Redaktion
Hollywood (Weltexpresso) – Aaron Schimbergs provokativer, gewagter und origineller Film A DIFFERENT MAN ist ein düster-komischer Thriller, der in die dunkle Zone eintaucht zwischen dem, was wir sind, und dem, wie die Welt uns sieht. Der Film folgt dem einsamen New Yorker Edward, dem die seltene Gelegenheit geboten wird, sein Gesicht zu verändern, um in einer anderen Realität
wiedergeboren zu werden. Doch je mehr sich die Dinge in Edwards Leben ändern, desto mehr
bleibt alles beim Alten.
Einerseits kann er physisch zu einem anderen Menschen werden, der seine alte Haut abstreift, und als Person, die sein altes Leben nicht wiedererkennt, neu anfangen. Andererseits kann er der Ironie nicht entkommen, dass er immer noch nicht der Mensch ist, der er sein will.
Der Film ist unheimlich humorvoll und erzeugt einen Sog aus Paranoia wie ein klassischer Film Noir. Mit seiner starken filmischen Vision setzt der Genre-Mix zudem einen visuellen Meilenstein. Der New Yorker Autor und Regisseur Aaron Schimberg reiht sich mit seinem dritten Film in die Riege der amerikanischen Filmemacher*innen ein, die meisterhaft komödiantische Spannung und detailreiche Geschichten verbinden, die die Welt aus nie dagewesenen Blickwinkeln zeigen.
A DIFFERENT MAN geht auf eine Weise ans Eingemachte, wie es nur wenige Filme können. Die Geschichte spielt in einer Welt, die sich kaum von unserer Realität unterscheidet und in der eine fragwürdige Behandlung existiert, die Menschen ein neues Äußeres ermöglichen kann. Die intensive Atmosphäre verweist auf unzählige Filme über Personen, die durch ihr eigenes Spiegelbild verwirrt sind: Filme über verlorene Persönlichkeiten, falsche Masken, Imitationen und Doppelgänger. Die Story spielt mit all der schwindelerregenden Unlogik eines schlechten Traums. Aber hinter all dem Nervenkitzel des eigenwilligen Stils brodelt auch eine unerwartete Erforschung von Schönheit, Anziehung, Erfolg und dem, was sich wirklich hinter der Fassade verbirgt.
Wie manipulierbar ist das Gewissen? Wie eng ist es mit Tatsächlichkeiten und Wahrnehmungen verbunden? Was genau muss sich bei einem Menschen ändern, um sein Schicksal zu verändern? Was passiert, wenn wir sehen, wie sich jemand das für uns bestimmte Schicksal aneignet? Diese Fragen wirbeln umher, wenn Neid, Bedauern, Frustration und Eifersucht Edwards Schicksal ebenso verändern wie sein umgestaltetes Gesicht.
Die präzisen und einschlagenden Pointen des Films, die listig unterlaufenen Erwartungen und die emotionsgeladenen Dialoge sind allesamt Teil von Schimbergs Art, tief unter die Oberfläche vorzudringen. Schimberg macht keinen Hehl aus seiner Liebe zum Genre – eine Liebe, die in seinen knisternd komischen Dialogen und seinem dunklen Filmstil spürbar wird.
Die Wände seines Büros zieren Poster von Val Lewtons Werken schaurig-schöner RKO-Horrorfilme, die den Ursprung seines Stils erkl‰ren. Für Schimberg ist das Genre das richtige Vehikel, um das Publikum auf eine besondere Reise mitzunehmen. Er ermöglicht den Zuschauer*innen, Charaktere kennenzulernen, die in dieser Form noch nie auf der Leinwand zu sehen waren. Gleichzeitig regt er mit seinen Arbeiten an, sich damit auseinanderzusetzen, wer wir als Menschen sind, wie wir von unserem Umfeld wahrgenommen werden und wonach wir uns trotz dieser Realit‰ten sehnen.
Schimberg hat von Beginn seiner Karriere an das oft gemiedene Thema erforscht, was Schönheit (und angebliche Bestialität) ausmacht. Dabei umging er die bekannten Regeln und die typischen Blickwinkel der Filmkamera, die so lange mit Begehren assoziiert wurden. Sein vorheriger Film Chained for Life wurde als „ein entscheidender Film über die Repräsentation all jener Gruppen“ angekündigt, „die von Hollywood marginalisiert werden.
In A DIFFERENT MAN nutzt er diese Themen nicht ausschliefllich, um Spannung aufzubauen. Vielmehr macht er von diesen relevanten Betrachtungen Gebrauch, um die Unsicherheit der eigenen Identität offenzulegen und Diskussion über wahre und falsche Darstellungen zu entfachen. Dabei gilt es, dem unaufhörlichen Zwang, das zu wollen, was wir nicht haben, ins Gesicht zu lachen.
