Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Dezember 2024, Teil 4
Redaktion
Paris (Weltexpresso) - WIE IST DIE GESCHICHTE DER FAMILIE LEROY ENTSTANDEN? Ich habe viele Filme gesehen, die sich mit der Trennung von Eltern auseinandersetzen, aber dabei fehlte mir oft die Perspektive der Kinder. Zudem war der Ton häufig entweder sehr dramatisch oder rein komödiantisch. Ich wollte das Thema ehrlich angehen und einen Film schaffen, der zwischen diesen Extremen liegt – eine bittersüße Komödie, die von Nostalgie geprägt ist, aber gleichzeitig humorvolle Dialoge und komische Situationen bietet.
WIE VIEL AUS IHRER EIGENEN FAMILIENGESCHICHTE SPIEGELT SICH IN DIESEM FILM WIDER?
Meine Eltern trennten sich, als mein Bruder und ich so alt waren wie die beiden Kinder im Film. Wir sagten unseren Eltern damals, dass es ihr Problem sei. Meinen Vater traf diese Aussage sehr, weil er dachte, es wäre uns egal. Die Idee für den Film entstand aus den möglichen Spannungen und Konfrontationen, die in einer Familie in solch einem Moment auftreten können. Ich habe das Gefühl, dass ich zu einer Generation gehöre, in der Scheidungen der Eltern alltäglich geworden sind. Für uns Kinder war es leichter, weil fast alle unsere Freunde getrennte Eltern hatten. Für unsere Eltern hingegen war es kompliziert. Beim Schreiben der Kinderfiguren habe ich viel von meinem damaligen Gefühlszustand einfließen lassen. Aber auch in den Charakteren von Sandrine und Christophe, gespielt von Charlotte Gainsbourg und José Garcia, steckt etwas von mir selbst.
WIR ERFAHREN, WIE VERLIEBT UND GLÜCKLICH SANDRINE UND CHRISTOPHE ZU BEGINN IHRER BEZIEHUNG WAREN, UND SEHEN, WIE SIE SICH IM LAUFE DER JAHRE ENTFREMDEN. IST DER GRUND DAFÜR, DASS SANDRINE ZUNEHMEND ALLES ALLEIN TRAGEN MUSS?
Das trifft teilweise zu. Aber ich wollte keine Schuldzuweisungen machen. Es gibt keinen Schuldigen – nur das Leben, das seine Spuren hinterlässt. Christophe ist nicht für alles verantwortlich. Deshalb wollte ich ihn in einer positiven Form zeigen und nicht als jemanden, der sich gehen lässt. Gleichzeitig wollte ich seine Fehler nicht verbergen: Er kann grausam, wütend und egoistisch sein und, um es offen zu sagen, manchmal ziemlich dumm. Aber vor allem ist die Situation zwischen Sandrine und Christophe permanent angespannt. In ihrer Beziehung gibt es eine Erschöpfung, die Sandrine erdrückt. Da die gemeinsamen Kinder Lorelei und Bastien bald das Haus verlassen werden, muss sich Sandrine der Vorstellung stellen, bald mit Christophe allein zu leben. Ihr wird klar, dass sie das nicht möchte.
CHRISTOPHE KANN NICHT FASSEN, DASS SANDRINE NACH ZWANZIG JAHREN BEZIEHUNG EINE TRENNUNG IN BETRACHT ZIEHT. WELCHE ÄNGSTE PLAGEN IHN DABEI?
Er hat Angst, allein zu sein, auch ohne seine Tochter und seinen Sohn. Christophe, der immer noch in seine Frau verliebt ist, fürchtet, mit fast 50 Jahren alles zu verlieren. In dem Versuch, Sandrine zurückzugewinnen, möchte er auch wieder eine Verbindung zu seinen Kindern aufbauen. Die Kommunikation ist das zentrale Thema des Films.
HABEN SIE BEIM SCHREIBEN AN CHARLOTTE GAINSBOURG UND JOSÉ GARCIA GEDACHT?
