Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Januar 2025, Teil 3
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Olympischen Spiele 1972 in München sollen heitere Spiele werden, den zum ersten Mal nach 1936 finden sie wieder in Deutschland statt. Dabei soll der Welt ein neues und liberales Bild der Bundesrepublik vermittelt werden.
Am 5. September 1972 ist der 10. Wettkampftag. Im Studio des amerikanischen Senders ABC ist es ziemlich ruhig und nur die Nachtschicht ist noch dort, während sich der bekannte Fernsehmanager Roone Arledge (Peter Sarsgaard) für ein paar Stunden hingelegt hat.
Um 4:40 Uhr hört die Frühschicht des amerikanischen Senders ABC Schüsse aus dem nahe gelegenen Olympischen Dorf. Unter der Leitung des jungen und ehrgeizigen Produzenten Geoffrey Mason (John Magaro) befindet sich nur noch ein Kernteam im Studio. Da zunächst nur spärliche Informationen zu den möglichen Hintergründen zu erfahren sind, werden sofort alle verfügbaren Kräfte – inklusive Roone Arledge – zurückgerufen. Es wird versucht auf allen möglichen Wegen Fakten zu erfahren und die dazu passenden Bilder zu bekommen.
Es stellt sich recht schnell heraus, dass acht Mitglieder der palästinensischen Terroristen-Organisation ″Schwarzer September″ über den Zaun des Olympischen Dorfes geklettert sind und insgesamt 11 israelische Athleten und Trainer als Geiseln genommen haben. Dabei sind zwei von ihnen ums Leben gekommen und einer konnte entkommen. Gegen den Widerstand der eigenen Nachrichtenabteilung setzt Roone Arledge durch, dass das ABC-Sports-Team Live die Übertragung übernimmt.
Geoffrey Mason übernimmt unerwartet die Leitung der Live-Sendung, er erhält Unterstützung von der deutschen Dolmetscherin Marianne Gebhardt (Leonie Benesch) und den weiteren Mitarbeitern der Crew, die kurzfristig erreichbar sind.
Da ABC keine Satelliten-Übertragungsrechte hat, spricht Arledge mit anderen US-Sendern, gleichzeitig versucht Mason einen Kamera in das inzwischen abgeschlossene Olympische Dorf zu schmuggeln und ein Crew-Mitarbeiter wird als Sportler ausgestattet und bringt so die Filmrollen aus dem Dorf heraus. Aber nicht alle Produzenten sind der Meinung, dass man die Story live berichten sollte, besonders Marvin Bader (Ben Chaplin) hat große Bedenken.
Während die Zeit drängt, machen immer wieder widersprüchliche Gerüchte die Runde. Außerdem ist nicht klar, wie sich die Münchner Polizei und die deutschen Politiker in der für sie neuen Situation verhalten sollen. Dabei steht das Leben der Geiseln auf dem Spiel steht, und Mason muss schwierige Entscheidungen treffen.
Während der insgesamt 21stündigen Geiselnahme versucht die Crew möglichst Live zu berichten. Daneben weiß Mason auch nicht genau, wie er zu den widersprüchlichen Gerüchten zur Befreiung oder zum Tod von Geiseln umgehen soll.
Als sie allerdings begreifen, dass sie mit ihrer Berichterstattung auch den Terroristen ermöglichen, die Bilder im israelischen Quartier zu sehen, und sie damit nicht nur mediale Aufmerksamkeit erhalten, sondern auch sehen können, wo sich z.B. die Polizei aufhält und womit sie bewaffnet sind, müssen Mason und seine Crew doch auch darüber nachdenken, welche Auswirkungen die Berichterstattung hat…
″September 5″ ist nicht der erste Film, der sich den Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft und die katastrophale deutsche Krisenpolitik zum Inhalt hat. Schon vorher gab es sowohl Dokumentationen als auch Filme zu dem Thema, hier ist eine Auswahl: ″Ein Tag im September″ (1999) BBC-Rekonstruktion von Regisseur Kevin Macdonald. ″München 72 – Das Attentat″ (2012) ist ein deutscher Fernsehfilm zum 40. Jahrestag des Attentats, das unter der Regie von Dror Zahavi das Geiseldrama während der Olympischen Sommerspiele in München im Jahre 1972 nachstellt.