„Es ist nicht einfach, dieses Thema in Gesprächen zu erörtern, erst recht in einem Film, der kommerziell von den höchsten Schönheitsstandards abhängig ist“, räumt der Autor und Regisseur ein.
Für Schimberg hat das Thema eine sehr persönliche Note. Er selbst litt unter einer beidseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, die seine Sicht auf die Welt prägte. „Es ist eine der häufigsten Fehlbildungen, aber ich habe nur negative oder beleidigende Darstellungen von betroffenen Menschen gesehen. Seither frage ich mich: Wie kann ich jemanden mit diesem Merkmal positiv oder zumindest realistisch darstellen?“
Als er begann, das Drehbuch für A DIFFERENT MAN zu schreiben, dachte Schimberg zunächst an eine Verfilmung von Rouben Mamoulians Dr. Jekyll und Mr. Hyde aus dem Jahr 1931 und war fasziniert von der befreienden Wirkung, eine andere Persönlichkeit anzunehmen. „Ich dachte an eine Geschichte, in der ein Mann mit einer Fehlbildung jede Nacht für ein paar Stunden geheilt wird und das Leben als normaler Mensch genießt“, sagt der Regisseur. „Diese Idee erwies sich als zu sperrig, aber ich hielt an ihrem Kern fest.“
Zu diesem Zeitpunkt war Schimberg fasziniert von der Dramedy Wunder aus dem Jahr 2017. Julia Roberts und Jacob Tremblay spielen die Hauptrollen in dem Film, der von einem Jungen erzählt, der mit dem Treacher-Collins-Syndroms zu kämpfen hat. Schimberg, der immer alles hinterfragt, begann sich über die Hintergründe der Story zu informieren, die auf dem millionenfach verkauften Jugendbuch von Raquel J. Palacio basiert.
„Raquel zog ihre Inspiration aus einer Situation, als sie mit ihrem kleinen Sohn in einer Eisdiele war“, erklärt Schimberg und beruft sich auf die Anekdote, die Autorin Palacio oft erzählt. „Sie sah dieses Kind, das anders aussah. Ihr Sohn bekam Angst und sie als Mutter wurde nervös, weil sie nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte. Das erschütterte ihr Selbstvertrauen als Elternteil und als Person mit Wertvorstellungen. Also schrieb sie dieses Buch, um den Menschen zu zeigen, dass ein entstellter Junge vielleicht die größte Persönlichkeit besitzt, die man sich vorstellen kann.“
Schimberg wollte jedoch mehr über den kleinen Jungen aus der Eisdiele erfahren, der ohne es zu wissen zur Inspiration wurde.
„Ich dachte darüber nach, wie es sich für den echten Jungen anfühlen könnte, wenn er später im Kino sitzt und sich einen Trailer über ein Kind ansieht, das genauso aussieht wie er, aber von einem Kind gespielt wird, das nicht ist wie er“, erklärt Schimberg. „Er sieht sein Leben so, wie es sich diese Mutter vorstellt, die durch seine Anwesenheit verunsichert war. Da begann ich über einen Film nachzudenken, der sich um einen Mann dreht, der vermutet, dass sein Leben die Grundlage für ein Phänomen wie Wunder ist. Er ist sich sicher, dass diese erfolgreiche Geschichte auf seinem Leben basiert, aber niemand schenkt ihm Glauben.“
Schimberg fügte diese unterschiedlichen Ideen zusammen, und daraus entstand der New Yorker Schauspieler Edward. Edward erhält durch eine experimentelle Droge buchstäblich ein neues Gesicht und versucht sein Glück als sein wiederauferstandener Alter Ego Guy, ein fotogener, aufstrebender Star. Doch egal, wie drastisch Guys äußere Verwandlung ist, er kann nicht anders, als sein charismatisches neues Äußeres durch eine Maske seines früheren Gesichts zu ersetzen. Er schwankt zwischen den Identitäten, unfähig, mit einer Version leben zu können. Das Schlimmste an Edwards Situation ist jedoch, dass er gute Miene zum bösen Spiel machen muss, als sein neues Leben den Bach runtergeht, während der Schauspieler, der ihn in einem Theaterstück spielt, immer weiter aufsteigt.
Schimberg merkt an, dass er beim Schreiben des Drehbuchs einen weiteren Grund hatte, über die unbeabsichtigten Folgen einer radikalen Veränderung nachzudenken. Er erinnert sich an ein Treffen mit einer alten Bekannten, die im Gegensatz zu früher völlig verändert aussah. Sie erzählte ihm, dass sie sich bewusst entschieden hatte, ihre Persönlichkeit anzupassen und ihre liebenswerte Schüchternheit zugunsten eines aggressiveren Auftretens aufzugeben. Sie wolle nicht länger als schwach gelten, erklärte sie, denn das habe sie persönlich und beruflich behindert.