Ich habe mit Charlotte im Hinterkopf geschrieben, weil ich sie bewundere, besonders in dem Film PRÊTE-MOI TA MAIN. Aber für mich war sie so unerreichbar, dass ich meinen Produzenten von Nolita Cinema sagte: „Wir brauchen eine Schauspielerin im Stil von Charlotte Gainsbourg.“ Glücklicherweise produzierten sie zu diesem Zeitpunkt Charlottes Dokumentarfilm JANE BY CHARLOTTE über ihre Mutter, die Schauspielerin Jane Birkin, und sprachen mit ihr über meinen Film. Sie mochte die erste Version des Drehbuchs und ich arbeitete viel mit ihr an ihrer Rolle. Sie hat mir unglaublich viel gegeben. Die Idee, sie mit José spielen zu lassen, kam später, und ich schrieb für ihn um. Er las das Drehbuch an einem Mittwochmorgen und gab mir am selben Abend sein d'accord.
WAREN SIE AN EINEM INNOVATIVEN PAAR IM KINO INTERESSIERT?
Ich fand die Idee von Charlotte als „clown blanc“ großartig, die mit einem Satz alles und jeden brechen kann. José erinnert mich an Adam Sandler. Er hat viele verrückte Charaktere mit viel Energie in seiner Filmografie und sobald er diese Energie etwas zurücknimmt, trifft er uns direkt ins Herz. Außerdem ist er unglaublich sympathisch. Selbst wenn er eine Figur spielt, die Fehler hat, liebt ihn man ihn.
WIE BESCHREIBEN SIE SANDRINE, DIE STÄNDIG WEINT? HAT SIE EINEM EMOTIONALEN BURNOUT?
Sandrine steht unter Druck. Sie schwimmt in einem großen Becken, sieht das Ende, hat aber keine Luft mehr und kämpft auf ihre ungeschickte Weise, um den Rand zu erreichen. Sie hat große Angst, ihre Kinder zu verlieren und davor, dass sie ihr die Entscheidung übelnehmen oder ihren Vater verletzen. Sie entschließt sich, als erstes mit ihnen zu sprechen und ihnen die ganze Wahrheit zu sagen – letzteres stellt sich allerdings als unvorteilhaft heraus.
GERADE SANDRINES INNERER DRUCK IST DURCH KLEINE DETAILS WÄHREND DES GANZEN FILMS SPÜRBAR, INSBESONDERE DURCH DIE GETRÄNKEDOSEN, DIE SYSTEMATISCH EXPLODIEREN, WENN SIE SIE ÖFFNET.
Der Druck sitzt in Sandrine, so wie bei vielen Frauen. Zunächst ist sie traurig, doch nach der Karaoke-Szene, in der Christophe schrecklich zu ihr ist, wird sie wütend. In der Szene mit dem Polizisten beißt sie schreiend ins Lenkrad, um sich zu befreien. Vielleicht ist es genau das, was sie braucht: die Wut, um ihre Entscheidung wirklich umzusetzen. Die letzte Getränkedose, die nicht explodiert, symbolisiert die Beruhigung innerhalb der Familie.
SIE WILL STÄNDIG UMARMT WERDEN. WAS SAGT DAS ÜBER SIE AUS?
Dass sie diesen Trost nicht oder nicht mehr hat. Niemand nimmt sie mehr in den Arm, also bittet sie ihre Kinder darum. Das Fehlen von liebevollen Gesten bedeutet auch, dass ihr nicht zugehört wird. Sie fühlt sich einsam und unverstanden. Jemanden in den Arm zu nehmen bedeutet: Ich sehe, dass es dir schlecht geht, ich habe Mitgefühl mit dir.
UND WAS IST MIT CHRISTOPHE, DER EINE PHOBIE VOR ANRUFBEANTWORTERN HAT UND NICHT IN DER LAGE IST, MIT SEINER FAMILIE ZU KOMMUNIZIEREN. WAS HINDERT IHN IM GRUNDE DARAN?
Indirekt sein Vater. Der Vater, der keine Kommunikationsschwierigkeiten hat und eine starke Lebensphilosophie besitzt. Der Vater, der Antworten auf alles hat, sogar auf den Tod seiner eigenen Frau. Für ein Kind, das nicht zwangsläufig die gleichen Erfahrungen und Werte wie sein Vater mitbringt, kann das erdrückend sein. Christophe hat einen Komplex ihm gegenüber entwickelt, der ihn daran hindert, offen zu kommunizieren. Christophe hat sich gegen seinen Vater aufgelehnt, sagen wir, auf eine umgekehrte Weise. Und ist dabei vielleicht sogar etwas spießig geworden.
UM SEINE BEZIEHUNG ZU RETTEN, PLANT CHRISTOPHE MIT SEINER FAMILIE DIE ORTE ZU BESUCHEN, AN DENEN SIE SCHÖNE ERINNERUNGEN GETEILT HABEN. DABEI GEHT ALLERDINGS SO ZIEMLICH ALLES SCHIEF. ER IST EIN WUNDERBARER VERLIERER. IST ES WICHTIG, DASS ER HANDELT?
