Bildschirmfoto 2024 07 13 um 04.00.33Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos seit dem 11. Juli 2024 Teil 9

Redaktion 

Berlin(Weltexpresso) – „Qurrat al-ʿAin“ bedeutet auf Persisch „Augentrost“. Und „Qurrat al-ʿAin“ ist auch der Kosename der Frauenrechtsaktivistin, Dichterin und Religionsgelehrten Táhirih (ihr bürgerlicher Name lautete Fatimah Baraghani). Vor männlichen Vertretern des Bábismus, einer liberalen Religion aus dem Iran, hatte Táhirih bei einem Treffen im Jahr 1848 ihren traditionellen Schleier, den „Tschador“, abgenommen, um die fehlende Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu thematisieren. Ihre Handlung schockierte und spaltete die „Babis“, einer der Männer schnitt sich vor Entsetzen über den Anblick eines unverschleierten Frauenhauptes die Kehle auf.

Als Konsequenz jener Enthüllung und für die Zugehörigkeit zum Bábismus wurde Táhirih 1852, mit 36 Jahren, in Teheran hingerichtet. Kurz vor ihrem Tod erklärte sie: „Ihr könnt mich töten, aber ihr könnt die Emanzipation von Frauen nicht aufhalten.“

Die Unterdrückung von iranischen Frauen hat eine lange Tradition – der Kampf für Gleichberechtigung ebenso. Und immer wieder spielten dabei der weibliche Körper, die „Herrschaft“ über ihn und der Grad seiner Verhüllung eine zentrale Rolle. Als Persien im Jahr 1907 eine konstitutionelle Monarchie wurde, erhielten die Frauen zunächst kein Wahlrecht.

Doch die Frauenbewegung erstarkte mit Schlüsselfiguren wie der Journalistin und Feministin Sediqeh Dowlatabadi und der unverhüllt auftretenden Sängerin Qamar. Nachdem auch seine eigene Frau sich mit einem ihr Haar nicht komplett verhüllenden Schleier in der Öffentlichkeit gezeigt hatte, ließ Reza Schah Pahlavi, der von 1929 bis 1941 herrschte und auch die Schulpflicht für Mädchen und Jungen einführte, 1936 den Schleier für Frauen verbieten. Konservative Perser und Perserinnen lehnten das Verbot jedoch ab und empfanden es als massiven Eingriff in ihre Tradition. Das so genannte Kashf-e hijab-Dekret, dass das Land moderner und europäischer machen sollte, galt fünf Jahre lang. Danach durften Frauen tragen, was sie wollten, in den 60ern erhielten sie endlich auch das Wahlrecht. Abtreibungen wurden erlaubt und das „Gesetz zum Schutz der Familie“, eingeführt 1967, festigte ihre Stellung weiter.

Doch als der Revolutionsführer Ayatollah Khomeini im Jahr 1979 die Macht übernahm, beschnitt er umgehend die Rechte von Frauen in Bezug auf Ehe, Sorgerecht und Scheidung, unter anderem senkte er das Heiratsalter. Auch heute noch können im Iran Mädchen ab 13, und Jungen ab 15 Jahren verheiratet werden.

Iranische Frauen wurden damals gezwungen, sich wieder zu verschleiern. Zudem wurde es ihnen verboten, in der Öffentlichkeit allein zu tanzen oder zu singen, Fahrrad zu fahren, Sportwettkämpfe zu besuchen, Richterin oder Präsidentin zu werden. In Bussen müssen sie hinten sitzen, ins Ausland verreisen dürfen sie nur mit Erlaubnis ihres Mannes. Ihre Aussagen vor Gericht sind nur halb so viel wert wie die von Männern.

Darüber hinaus dürfen Männer ihre Ehefrauen vergewaltigen: Vergewaltigung in der Ehe ist nach dem islamischen Gesetz der Scharia kein juristischer Tatbestand. Auch so genannte Ehrenmorde innerhalb der Familie werden nicht verfolgt.

In der Islamischen Republik Iran kontrolliert die so genannte „Sittenpolizei“, ob Frauen sich der misogynen und patriarchalen Gesetzesordnung angemessen verhalten und etwa die

12

rigorose Kleiderordnung einhalten, Widerhandlungen werden streng bestraft. Immer wieder gibt es Säureattacken auf Frauen, die sich den Gesetzen widersetzen.

Im September 2022 wurde die Iranerin Jina Mahsa Amini ein paar Tage vor ihrem 23. Geburtstag wegen des angeblichen Verstoßes gegen das staatliche Hijab-Gesetz von der iranischen Sittenpolizei festgenommen und geschlagen. Sie starb aufgrund ihrer Verletzungen. Ihr sinnloser Tod löste eine Protestbewegung aus, die bis heute andauert: Unter dem einst aus der kurdischen Arbeiterpartei PKK stammenden Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ (kurdisch „Jin, Jiyan, Azadî“, persisch „Zan, Zendegi, Āzādi“), gehen Frauen und Männer seitdem im Iran, aber auch in sehr vielen anderen Ländern, auf die Straße.

Im Jahr 2022 nahm die damals knapp 17-jährige Iranerin Nika Shakarami an einem der Protestmärsche zum Tod von Jina Mahsa Amini teil, und verbrannte dabei Hijabs. Nachdem Shakarami verhaftet und in das für seine besonders brutale Behandlung von Insass:innen bekannte Gefängnis Evin überführt worden war, verloren ihre Angehörigen ihre Spur. Ihr Leichnam, der Folterspuren aufwies, wurde der Familie fast zwei Wochen später übergeben. Zahlreiche ähnliche Fälle zeugen vom weiterhin brutalen Vorgehen des Regimes gegen Frauen.

Die menschenverachtenden Verhältnisse, die Verleugnung unabhängig denkender und lebender Frauen, und die drakonische, unsinnige Kleiderordnung werden international verurteilt, die Solidaritätsbekundungen aus der ganzen Welt sind groß. Nichts scheint die iranische Regierung und viele iranische Männer so sehr zu beunruhigen wie die Vorstellung, gemeinsam mit Frauen in einer gleichberechtigten Gesellschaft zu leben. Die iranische Regierung muss international unter Druck gesetzt werden, um Frauen ihre selbstverständlichen (Menschen-)Rechte zuzugestehen. Damit sie, wie die Protagonistin in EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN, sich im öffentlichen Raum bewegen, tanzen, Männer treffen, Kuchen backen, einfach ganz normal leben können. Es ist höchste Zeit.

Foto:
©Hamid Janipour_Alamode Film

Info:
Besetzung

Mahin.    Lily Farhadpour
Faramarz   Esmail Mehrabi

Stab
Regie. Maryam Moghaddam, Behtash Sanaeeha 
Drehbuch.  Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam 
Kamera. Mohammad Haddadi

Abdruck aus dem Presseheft