Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. Januar 2012
Romana Reich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Selten liest man schlaue Artikel über das Nationalitätenkino, also den Einfluß von Nationalität auf den Film als Produkt vorbewußter oder auch offen angesprochener nationaler Eigenschaften. Meistens ist diese Frage angesichts von so vielen internationalen Produktionen auch müßig. Und doch darf man ganz offen das Thema ansprechen. Es gibt den englischen, den italienischen, den französischen Film, die sich jeweils als Einheit zusammenraufen und doch etwas Unverwechselbares besitzen.
ZIEMLICH BESTE FREUNDE
ist so ein Film, bei dem einem das Herz aufgeht, mit welcher Leichtigkeit hier Schweres und Schwieriges verhandelt wird. „Typisch französisch“, ist hier ein Werturteil, das seine Grundlagen hat. Denn nirgends wird mit Außenseitern so unkompliziert umgegangen wie im westlichen Nachbarland, seien es merkwürdig anmutende Departementsbewohner, verunglückte Verleger, die nur mit Augenschlag kommunizieren können, vorbestrafte Migranten, verrückte Frauen. Und das Komischste ist dann, daß diese doch ach so schwierigen Themen dann auch noch in Komödien verbraten werden. Und zwar welchen, in denen man ob der Situationskomik dauernd lachen muß und kein schlechtes Gewissen dabei bekommt.
Zu ziemlich besten Freunden – belangloser Titel, der französische heißt übersetzt: Unberührbare – werden der Herr und der Knecht. Diese Verbindung ist nur möglich, weil der Knecht gar nicht weiß, daß er einen Herrn vor sich hat, der ihm sozial überlegen ist, denn erstens nimmt der Knecht das sowieso nicht ernst, zweitens sitzt der Herr im Rollstuhl als Schwerstbehinderter (Francois Gluzet) und kann gar nichts mehr, nur denken kann er und befehlen. Das aber gut. Und fühlen und agieren und sich zu Unkonventionellem entscheiden: Nämlich diesen Driss (Omar Sy), ein Schwarzer ist er auch noch und hatte noch nie mit Behinderung zu tun, als seinen Pfleger anzustellen. Philippe erlebt hier endlich einen, der ihn nicht als Pflegefall behandelt, sondern völlig selbstverständlich als eigenständigen Menschen.
Uns gefällt das halt, wenn die Rollen so umgedreht werden und sich dieser unbedarfte Pfleger mit seinem gesunden Menschenverstand völlig atypisch verhält, aber so auch dem durch das Mitleid und die ständige mitgefühlsgrimmassierenden Mienen der Umstehenden genervten Gelähmten neue Verhaltensperspektiven gibt und ihn Dinge erleben läßt, von denen er sich nicht hätte träumen lassen. Man braucht den Inhalt gar nicht zu erzählen. Hier geht es ums Prinzip. Es geht um das Aufeinanderprallen gegensätzlicher Welten gleich mehrfach: schwarz und weiß, reich und arm, jung und alt, gesund und schlimm krank und dann ist der eine Aristokrat und der andere Migrant.
Nur Mann und Frau sind hier ausgespart, aber das hätte diese Männerkumpanei auch gesprengt, die kein oben und unten, eben keinen Herren und keinen Knecht kennt. Ob ich unter- oder überlegen bin, entscheide ich selber und noch besser ist es, diese Frage gar nicht zu stellen und einfach zu leben. Die völlig unverhohlt gelebten Gegensätze, die im Film zur berückenden Komödie werden, sind es, die den Film zum erfolgreichsten des Jahres 2011 und dem zweiterfolgreichsten der französischen Filmgeschichte haben werden lassen.
JONAS STELL DIR VOR; ES IST SCHULE UND DU MUSST WIEDER HIN
Ein erstaunlicher Film, weil er das wirkliche Leben einholt. Christian Ulmen wird zum 18jährigen Schüler geschminkt und läßt uns vergessen, daß wir im Film sind, so wirklichkeitsnah sind die Schulszenen und Ulmen mit ihnen. Alle Ängste von Schülern, die Versagungsängste wie die Minderwertigkeitskomplexe sind da.
NEW KIDS NITRO
Hier geht’s auch um Jugendliche. Allerdings anderer Art. Fünf niederländische Proleten schlagen sich mit den Hooligans aus dem Nachbardorf, wobei Dosenbier und heulende Motoren eine Hauptrolle spielen. Geschmacksache, ob man das sehen muß.
DER ATMENDE GOTT
Ein Dokumentarfilm über Sri T.Krishnamacharya, der 1938 seinen Unterricht – er ist der Erfinder des modernen Yoga – filmen ließ. Heute ist er 93 Jahre und unterrichtet noch immer. Zumindest den Yogalehrer hält Yoga jung.
SCHLAFLOS BEI ZUNEHMENDEM MOND
Wir sind in der Ägäis, wo drei Frauen nicht schlafen können. Grund allerdings ist der Moralterror ihrer Umgebung.
UTOPIANS CHINESE ZUM MITNEHMEN
Spielfilmdebüt des Videokünstlers Bzymek, der in Argentinien drei Außenseiter durchs Leben führt und uns erklärt, daß man die Sinnlosigkeit des Lebens nur aushält, wenn man dessen bewußt ist und darum einfach lebt.
HUHN MIT PFLAUMEN
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