Ich wollte nicht, dass er aufgibt. Ja, vieles läuft schief, aber ich liebe großartige Verlierer, weil sie alles tun, was in ihrer Macht steht. Diese Komödienhelden sind oft sehr rührend. Christophe verhält sich viel wie ein Kind und man möchte, dass es gelingt, weil dieses Paar eine Form von Alchemie, einen komplizenhaften Humor bewahrt. Der Fehler von Christophe ist, dass er versucht, die Vergangenheit zu rekonstruieren, die überholt ist. Alles hat sich verändert. Er ist, wie ich, sehr nostalgisch.
CHARLOTTE GAINSBOURG TRÄGT DIE MEISTEN DER KOMISCHEN SITUATIONEN. SOLLTE JOSÉ GARCIA EHER ZURÜCKHALTEND SEIN?
Ich sehe das nicht so. Ich habe wirklich versucht, eines dieser einzigartigen Duos zu kreieren, die wir lieben und die man oft im Kino von Francis Weber findet. Ähnlich wie ein Zirkusduo, wie “clown blanc & Auguste“, aber hier innerhalb eines Paares, das Schwierigkeiten hat. Für José habe ich an Pierre Richard, aber auch an „Die Simpsons“ gedacht. Homer hat viele Fehler, aber er ist auch voller guter Absichten und immer fröhlich. Man möchte, dass er Erfolg hat. Tatsächlich wollte ich mehr eine Komödie mit einem Duo machen als eine romantische Komödie.
DIE SZENE IM BUS, IN DER CHRISTOPHE UND BASTIEN ÜBER DIE EREKTION DISKUTIEREN, STELLT EINE RÜCKKEHR ZUR KOMMUNIKATION ZWISCHEN VATER UND SOHN DAR. ABER WIE HABEN SIE SICH DAS VORGESTELLT?
Christophe kann sehr persönliche Dinge ansprechen und direkt zur Sache kommen. Mir gefällt es, wenn Grobheiten mit süßen und tiefgründigen Themen kombiniert werden. Ich bin schüchtern und mag keine übertrieben pathetischen Momente. Hier sprechen wir über ein Thema, das zwischen einem Vater und einem Sohn unangenehm sein kann, aber es ist tatsächlich der Anfang einer Beziehung, die vorher nicht existierte. Emotionen kommen in einer komischen Situation besser zur Geltung.
MIT BAPTISTE LECAPLAIN, JÉRÔME NIEL, BENJAMIN TRANIÉ, SOPHIE-MARIE LARROUY UND VINCENT TIREL SIND VIELE HUMORISTEN FÜR REINE KOMIKMOMENTE VERTRETEN.
Ich habe die Szenen für sie geschrieben. Ich arbeite mit vielen seit Jahren zusammen und finde sie unglaublich talentiert. Wir haben ihre Rollen gemeinsam entwickelt, auch mit Adrien Ménielle, der seit langem mein Kollege ist, auf eine sehr kollaborative Weise. Ich bin ein Fan von ihnen, wie von allen Schauspielern des Films.
LUIS REGO, DER DEN VATER VON CHRISTOPHE VERKÖRPERT, IST EIN SCHAUSPIELER, DER SICH IM KINO RAR MACHT. WARUM HABEN SIE IHN GEWÄHLT?
Wie gesagt, ich bin ein Fan, der Regie führt. Luis Rego zu besetzen, war auch eine Möglichkeit, die Komödie und den französischen Humor durch einen Schauspieler zu feiern, der mit Filmen wie DIE STRANDFLITZER, DIE TOLLEN CHARLOTS – FRECHHEIT SIEGT oder LE TRIBUNAL DES FLAGRANTS DÉLIRES ein Teil dieses Erbes ist. Außerdem fand ich ihn als Vater von José glaubwürdig. Sie haben ähnliche Wurzeln. Während der Lesungen haben sich José und er großartig verstanden, er war also begeistert.
SIE HABEN IN BURGUND GEDREHT, DER REGION IHRER KINDHEIT, UNTER ANDEREM IN DIJON UND AN DER AUTOBAHNRASTSTÄTTE VON GEVREY-CHAMBERTIN. WAR DAS WICHTIG FÜR SIE?