Zum 50. Jahrestag des Attentats gab es zwei weitere deutsche Filme, zum Einen die Sky-Dokumentation "1972 - Münchens schwarzer September" (2022) von Christian Stiefenhofer und Mohamad Abou Falah. Sie erzählt die Geschichte des Attentats aus drei Perspektiven: die der Opfer, der Polizisten und der Attentäter. Zum Anderen gab es die ARD-Dokumentation ″Tod und Spiele – München ′72″ (2022) von Bence Máté und Lucio Mollica. Sie wurde in einer 90minütigen Fassung in Ersten gezeigt.
Am Bekanntesten ist sicher der Oscar-nominierte Action-Thriller ″München″ (2005) von Regisseur Steven Spielberg, der auf der wahren Geschichte der israelischen Reaktion auf das Münchner Olympia-Attentat basiert.
Der hier besprochene Film geht einen anderen Weg. Er versucht das Drama um die Geiselnahme der israelischen Sportler und Trainer durch die Terrororganisation Schwarzer September aus der Perspektive einer Gruppe US-amerikanischer Sportjournalisten, die vor Ort waren, zu erzählen. Deshalb spielt auch der Großteil des Filmes überwiegend im Münchner Sendezentrum des US-Kanals ABC. Dort sehen sich die hauptsächlich auf Sportübertragungen spezialisierten Verantwortlichen plötzlich mit der Möglichkeit konfrontiert, die terroristische Geiselnahme live zu verfolgen und nach Amerika auszustrahlen, da die Geiselnahme beinahe direkt vor dem Fenster der Redaktion stattfand. Man musste nur versuchen eine Kamera nahe genug an das Geschehen heranzubringen.
Regisseur des Films ist der Schweizer Tim Fehlbaum, nach dem Drehbuch von Tim Fehlbaum und Moritz Binder, die auch versucht haben mit einigen der heute noch lebenden Beteiligten des ABC-Teams zu sprechen.
Dabei kann sich der Regisseur auf die intensive Darstellung des hervorragenden Casts in einer stressigen Situation verlassen. Dies gilt nicht nur für Peter Sarsgaard als Roone Arledge, der als Manager für die Übertragung der Münchner Spiele von 1972 verantwortlich war, sondern auch für Ben Chaplin als chronisch gereizter und immer vorsichtiger Einsatzleiter Marvin Bader, sowie die eigentlich im Mittelpunkt stehenden John Magaro als diensthabender Produzent Geoffrey Mason und Leonie Benesch als Marianne Gebhard, die als Dolmetscherin ganz plötzlich für deutlich mehr verantwortlich war als bloße Übersetzungen vom Deutschen ins Englische abzuliefern, denn ihre Aufgabe bestand u.a. auch darin, den deutschen Polizeiruf abzuhören und auch den deutschen politischen Hintergrund zu liefern.
Dabei achtet der Film darauf, weder die Sicht der Opfer oder der Terroristen noch der deutschen Polizei oder der Politiker einzunehmen, sondern das ganze Geschehen wird nur aus der Sicht der ABC-Sport-Redaktion, den Journalisten und anderen Mitarbeitern zu sehen, die seinerzeit auf dem Olympiagelände untergebracht waren und live von dort gesendet haben und welche schwierigen Entscheidungen die Redaktion zu treffen hatte.
Trotzdem sieht der Zuschauer deutlich welche Fehler die inkompetente Polizei und die überforderten Politiker gemacht haben, aber auch wie die Live-Fernsehübertragungen den palästinensischen Terroristen in die Hände gespielt hat.
