brokeSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. September 2024, Teil 14

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) -  Wie kamen Sie zu „BROKE. ALONE. A kinky love story”?

Anna Unterweger: Das Drehbuch stammt ursprünglich nicht von mir – es wurde von der Produktion gemeinsam mit einem externen Autor geschrieben. Weil die Geschichte eine sehr spezifische Perspektive hat und einen ganz besonderen Ton benötigt, stand aber von Anfang an fest, dass man eine Regisseurin für die Umsetzung des Projekts haben wollte. Man hörte sich in der Branche um, es gab eine Reihe von Castings, und es wurde versucht, auf diese Weise eine Filmemacherin zu finden, die den Film übernehmen konnte. Über Barefoot kam man auf mich, sozusagen auf Empfehlung. Wir haben uns kennengelernt, und es hat sofort gefunkt, es hat sofort gepasst. Wir lagen absolut auf einer Wellenlänge, hatten dieselbe Vision für den Stoff. Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, dass wir uns auch gut ergänzen würden. Das war der erste entscheidende Schritt.

 

Wie ging es weiter?

Anna Unterweger: Ich erhielt das Buch und blätterte rein. Innerhalb der ersten Seiten wurde ich sofort abgeholt. Die Hauptfigur fand ich wahnsinnig mutig, sehr faszinierend, frech und ehrlich. Den Ausschlag für mich gab: Ich habe es gelesen und habe es sofort vor mir gesehen. Ich konnte es nicht weglegen, ich war mittendrin in der Welt, bin eingetaucht in die Geschichte, musste lachen, ein bisschen weinen, war berührt, bewegt. Es war völlig klar: Das ist mein Projekt. Ich wusste, dass ich einen ganz besonderen Zugang zu dem Stoff hatte. Viel von der Emotionalität ist tatsächlich erst bei der Inszenierung entstanden, zusätzlich noch, ergänzend.

Warum waren Sie davon überzeugt, die Richtige zu sein?

Anna Unterweger: Ganz stark war es Bauchgefühl. Ich habe die Geschichte gespürt, hatte sofort Bilder vor Augen, wie das aussehen müsste. Ich hatte großes Verständnis für Sarah, konnte mit ihrer Gemütslage und generellen Situation sofort etwas anfangen. Es fühlte sich ganz natürlich an und machte unheimlich Lust. Vielleicht auch, weil ich vom Alter und Denkweise gar nicht so weit entfernt bin von ihr. Weil ich jeden Schritt, den sie macht, vollkommen nachvollziehen kann.

Es ist auch ein Film über die Coronazeit, ohne dass Corona explizit eine Rolle spielen würde.

Anna Unterweger: Für uns stand fest: Wir wollten keinen Film über Corona machen. Allerdings wollten wir dieses Gefühl, das wir damals hatten, als wir alle gezwungen waren, zuhause zu sitzen und die Wohnung nicht verlassen zu können, als Grundlage für unsere Geschichte nutzen. Das kann jeder nachvollziehen, daran können wir uns alle erinnern, wir alle haben das damals erlebt und gefühlt. Daraus entwickelt sich etwas Schönes und Eigenständiges, eine Geschichte über eine junge Frau, der es gelingt, bei ihren virtuellen Treffen mit Männern deren Horizont zu erweitern – und die dabei auch ihren eigenen Horizont erweitert. Ich finde an Sarah so interessant, dass sie sich für nichts zu schade ist. Sie ist mutig, probiert Dinge aus, ganz vorbehaltlos, hat keine Verbote. Es ist wichtig, dass man sich keine Tabus auferlegt, über alles ganz offen spricht. Reden ist das Normalste auf der Welt.

Was war Ihr Ansatz?

Anna Unterweger: Wir wollten ernste Themen ansprechen, das aber immer mit einer großen Leichtigkeit. Wir sind keine Dokumentation. Wir erschaffen eine Welt, die auf realen Elementen fußt, sich aber in einem von uns gestalteten Rahmen des Films bewegt. Mir gefallen die vielen Farben, das Bunte, das Verschiedene. Der Mensch hat so viele Nuancen, er ist nicht monothematisch. Das ist mir sehr wichtig. In der Sexualität zum Beispiel haben wir im Film einen Typ, der auf aggressiven Dirty-Talk steht – gleichzeitig kriegen wir mit, dass er ein liebevoller Vater ist. Menschen sind nicht in jeder Situation immer gleich. Wir alle tragen das in uns. Wir haben unsere Masken, wir wollen, dass unsere Sehnsüchte und Fantasien bedient werden, aber wir wollen nicht notwendigerweise in unseren Fantasien leben. Sie sind einfach nur eine Facette dessen, wer wir sind.

Das trifft insbesondere auch auf Ihre Heldin zu...