Ja, es war wichtig, bei mir zu drehen, aber ich wollte auch die Regionen Frankreichs in den Vordergrund stellen, die Kulissen der Menschen, die nicht unbedingt Postkartenmotive sind. Ich wollte die Kreisverkehre, die Buffalo Grills, die heruntergekommenen Hotels und die Einkaufszentren zeigen, wo alles horizontal verläuft, wie in einem Western. Ich finde, das kann viel Poesie haben. In der Szene auf dem Parkplatz des Supermarktes, untermalt von dem Lied „Quand la ville dort“ von Niagara, habe ich meinen Kameramann Julien Hirsch gebeten, dort, wo die abgestellt werden, Neonlichter hinzuzufügen. Diese möglicherweise hässliche urbane Kulisse wird sehr schön. Irgendwo ist das eine Möglichkeit, schöne Erinnerungen an die Jugend zu erzählen, als wir unsere Zeit damit verbrachten, uns auf diesen Parkplätzen zu langweilen. Ich habe eine gerührte Erinnerung daran.
WÜRDEN SIE ZUSTIMMEN, DASS ES SICH UM EINE LUSTIGE UND ROMANTISCHE KOMÖDIE HANDELT, DIE EIN BITTERSÜSSES, ABER AUCH REALISTISCHES ENDE HAT?
Ja, absolut. Zusammengefasst könnte man sagen: ein Happy End, bei dem sie nicht zusammenbleiben. Ich wollte, dass die Zuschauer sich für die beiden freuen, ohne von einem vorhersehbaren Ende enttäuscht zu werden. Hier haben sie Frieden gefunden, auch wenn die Trennung schwerfällt. Am Ende nehmen sie dieselbe Route, aber nicht denselben Weg. Familie bedeutet nicht unbedingt, unter einem Dach zu leben. Meine Eltern sind geschieden, aber mein Vater bleibt mein Vater und meine Mutter bleibt meine Mutter. Und meine Erinnerungen an die Zeit, als sie zusammen waren, bleiben unberührt.
DEN BEIDEN KINDERN IM FILM GING ES NICHT SO GUT, SIE KLINGEN EHER FATALISTISCH, WENN SIE SAGEN: „WIR SIND LEROYS“. ABER AM ENDE GEHT ES IHNEN BESSER. WEIL ALLES KLARER IST ODER WEIL IHRE ELTERN NICHT MEHR IM KRIEG SIND?
Zu verstehen, dass meine Eltern Menschen mit Fehlern und keine Götter sind, hat mir sehr geholfen. Die Weitergabe von Werten ist das Herzstück des Films, denn das betrifft mich ganz persönlich. Als ich 16 Jahre alt war, sah ich meinen Vater zum ersten Mal weinen, als sein eigener Vater starb, und das hat meine Sicht auf ihn völlig verändert. Mein Traum ist, dass die Menschen den Film als Familie mit ihren Teenagern anschauen und dass sich jeder, Eltern wie Kinder, darin wiederfindet. Wenn der Film eine Aufgabe hat, dann vielleicht, das Bewusstsein für den Mangel an Kommunikation innerhalb der Familie zu schärfen. Ich habe das gemacht, weil ich Schwierigkeiten habe, mit meinen Eltern oder sogar mit meinem Bruder zu sprechen. Wenn ein Vater, eine Mutter oder ein Teenager nach dem Anschauen des Films eine Nachricht schickt, wäre das wirklich toll.
IST DIESER ERSTE FILM EINE ART LIEBESERKLÄRUNG AN IHRE ELTERN?
Absolut, und sie ist sehr aufrichtig. Eine Liebeserklärung, aber vielleicht manchmal mit ein bisschen Härte und Spott. Aber ich habe nur einen Wunsch: meinen Eltern zu sagen, dass ich sie so liebe, wie sie sind.
Foto:
©Verleih
Info:
Originaltitel: NOUS, LES LEROY
Produktion: Frankreich 2024
Lauflänge: 102 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 19. Dezember 2024
Stab
REGIE & DREHBUCH FLORENT BERNARD
Darsteller
CHARLOTTE GAINSBOURG als SANDRINE LEROY
JOSÉ GARCIA als CHRISTOPHE LEROY
LILY AUBRY als LORELEÏ LEROY
HADRIEN HEAULMÉ als BASTIEN LEROY
LOUISA BARUK als MELHA
Website: www.weltkino.de/filme/es-liegt-an-dir-cheri
Abdruck aus dem Presseheft