Aber Schimberg war fassungslos, dass sie die attraktiven Aspekte ihres Selbst aufgab. „Ich fragte mich, was man bei einer solchen Aktion gewinnen und was man verlieren würde“, sagt Schimberg. „Welche Version war ihre wahre Version? Beide? Weder noch? Anschließend fragte ich mich, ob ich in der Lage wäre, eine ähnliche Persönlichkeitsveränderung vorzunehmen.“
All die beunruhigenden Elemente von A DIFFERENT MAN begannen Gestalt anzunehmen: Edwards gehemmte, ängstliche Existenz vor seiner Verwandlung. Sein beengtes, schmuddeliges Apartment mit dem unaufhaltsam wachsenden Fleck. Eine geheimnisvolle und verführerische Nachbarin, die sich plötzlich für ihn interessiert und zu seinem einzigen Freund und Katalysator seines Schicksals wird. Ein modernes medizinisches Wunder, das seine Fantasien von der Verwandlung beflügelt, aber einen unvorhergesehenen Preis fordert. Die einmalige Chance für den neugeborenen Guy, in der Rolle seines Lebens zu glänzen, von der er glaubt, dass er der einzige Mensch auf Erden ist, der sie verstehen könnte.
Dann kam die erstaunliche dritte Figur des Films hinzu. Der Mann, der die Geschichte in ein komplexeres und vielschichtiges sowie hinterhältiges Spiegelkabinett treibt: Oswald, ein Schauspieler mit demselben Leiden, der jedoch so auffallend selbstbewusst, talentiert und authentisch ist, dass er Edward schnell und unmissverständlich die Show stiehlt. Als Oswald die Rolle von Edward übernimmt und dabei zu einem beliebten Star wird, stürzt er Guy in eine tiefe Krise, die außer Kontrolle gerät.
„In gewisser Weise wird Edward zweimal seiner Identit‰t beraubt“, erklärt Schimberg die Wendung, die dem Film in seiner Mitte eine neue Richtung gibt. „Gleichzeitig wird Edward zu einer Art Hochstapler, der mit etwas Echtem und Authentischem konfrontiert wird. Es ist wie das Weiterreichen einer Fackel von Schauspielern, die Behinderungen spielen, zu behinderten Schauspielern, die spielen, wen sie spielen wollen.“
Das Kino eignete sich schon immer dazu, die Kluft zwischen visuellem Erscheinungsbild und innerer Identität zu erforschen. A DIFFERENT MAN gehört zu einer kleinen, aber wichtigen Reihe von Filmen über totale Gesichtsveränderungen. Die Liste umfasst so prägende Filme wie Georges Franjus Horror-Klassiker Augen ohne Gesicht, Hiroshira Teshigaharas Parabel The Face of Another, John Frankenheimers erschütternder Sci-Fi-Thriller Der Mann, der zweimal lebte aus den 1960er-Jahren, John Woos Action-Thriller Im Körper des Feindes und Pedro Almodóvars Fabel Die Haut, in der ich wohne über einen Chirurgen, der in seinem Keller an einem Gefangenen experimentiert.
Der Film A DIFFERENT MAN spielt zwar auf diese Vorgänger an, schlägt aber eine neue Richtung ein. Indem er die Wurzeln der Vorurteile ¸ber Gesichtsdeformationen beleuchtet, lässt er das Publikum an Edwards Geschichte umso mehr teilhaben.
Das Drehbuch mit seinen ehrgeizigen Ambitionen, seiner starken Geschichte und seinen gewagten strukturellen und thematischen Risiken erregte sofort die Aufmerksamkeit von Christine Vachon von Killer Films. Die bahnbrechende Arbeit der legendären Produzentin reicht zurück bis zu ihrem ersten Spielfilm – Todd Haynes’ Queer-Cinema-Meilenstein Poison von 1991. Killer Films tat sich mit Schimbergs langjähriger Produzentin und Partnerin Vanessa McDonnell zusammen, und das Projekt nahm Fahrt auf. Nun war es an der Zeit, drei ungewöhnlich mutige Schauspieler zu finden, von denen man einen kaum wiedererkennen würde.
Foto:
©Verleih
Info:
Stab
Regie AARON SCHIMBERG
Drehbuch. AARON SCHIMBERG
Besetzung
Rolle. Schauspieler*in
Edward SEBASTIAN STAN
Ingrid RENATE REINSVE
Oswald ADAM PEARSON
TECHNISCHE DATEN
Hauptfilm:A DIFFERENT
MAN
Tonformat: Dolby 5.1
Bildformat:Flat 1.85 4KSprachfassungen:
OV & OmU
Laufzeit: 112 Min 24 Sek
FSK:Freigegeben ab 12 Jahren, ff