Anna Unterweger: Sarah arbeitet als Camgirl – ein Tool im Rahmen unseres Filmes, das wir nutzen um Sarah in eine Lage zu versetzten, in der sie Männern auf Augenhöhe begegnet, die es nicht gewohnt sind, dass Frauen ihnen auf Augenhöhe begegnen. Es geht um einen anderen Horizont, einen anderen Blickwinkel. Auch Sarah erfährt dabei Verständnis und Entgegenkommen. Es ist ein Geben und Nehmen, ein miteinander Wachsen. Aber das immer im Rahmen unseres Films. Das ist ganz wichtig. Wichtig war mir, dass Sarah immer Herrin der Lage ist. Sie kontrolliert die Situation. Es gibt auch Situationen, in denen sie ganz klar und laut Nein sagt. Sie lässt sich zu nichts zwingen.

Wie sind Sie insgesamt vorgegangen?

Anna Unterweger: Der erste Schritt war für mich, von Salzburg nach Norddeutschland zu ziehen. Ich hatte schon öfters in Deutschland gearbeitet und fand, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für diesen Umzug war. Der erste Schritt bei der Arbeit war dann, das Drehbuch noch einmal komplett auseinanderzunehmen und mein Team zusammenzustellen. Am allerwichtigsten war es, meine Hauptdarstellerin zu finden. Entscheidend war für mich, dass beim Casting ich das letzte Wort hatte. Ich wollte entscheiden, wen ich in meinem Film vor der Kamera inszeniere. Ich wollte sagen können: Das ist unsere Hauptdarstellerin, das ist unsere Sarah. Ich hatte dann auch tatsächlich freie Hand, wurde gleichzeitig aber ganz toll unterstützt von den Produzenten, die über einen sehr guten Ruf verfügen. Was dann auch geholfen hat, viele tolle Namen für Gastrollen zu gewinnen. Wobei klar ist: Wichtiger als namhaft zu besetzen, war uns immer, richtig zu besetzen. Früh habe ich meinen Kameramann Jakob Creutzburg kennengelernt. Er war ein wichtiger Mitstreiter bei der Umsetzung meiner Vision. Ich habe da auch schon begonnen, Storyboards anzufertigen, um alles gut vorzubereiten. Tatsächlich passierte alles parallel, zumindest fühlte es sich so an. Wir haben den Film wirklich schnell auf die Beine gestellt. Ein großer Fokus lag darauf, die richtige Wohnung für Sarah zu finden – fast der gesamte Film spielt in ihren vier Wänden. Allerdings musste die Wohnung noch zusätzliche Anforderungen erfüllen. Mir war es ein Anliegen, dass die Männer, mit denen Sarah als Camgirl nur im Internet kommuniziert, tatsächlich beim Dreh mit dabei waren, damit sie Anspielpartner hatte. Ich wollte, dass sie in Echtzeit miteinander spielten – auch wenn sie dabei nicht zusammentreffen. Gar nicht ging für mich die Vorstellung, dass meine Hauptdarstellerin nur vor Green-Screen spielt. Das war eine Herausforderung. Aber wir haben eine Lösung gefunden. Wenn Sarah bei sich im Wohnzimmer ist und mit ihnen spricht, sitzen sie tatsächlich in einem Nebenraum und werden parallel von einer weiteren Kamera aufgenommen. Das hat wunderbar funktioniert.

Was uns natürlich zu Nora Islei führt...

Anna Unterweger: Nora war unser Castingwunder. Mir war wichtig, dass ich mir jede Schauspielerin anschaue. Ich wollte mich nicht einfach mit einem guten Namen zufriedengeben. Ich wollte die Richtige für Sarah finden. Dafür war ich bereit, die deutsche und österreichische Schauspielerinnenlandschaft komplett auseinanderzunehmen. Wir haben dann auch deutsch und österreichisch gecastet, Alter zwischen 20 und 30, der äußerliche Typ war grundsätzlich erst einmal egal. Wenn meine Sarah dabei ist, wusste ich, dann würde ich es sofort wissen. So war es auch. Nora hat mich überzeugt, weil sie bei ihrem Castingvideo einen Fehler nicht weggeschnitten hat. Sie hatte einen Versprecher und hat deshalb laut geflucht. Und zwar ganz sympathisch, cool und keck. Und das hat sie dann in ihrem Video drin gelassen. Ich wusste: Das ist sie, das ist unsere Sarah. Nora ist eigentlich ein eher schüchterner Typ, aber das war vor der Kamera wie weggeblasen, nachdem wir uns darauf geeinigt hatten, wie unsere Sarah sein sollte. Richtig gefunden haben wir sie dann, indem wir viele Takes gemacht haben, immer wieder verschiedene Varianten ausprobiert haben. Vielleicht war am Ende auch die Wahl Noras eine Bauchentscheidung. Ich habe es einfach gespürt.

Es ist auch eine mutige Rolle.

Anna Unterweger: Im Drehbuch liest sich Manches vielleicht ziemlich hart. Worte können sehr krass sein und manchmal nur bedingt vermitteln, wie die jeweilige Szene dann sein wird, wenn ich sie inszeniere. Deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass sich die eine oder andere Schauspielerin davon abgeschreckt gefühlt haben könnte. Nora war von Anfang an Mitspielerin und keine Gegenspielerin. Sie hat mir vertraut und sich voll auf mich und das Projekt eingelassen. Das ist immer wichtig für ein gutes Projekt – ein unkompliziertes Zusammenspiel, das Energie schenkt und nicht Energie raubt.

