Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß dieser iranische Film, der auf der diesjährigen Berlinale lief, keinen offiziellen BERLINALE- Preis bekam, konnten Cineasten nicht verstehen. Wie gut, daß es Filmkritiker gibt! Denn die haben diesen Film nicht nur gut besprochen und ihn zum Favoriten erklärt, sondern haben ihn als Gilde der Filmkritiker auch mit dem Firescipreis bedacht. Zudem erhielt er auch den Preis der Ökumenischen Jury. Er verdient ihn auch. Es ist eine kleine, sehr menschliche Geschichte über eine ältere Frau, wo man sich wieder einmal fragt, wie es kommt, daß iranische Regisseure solche wunderbar menschlichen Filme drehen, so als ob es in den Genen läge. In der Tat sind fast alle iranischen Filme etwas Besonderes.
Eigentlich könnte man hier die Erklärung zur BERLINALE veröffentlichen, die die iranischen Filmemacher Maryam Moghaddam & Behtash Saneeha deshalb schriftlich abgaben und die von Lily Farhadpour, der Schauspielerin im Film, zu Beginn der Pressekonferenz verlesen wurde, weil der Iran die Regisseure nicht ausreisen ließ, die Schauspieler schon. Und darum tun wir das auch, wie man an den vorangegangenem Artikel sehen kann! Diese Erklärung ist so klug wie empathisch und ist das I-Tüpfelchen zu diesem, wie soll man sagen, am besten schlicht: menschlichen Film, einem Film über zwei alternde Siebzigjährige, eine dickliche ältere Frau im eigenen Haus und Garten mit Tochter und vielen Freundinnen und einen Mann, der als Taxifahrer arbeitet und nie gebunden war. Beide sind einsam und es ist der List und der weibliche Souveränität der Frau zu verdanken, daß sich zwischen beiden etwas entwickeln kann, ein schnelles Wachsen der Gefühle füreinander, dem wir zusehen.
MAHIN (Lily Farhadpour ) hat schon vor 30 Jahren ihren Mann verloren und kam nie in die Situation, auf einen neuen Mann zu treffen. Denn sie muß im Alltag verschleiert durch die Gegend laufen und immer wieder spielt im Film die Sittenpolizei eine üble Rolle, wobei Mahin einer jungen Frau hilft, die gerade von dieser verhaftet werden soll, weil ihr Kopftuch vorne die Haare sehen läßt. Im Iran ist der Hijab vorgeschrieben, der alle Haare verdeckt. Daß ihn Frauen auch zu Hause tragen müssen, das lernt man erst bei der Pressekonferenz, als Lily Farhadpour erzählt, wie im Iran alle in den Filmen lachen, wenn eine mit dem Hijab ins Bett steigt oder so die Wäsche wäscht. Da Mahin, kaum zu Hause, sofort das Kopftuch auszieht, weißt man jetzt erst, daß diese Darstellung im Film schon revolutionär ist und als Tat gegen die Moral der Mullahs gilt. Lächerlich für uns. Strenge Wirklichkeit für die Frauen im Iran.
Eigentlich hat Mahin ein erfülltes Leben. Äußerlich. Sie lebt im eigenen, angenehm eingerichteten Haus und ihr ganzer Stolz ist der von ihr selbst angelegte Garten, den sie täglich ausgiebig gießt. Gleich am Anfang sehen wir in einer Szene ihre Freundinnen, die sie eingeladen hat, völlig unterschiedliche Frauen – natürlich unverschleiert – die Dinge von sich geben, daß man aus dem Lachen, dem Weinen, dem Staunen nicht herauskommt. Dieser Film fesselt einen durchgehend, obwohl ja erst einmal wenig passiert. Sie geht einkaufen, sie telefoniert, wir sehen Mahin bei ihrem Alltag zu. Doch das langt ihr nicht mehr.
Für Rentner gibt es Gutscheine, die man in einem Café einlösen kann. Dorthin geht sie, trifft auf eine eher abschreckende Männerrunde. Nur einer sitzt alleine am Tisch FARAMARZ (Esmail Mehrabi), Taxifahrer , der sein Essen herunterschlingt. Sie bekommt seinen Namen mit und den Taxistandort und geht tatsächlich hin, fragt nach ihm und erhält die Antwort, er sei unterwegs. Sie läßt ihm ausrichten, sie warte auf ihn. Er ist verblüfft, hat sie auch im Café gar nicht wahrgenommen, aber stimmt zu, als sie ihn bittet, sie nach Hause zu fahren. Und in den wenigen Minuten im Taxi kommt eine Stimmung auf, die ihn veranlaßt, der Zentrale das Ende seiner Schicht mitzuteilen und der Einladung ins Haus von Mahin zu folgen.
