Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos seit Mittwoch 24. Juli 2024, Teil 12
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) – Peter Weiss hat DIE ERMITTLUNG als „Oratorium in 11 Gesängen“ und somit als dramatischen Theaterstoff für szenische Aufführungen und Lesungen angelegt. Es wird zu seinen literarischen Hauptwerken zählen. In eigenen Anmerkungen bekundete der Autor, es solle mit DIE ERMITTLUNG nicht der Versuch unternommen werden, den Gerichtshof, vor dem die Verhandlungen über das Konzentrationslager Auschwitz geführt wurden, zu rekonstruieren. Es gehe um ein „Konzentrat der Aussage“ und „dieses Konzentrat soll nichts anderes enthalten als Fakten, wie sie bei der Gerichtsverhandlung zur Sprache kamen. Die persönlichen Erlebnisse und Konfrontationen müssen einer Anonymität weichen.“
Die Zeugen haben ihre Namen „verloren“ und werden zu „bloßen Sprachrohren“, die 18 Angeklagten jedoch stellen
„jeder eine bestimmte Figur dar“. Peter Weiss ergänzte später: „Es ist natürlich meine
persönliche Auswahl, aber ich habe nichts hinzugedichtet. Es ist
Wirklichkeitsmaterial, was komponiert wurde nach strengen Kompositionsprinzipien.“
DIE ERMITTLUNG schrieb Peter Weiss von Sommer 1964 bis Herbst 1965, also
größtenteils noch vor den Richtersprüchen im Verfahren. Er selbst hatte den ersten
Auschwitz-Prozess in Frankfurt/Main mehrfach persönlich besucht und wertete für
sein Drama eigene Aufzeichnungen sowie die Tagespresse aus, die ausführlich aus
dem Gerichtssaal berichtete. Essenziell waren für ihn dabei die Texte des
Journalisten Bernd Naumann (1922-1971) aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
1964 besuchte Peter Weiss, der selbst jüdische Wurzeln hatte, Auschwitz und
schrieb: „Eine Ortschaft, für die ich bestimmt war und der ich entkam.“
Am 19. Oktober 1965 hatte DIE ERMITTLUNG als offene Ringuraufführung Premiere
– und das in beiden deutschen Staaten sowie England. Der Suhrkamp Verlag, in
dem das Stück erschien, nennt als Uraufführungsstädte Westberlin, Ostberlin,
Cottbus, Dresden, Essen, Gera, Köln, Halle/Leuna, Meiningen, München, Neustrelitz,
Potsdam, Rostock, Stuttgart, Weimar und London. In der DDR fand die Uraufführung
als Lesung im Plenarsaal der Volkskammer statt, beteiligt waren Schauspieler,
Regisseure, Maler, Bildende Künstler und Schriftsteller sowie Kulturpolitiker, darunter
auch Überlebende der NS-Konzentrationslager.
Theaterwissenschaftler Ernst Schumacher brachte zu Papier: „...in der Bemühung,
über die bloße emotionale Betroffenheit, die Erregung, zur Aktivierung eines den
Massentod bannenden Bewusstseins und Handelns fortzuschreiten, liegt die
Bedeutung der ERMITTLUNG. Eine Ablehnung, Auschwitz zum Gegenstand der
Kunst zu machen, läuft nur darauf hinaus, sich zu weigern, unsere Epoche zu
begreifen und auf eines der möglichen Mittel zu verzichten, die Menschen zum
Bewusstsein des Ausmaßes ihrer bisherigen ,Verdammungen’ und der ihr drohenden
,Verdammnis’ kommen zu lassen. Entscheidend ist jedoch, dass die Höllenfahrt nicht
in der bloßen Verurteilung stehenbleibt, sondern zu Urteil und Handeln befähigt.“
Schriftsteller und Kritiker Walter Jens schrieb über die (West-)Berliner Uraufführung
an der Freien Volksbühne: „Die Komposition verrät die Handschrift des Dramatikers
und nicht allein sie. Je entschlossener Weiss die Materialien bündelt und rafft …,
desto wahrer wird seine Geschichte.“ Regisseur Erwin Piscator sagte auf die Frage,
warum er das Stück in (West-)Berlin inszeniert hat: „Weil es eigentlich keine größere
Aufgabe für ein Theater geben kann, als eine so wichtige deutsche Angelegenheit
vor aller Öffentlichkeit noch einmal nicht nur zu repetieren ..., sondern eindringlichst 28
unseren deutschen Menschen klarzumachen, was in diesen Katastrophenjahren in
Deutschland passierte.“
Von DIE ERMITTLUNG folgten – bis in jüngere Vergangenheit – weitere nationale
und internationale Bühnen-Inszenierungen, die Ausstrahlung von Mitschnitten im
Fernsehen, Fassungen für Hörspiel und DVD (Peter Weiss – Die Ermittlung,
Theaterstück, Regie. Peter Schulze-Rohr, NDR 1966, erschienen bei Absolut
Medien).
Foto:
©Stiftung Haus der Geschichte
Info:
Mit
Rainer Bock, Clemens Schick, Bernhard Schütz, Arno Frisch, Thomas Dehler,
Sabine Timoteo, Christiane Paul, Nicolette Krebitz, Barbara Philipp,
Tom Wlaschiha, Karl Markovics, Wilfried Hochholdinger u.v.m.
Regie. RP Kahl
nach dem Theaterstück „Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen“ von Peter Weiss
Abdruck aus dem Presseheft