Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Oktober 2024, Teil 5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der kleinste gemeinsame Nenner, der einzige überhaupt, ist, daß wir alle sterben werden und uns dessen bewußt sind im Gegensatz zur Geburt, die zwar auch für alle gilt, an die wir uns aber beim Großwerden und Erwachsensein nicht erinnern können. Es bleibt also beim Sterben als dem einzigen, das Jung und Alt, Reich und Arm, Schwarz und Weiß etc. in gleicher Weise betrifft,ja trifft. Insofern hat Pedro Almodovar uns alle am Wickel, wenn er in einem Film einen Menschen darstellt, der todkrank sein Leiden nicht weiter erleiden will, sondern seinen Todeszeitpunkt – bald! - selbst bestimmen will.Und dabei die anwesende Nähe eines anderen braucht.
Wer selbst tödlich krank ist und sich also in der Kriegsjournalistin Martha ((Tilda Swinton) wiederfindet, wird diesen Film ganz anders erleben als die, die sofort in deren wiedergefundenen Freundin und Kollegin, jetzt Buchautorin Ingrid (Julianne Moore) sich selbst sehen könnten. Daß es nicht so vage bleibt, hat der geniale Almodovar fein eingefädelt. Er läßt die ganze Geschichte aus der Perspektive von Ingrid erzählen, zwingt also auch uns Zuschauerinnen mehr und mehr, uns zu überlegen, wie wir uns verhielten, wären wir in dieser Situation.
Von vorne. Es beginnt mit der Ingrids Buchvorstellung, zu der Martha gekommen ist, wo beide sich wiedersehen und ein baldiges Treffen vereinbaren. Martha erzählt dann Ingrid die Wahrheit, daß sie unheilbar krank ist und bald auch, daß sie sich aus dem Internet eine Todespille besorgt hat, die sie einnehmen wird, aber einen anderen in der Nähe haben will. Als Ingrid bemerkt, sie hätten sich doch länger nicht gesehen, Martha habe nähere Freundinnen, sagt sie ihr ganz offen, daß diese abgelehnt hätten, mal, weil sie grundsätzlich gegen den selbstbestimmten Tod seinen, mal, weil das strafrechtlich verfolgt wird, wenn es zu offensichtlich ist, von allem gewußt, aber nichts dagegen unternommen zu haben. So die Rechtslage in den USA.
Nach einer Bedenkzeit sagt Ingrid zu. So die Handlung. Hier beginnt der Film eigentlich, aber bis hierhin hat Almodovar schon so viel seiner Regiekunst ei gebracht, angefangen mit der Auswahl der beiden Schauspielerinnen, die für ihre Rollen wie geboren erscheinen. Martha ist abgehärmt, ihre Gesichtszüge
scharf konturiert; das war immer schon eine Eigentümlichkeit von Tilda Swinton, daß sie beides ausstrahlen kann: Kantigkeit, ja Häßlichkeit, und Klarheit und Schönheit. Im Wechsel. Julianne Moore dagegen ist die Weichheit in Person. Ihre kupferroten Haare ergeben mit den Grüntöne ihrer Kleidung eine Farbsymphonie, was aber auch für Tilda Swinton gilt, wenn sie in dem luxuriösen Haus im herbstlichen Wald, das sie für ihren Tod gemietet hat, auf ihre Kleidung Wert legt und sich dann, als es soweit ist, in einem lebensfrohen gelben Hosenanzug mit stark geschminkten roten Lippen auf eine Liege legt, wo sie Julianne dann findet.
Die hatte sich mit Damian (John Turturro) getroffen, ebenfalls ein Erfolgsautor, der hier einen Termin hatte. Daß er ihr ehemaliger Liebhaber ist, den sie an Martha abgetreten hatte, aber mit ihm befreundet blieb, ist nicht weiter wichtig, aber das Gespräch mit ihm reflektiert die Situation, sowohl das selbstbestimmte Sterben wie auch die Assistenz von Ingrid durch das davon Wissen und der Sterbenwollenden die Gewißheit zu geben, daß sie sich danach um alles kümmern werde.
Dies ist der erste auf Englisch gedrehte Film von Almodóvar und äußerlich wirken Thema, Ort und Geschehen erst einmal nicht so, für was dieser spanische Regisseur bekannt und beliebt ist. Aber in der eleganten sophisticated Art und der Weise, wie Schweres leicht wird und man auch Lachen darf und muß, ist dieser Film typisch für ihn und zudem eine Fortsetzung des Freundschaft- und Alt-und-Krank-Werden-Films von Männern LEID UND HERRLICHKEIT von 2019; diesmal geht es um Freundinnen und um den selbstgewählten Tod und diesmal nimmt Almodóvar den Roman WAS FEHLT DIR? von Sigrid Nunez als Vorlage.
Daß einen dieser Film nicht herunterzieht, sondern im Gegenteil man das Kino zwar gefaßt, aber nicht traurig, sondern sogar eher mit Energie verläßt, hat für mich – abgesehen von den wirklich tiefen geäußerten Gedanken über Leben und Tod, Natur und Untergang – mit dem zu tun, was so typisch Almodóvar ist: die Unzulänglichkeiten von Planen, die das Leben immer durcheinanderbringt. Am Beispiel der offenen und geschlossenen Tür kann man das buchstabieren. Denn die beiden Freundinnen leben erst mal in diesem für vier Wochen gemieteten luxuriösen Haus in der traumhaften Umgebung zusammen, kochen, quatschen, lesen, hören Musik. Martha möchte bei offener Tür schlafen und bereitet Ingrid darauf vor, daß es passiert ist, wenn ihre Tür geschlossen ist.
Und kurz darauf ist es soweit, die Tür ist zu, Ingrid findet Martha draußen auf der Liege, aber sie lebt, denn die Tür ist durch den Wind zugefallen. Die alles planende Martha ist gegen Wind und Zufälle nicht gefeit. Am Schluß, als es wirklich so weit ist, haben wir Zuschauer verfolgt, wie sich Martha aufbrezelt, die Pille nimmt und sich auf die Liege legt. Als Ingrid nach Hause kommt und die Türe geschlossen findet, Martha auf der Liege sieht, muß sie einfach denken, daß diese schläft. Aber diesmal ist sie wirklich tot.
Was dann noch wie als Farce an dramatischem Verhör Ingrids durch den zuständigen Kommissar folgt, macht vor den Evangelikalen in den USA regelrecht Angst, vor allem Abscheu. Ein Film vom Tod, der das Leben ernst nimmt.
Foto:
©Verleih
Info:
Besetzung
Martha. Tilda Swinton
Ingrid. Julianne Moore
Damian. John Turturro
Detective Flanner. . Alessandro Nivola
Martin. Juan Diego Botto
Stab
Regie und Drehbuch Pedro Almodovar
Vorlage WHAT ARE YOU GOING THROUGH von Sidrig Nunez