Wie haben Sie sichergestellt, dass das Drehumfeld für sie stimmte?

Anna Unterweger: Mir war es wichtig, dass Nora sich immer wohl fühlte. Sie sollte vor der Kamera nichts machen, was sie nicht gerne macht. Alles musste ehrlich und gesetzt sein. Nichts sollte unmotiviert passieren. Sarah ist allein und in Quarantäne, in ihrer eigenen Wohnung. Es wäre unglaubwürdig gewesen, wenn sie sich extra geschminkt hätte oder etwas Schönes anzieht. In dieser Situation gibt man nicht so viel Acht auf sich, ist vielleicht auch einmal leicht gekleidet. Die Szenen, in denen sie nackt ist, konnten wir nur deshalb drehen, weil großes Vertrauen zwischen uns herrschte, alles durchgesprochen war. Nora ist ein Mensch, keine Maschine. Wenn sie sich unwohl fühlte oder Bedenken hatte, haben wir stets gemeinsam geklärt, was wir machen würden. Wir hatten auch einen Intimacy-Coach am Set. Es war ohnehin ein überschaubar großes Team, aber bei den  Szenen, in denen Nora nackter sein würde, haben wir wirklich nur die Leute am Set gehabt, die für den Dreh unbedingt notwendig waren. Noras Bedürfnisse standen immer im Mittelpunkt. Sie ist das Herz des Films. All das war mir wichtig, auch weil ich mit dem Film ein Lebensgefühl ausdrücken will, für einen entspannten Umgang mit dem eigenen Körper werbe. Körper ist Körper, und man sollte ihn als Geschenk betrachten können. „BROKE. ALONE. A kinky love story“ will insofern ganz gezielt auch einen Beitrag zu Body-Positivity leisten. Es ist auch klar, dass mein Film kein Film über die Camgirl- Branche ist. Es geht um etwas anderes. Ich wollte eine Komödie machen, und wir konnten den Film auch exakt so umsetzen, wie er uns vorgeschwebt war. Um einen spielerischen Umgang geht es, man soll Spaß haben. Es ist keine Lehrstunde.

Impliziert spielerischer Umgang auch einen spielerischen Dreh? War Improvisation erlaubt, wie frei waren Sie?

Anna Unterweger: Wir haben uns strikt am Drehbuch orientiert. Davon wollte ich nicht abweichen. Bei einer Komödie muss man aufpassen, dass man sich nicht verstrickt. Die Pointen sind wichtig, die müssen sitzen. Natürlich ist es aber auch so, dass jeder Schauspieler seine eigene Persönlichkeit einbringt, seine Handschrift erkennen lässt. Aber mit den Drehbuchautoren und den Produzenten war es mir wichtig, dass der Text hundertprozentig stimmt. Die Sprache ist entscheidend, gerade bei den Dialogen zwischen Sarah und den Männern.


Wo haben Sie gedreht?

Anna Unterweger: Ursprünglich hatten wir in den MMC-Studios in Köln drehen wollen. Das hat allerdings wegen Corona nicht funktioniert. Dann haben wir einen alten Gasthof in Schleswig-Holstein gefunden, der kurz vor dem Abriss stand und über einen großen Tanzsaal verfügte. In diesen Tanzsaal haben wir Sarahs Wohnung gebaut. Wir haben alles selbst gebaut. Ich ziehe meinen Hut vor unserem Szenenbildner und den Bühnenbauern, die geniale Arbeit geleistet haben. Es kam uns entgegen, dass sich die komplette Produktion an einem Raum befand. Es war klein und kompakt, alle hielten sich in diesem einen Gebäude auf. Ich fand die Bedingungen ideal für unseren Film. Weil alles so gut vorbereitet war und die logistischen Herausforderungen sich auf diese eine Location fokussierten, hatten wir trotz unseres nicht gerade hohen Budgets 32 Drehtage.

Was ist Ihr Resümee?

Anna Unterweger: Ich wollte einen sympathischen Film machen, der das Publikum abholt. Ich wollte intelligent unterhalten und einen Film machen, der nicht alltäglich ist. Ich finde und hoffe, das ist mir gelungen. Weil ich eine tolle Crew hatte. Weil ich unterstützt wurde von der Produktion in einer Form, wie man das als junge Filmemacherin vermutlich nicht immer erlebt. Und weil ich eine Hauptdarstellerin an meiner Seite hatte, die alle meine Erwartungen übertroffen hat. Es war ein Traum!


Foto:
©Verleih


Info:
BROKE. ALONE. A LOVE STORY Kinky
Regie.   ANNA UNTERWEGER
Drehbuch. FRANK BUCKEL, MICHAEL LÜTJE, HAUKE SCHLICHTING
Mit
NORA ISLEI, JULIAN BLOEDORN, PAULINE AFAJA, GEDEON BURKHARD,
TIM WILDE, CAROLINE BEIL, GUIDO BROSCHEIT, TOBIAS SCHENKE, LUNA SCHWEIGER, AXEL SCHREIBER, MARC PHILIPPS

Abdruck aus dem Presseheft