Während die Bilder weltweit im Fernsehen gezeigt wurden, wurden aber auch die Fragen aufgeworfen, ob die Zuschauer sich wirklich ein Attentat live im Fernsehen ansehen sollten? Sollte man die Angehörigen der Geiseln (vor allen des für die israelitische Mannschaft als Ringer startenden amerikanischen Staatsbürgers David Berger) durch die Livesendungen erfahren, was im Olympischen Dorf passiert oder sollten sie erst von der örtlichen Polizei unterrichtet werden? Was hat es für Auswirkungen, dass die Terroristen live mitverfolgen können, was sich vor dem Haus der gefangenen Athleten abspielt?
Das Dilemma Ethik vs. Informationspflicht bzw. Quote. zeigt der Film deutlich auf, auch in den Diskussionen zwischen dem von Ben Chaplin gespielten Marvin Bader und dem von Peter Sarsgaard gespielten Roone Arledge.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) hat das Drama mit dem Prädikat ″besonders wertvoll″ ausgezeichnet, da der Film durch die von den Darstellenden glaubhaft verkörperten Konflikte zu einer äußerst klugen Medienreflexion gemacht wird, gerade auch im Hinblick auf aktuelle medial verbreitete Terrorakte. Darüber hinaus ist ″September 5″ spannendes Erzähl- und Ensemblekino, das bis in die Zehenspitzen fesselt.
Neben einigen Nominierungen bei Festivals und kleineren Awards – wie z.B. als bester Film für den Bayerischer Filmpreis 2024 - erhielt der Film bei den Golden Globe Awards 2025 eine Nominierung als Bester Film – Drama (konnte aber gegen ″The Brutalist″ nicht gewinnen), sowie bei den Critics’ Choice Movie Awards 2025 erhielten je eine Nominierung Moritz Binder, Tim Fehlbaum und Alex David für das Beste Drehbuch und Hansjörg Weißbrich für den Besten Schnitt.
Insgesamt ist ″September 5 - The Day Terror Went Live″ ein ungemein spannender Thriller aus dem Journalismus Milieu. Der auch deutlich aufzeigt, unter welchen aus heutiger Sicht altmodischen Bedingungen bei der Fernsehtechnik in den 1970er Jahren gearbeitet wurde. Es lohnt, unbedingt sich den Film anzusehen, auch wenn die Unfähigkeit von Polizei und Politikern sowie die - wenn auch unfreiwillige - Komplizenschaft der Medien doch recht oberflächlich behandelt wurde.
Zusatz: Die drei überlebenden Terroristen Jamal Al-Gashey, Adnan Al-Gashey und Mohammed Safady wurden schon wenige Wochen nach ihrer Tat durch die Entführung des Lufthansa-Fluges 615 aus deutscher Haft freigepresst. Vermutlich leben auch heute noch zwei der damaligen Attentäter.
Foto 1: v.l.n.r.: Im Kontroll-Raum: Jacques Lesgardes (Zinedine Soualem), Geoffrey Mason (John Magaro), Marianne Gebhard (Leonie Benesch), Carter (Marcus Rutherford) u.a. © Constantin Film Verleih GmbH
Foto 2: Jacques Lesgardes (Zinedine Soualem) und Geoffrey Mason (John Magaro) © Constantin Film Verleih GmbH
Foto 3: Roone Arledge (Peter Sarsgaard) © Constantin Film Verleih GmbH
Foto 4: Marvin Bader (Ben Chaplin) © Constantin Film Verleih GmbH
Info:
September 5 - Mit dem Untertitel: The Day Terror Went Live (Deutschland 2024)
Originaltitel: September 5 – The Day Terror Went Live
Genre: Drama, Historie
Filmlänge: ca. 91 Min.
Regie: Tim Fehlbaum
Drehbuch: Tim Fehlbaum; Moritz Binder
Darsteller: John Magaro, Ben Chaplin, Leonie Benesch, Rony Herman, Peter Sarsgaard, Zinedine Soualem, Corey Johnson, Georgina Rich, Robert Porter Templeton, Solomon Mousley, Jeff Book u.a.
Verleih: Constantin Film Verleih GmbH
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 09.01.2025