Nun muß man dringend etwas zu Mahin sagen. Wir lernen sie am Anfang als unduldsame, bequeme, völlig unzufriedene Frau kennen, aufgequollen, keine Attraktion. Und dann schon im Taxi erblüht sie, sie sieht auf einmal völlig verändert aus und erst recht in ihrem Zuhause. Sie zieht sich ein grau-schwarzes schickes Kleid an undFaramarz macht ihr sofort Komplimente, weil er jetzt erst wahrnimmt, daß sie ihm so gefällt. Und jetzt kommt die neue Provokation für iranische Mullahmoralisten. Sie holt eine heimglich versteckt 2 Liter Flasche Wein heraus. Er liebt Wein und kippt das Glas und das nächste runter. Während wir uns noch fragen, wie er nun angetrunken nach Hause kommt, ist das Drehbuch schon sehr viel weiter.
Die beiden bewegen sich emotional und körperlich aufeinander zu. Er hat den ganzen Tag gearbeitet und wünscht sich, bevor irgendwas weitergeht, eine Dusche und nicht nur das. Er wünscht sich, daß sie mit ihm duscht. Als sie ihm das abschlägt und offen sagt, ihr Körper sei nicht mehr zum Anschauen, sehen wir beide in der nächsten Szene unter der Dusche, allerdings beide in ihrer Kleidung angezogen auf dem Boden sitzend, so daß beide pitschnaß werden. Auch eine Möglichkeit, sich nahe zu sein, auf jeden Fall eine, wo danach die Kleider fallen müssen. Sie findet Kleidung, die ihm paßt, und sie hat sowieso den Schrank voll. Hatten wir die Tanzszenen schon erwähnt? Die gehören unbedingt dazu, denn beide haben seit Jahrzehnten nicht mehr getanzt, nein, das gilt nur für ihn, denn sie tanzt auch für sich alleine.
Er hatte sich zuvor auf der Toilette schon eine Pille eingeschoben, die wir als etwas wie Viagra vermuten und während er sich auf ihrem Bett erst mal ausruht, zieht sie sich erneut für die Nacht um. Wie geht so ein Film weiter?, fragt man sich. Alterssex ist nicht so ansprechend, wenn die beiden jetzt glücklich zusammenleben, ist das ein wenig schlicht für einen Film, ein wenig kitschig auch, erst recht für einen Berlinalefilm. Doch kommt jetzt in die Komödie die Tragödie hinzu. Als sie aus dem Bad kommt und ihn schlafend wähnt, ruft sie ihn erst, faßt ihn an, schüttelt ihn und als ihr der Verdacht kommt, daß er tot sei, macht sie Wiederbelegungsversuche bis in die Tausender. Es ändert nicht. Er bleibt tot.
Was tun? Diese Frau ist nicht nur lebenserfahren, sondern jetzt tatkräftig auch noch todeserfahren. Sie läßt von einem Gärtner in ihrem Garten ein tiefes Loch für das Setzen eines großen Baumes graben. Nachts näht sie den Toten in ihren Bettüberwurf ein, schleift ihn nach draußen über Stock und Stein und beerdigt ihn in ihrem Garten. Daß wäre nicht nur im Iran verboten, bei uns auch.Aber sie weiß nicht, wie sie sonst damit umgehen könnte. Er hatte keine Familie und so bleibt er ihr nahe unter der Erde.
Ein makabrer Schluß? Gar nicht, irgendwie folgerichtig. Das Wunderbare an diesem Film ist, daß man in jeder Einstellung die Motive der Darsteller erkennt, wie sie handeln, was sie sagen, das ist einerseits Alltag, das ist andererseits das ganze Leben. Dem Leben alternder Menschen, nein schon richtig alter Menschen eine Form zu geben, ist in Filmen sehr selten anzutreffen – und wenn hat es oft etwas Weinerliches, oder der eine bekommt Alzheimer, der andere hilft, auf jeden Fall etwas Therapeutisches. Hier jedoch ist es einfach Leben, das für Mahin noch einmal stattfinden sollte, was sie in Bewegung setzte und das jetzt solches Ende fand.
Aber wir können frohgemut das Kino verlassen, diese Frau wird nicht aufgeben, sie wird es wieder versuchen, wie all die Frauen, die jungen und die alten im Iran diejenigen sind, die den Widerstand gegen die frauenfeindliche, ja menschenfeindliche Alte-Männer-Herrschaft, die sich hinter Religion verstecken, um ihre Herrschaft zu legitimieren, anführen – und irgendwann siegen werden. Da sind wir sicher.
Ein kleiner Film, der ganz groß ist. Und es über die Grenzen zur Berlinale geschafft hat.
Foto:
© Hamid Janipou
Info:
Besetzung
Mahin. Lily Farhadpour
Faramarz Esmail Mehrabi
Stab
Regie. Maryam Moghaddam, Behtash Sanaeeha
Drehbuch. Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam
Kamera. Mohammad Haddadi