachim A. Lang - ein Bertolt Brecht Kenner, dessen Film "Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm" 2018 anlief - das intensive, aus der Nähe betrachtete Portrait des Führers Adolf Hitler, mit dem zweiten das erschreckende, selten gezeigte Archivmaterial über die Verbrechen der Nationalsozialisten in Galizien und der Westukraine. Diesen Bogen zwischen persönlichem Portrait und nachrichtlicher Dokumentation aufzuspannen gelingt Lang überzeugend.
Das historische Geschehen wird aus der Sicht der Täter erzählt, aus einer Innensicht, die es ermöglicht, deren Intentionen zu verstehen und zu analysieren. Der innere Zirkel um Adolf Hitler bestand aus einem kleinen Kreis effektiv arbeitender Getreuer, die die Worte ihres Führers entschlossen umsetzten. Im Mittelpunkt stand Joseph Goebbels, der als Propagandaminister strategisch und gezielt fast das ganze deutsche Volk auf Linie zu bringen und für die Ideen des Dritten Reichs zu verführen verstand. Goebbels wurde zur unverzichtbaren rechten Hand Adolf Hitlers.

Der österreichische Schauspieler Robert Stadlober liefert in dieser Rolle eine überzeugende Interpretation und bleibt bis ins Detail seiner Bewegungen glaubwürdig, wenn er zum Beispiel das Hinken seines Vorbilds so feinsinnig darstellt, dass das Verbergen des Gehfehlers insgeheim noch zu bemerken ist. Und sein Einüben einer Rede vor dem Spiegel wird abrupt mit der authentischen Schwarz-Weiss-Dokumention eben dieser Rede vor den versammelten Massen konfrontiert und erweist sich dadurch umso eindringlicher als ausgeklügelte Inszenierung. In einer präzis gestalteten Schnittfolge (Montage: Rainer Nigrelli) verwebt der Film verfügbares Archivmaterial - private Aufnahmen von Wehrmachtssoldaten, Wochenschaufilme oder Ausschnitte aus Filmen Leni Riefenstahls - mit dramatisierten Szenen, die das Geschehen zuspitzen und intensivieren und wieder in die inneren Entscheidungszirkel der Macht führen.

Die Ungeheuerlichkeit der Entscheidungen tritt noch einmal deutlich vor Augen, wenn Hitler beim täglichen Mittagessen mit Joseph Goebbels, Hermann Göring (Oliver Fleischer), Heinrich Himmler (Martin Bermoser), Joachim von Ribbentrop (Emanuel Fellmer) und anderen fast lapidar den Entschluss äussert, "die Juden müssen weg, die müssen ganz vernichtet werden", und dies als Wort des Meisters sogleich mithilfe des perfekt funktionierenden Systems umgesetzt wird. Historische Filmsequenzen folgen darauf in einem harten Schnitt als erschütternde Beweisführung.

Aufgrund der Innensicht wird ein wenig mehr ermessbar, wie hunderttausende, ja wie ein ganzes Volk dazu gebracht werden konnte, dem Führer aus Überzeugung und mit Inbrunst zu huldigen, in Massen die Alleen zu säumen, um Adolf Hitler bei seiner Rückkehr aus Paris zuzujubeln. Die Figur Goebbels’ macht zudem den bedingungslosen Gehorsam als Voraussetzung für das Funktionieren des Systems anschaulich. Bis ins Private reicht diese Treue. Als Goebbels’ Ehe mit Magda (Franziska Weisz) an einer Affaire mit der tschechischen Schauspielerin Lída Baarová (Katia Fellin) zu zerbrechen droht, ist er bereit, die Liebesaffaire zu beenden, nur weil der Führer es so wünscht. Umgekehrt weiss dieser sehr genau, wieviel er seinem Verführer zu verdanken hat.

Ausschnitte aus Interviews mit Überlebenden wie Margot Friedländer, Charlotte Knobloch, Elly Gotz oder Leon Weintraub vermitteln einen Blick aus jüdischer Sicht auf die Ereignisse.
In der Rolle Adolf Hitlers war Bruno Ganz in "Der Untergang" schauspielerisch nicht zu übertreffen. Deshalb war die Wahl des eher aus dem Fernsehen bekannten österreichischen Schauspielers Fritz Karl ("Der Schutzengel", "Sugarlove") als Hitler eine kluge Entscheidung, ging es jetzt doch weniger um die subjektive Interpretation als vielmehr um die dokumentarische Wiedererkennbarkeit der historischen Figur.
Auf dem diesjährigen 41. Filmfest in München wurde "Führer und Verführer" mit dem Publikumspreis für den besten deutschen Film ausgezeichnet.

Info:
Führer und Verführer, Deutschland, Slowakei 2023
Regie: Joachim A. Lang
Kamera: Klaus Fuxjäger, ACK
Montage: Rainer Nigrelli, BFS
Besetzung: Robert Stadlober, Fritz Karl, Katja Fellin, Franziska Weisz u.a.
135 Minuten