IMG 4259Vor der Berlinale 2025 (3)

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Gestern begannen die Vorab-Filme für die Presse der Sektionen Generation und Forum. Natürlich überschneiden sich die Filme in beiden Bereichen und wir Journalisten müssen ständig gucken und planen, was wir denn nun sehen wollen. Aber klar, das ist ein Luxusproblem…

Das gesamte Berlinale-Programm wird erst Anfang Februar veröffentlicht, jedoch bekommen wir immer kurzfristig von den jeweiligen Sektionen Kurzbeschreibungen der in den nächsten Tagen gezeigten Werke. Und dann wechselt man am Potsdamer Platz vom Cinemax zum Arsenal und wieder zurück. Das Cinemax ist übrigens total saniert und es gibt in all seinen 19 Vorführsälen (!) diese wunderbaren ausfahrbaren Liegesitze. Das etwas schlichtere Kino Arsenal im Sony Center gegenüber wird ebenso, wie das „Museum für Film und Fernsehen“ und die „Deutsche Cinemathek“, nach dieser Berlinale geschlossen und ins Veranstaltungszentrum E-Werk verlegt. Die Mieten sind hier unerschwinglich geworden und der Potsdamer Platz wird als Film- und Berlinale-Zentrum stark reduzier werdent.

In beiden Kinos liefen gestern zum Start - neben anderen - je ein Film über den Tod. Das Cinemax zeigte die brasilianisch-chilenische Produktion A natureza das coisas invisíveis. Zwei kleine, vielleicht zehnjährige Mädchen lernen sich kennen, als eine ihre Großmutter verliert. Glorias Mutter ist Krankenschwester und sie wohnt und lebt quasi mit ihr im Krankenhaus. Eines Tages wird das Mädchen Sofia mit ihrer gestürzten, verletzten Großmutter eingeliefert. Die Kinder erkunden gemeinsam das Krankenhaus und bleiben, ebenso wie jetzt auch ihre alleinerziehenden Mütter, miteinander verbunden als die Großmutter wieder entlassen wird. 

Sie ist dement geworden und entwickelt skurrile Verhaltensweisen, die aber niemanden groß stören. Langsam wird allen klar, dass Oma bald sterben muss. Dieser südamerikanische Film ist traurig und berührend, aber überhaupt nicht pathetisch. Sterben ist eine zwar eine bittere aber akzeptierte Selbstverständlichkeit, ein Teil des Lebens. Die Geschichte wird mit behutsamem Humor und sensibler Einfühlung in die Beteiligten erzählt. Und erst zum Schluss merkt man, dass das Schwein, das gelegentlich auftaucht, keine bizarre Idee des Regisseurs ist, sondern darauf verweist, dass die kleine Gloria ein Schweineherz transplantiert bekam.

202500389 2 ORGIm Forum (für experimentelle Filme) kommt Der Kuss des Grashüpfers doch etwas dramatischer und fantastischer daher. Es ist eigentlich eine banale und schon tausendmal erzählte Geschichte: Der Vater des Protagonisten ist schwer krank und stirbt am Ende, seine Freundin trennt sich zwischendurch von ihm. Doch in diesem Film ist nichts vorhersehbar, man weiß oder ahnt nicht, was als Nächstes passieren wird.
Die Bilder sind gewaltig, oft sehr nah, riesig nah, manchmal verrätselt und mit aufregender Neuer Musik unterlegt. Die vermeintliche Realität wird grell ausgeleuchtet oder düster inszeniert, vor allem aber durch skurrile Ereignisse unterbrochen: 

Der Protagonist gerät mit seinem Vater in einen unterirdischen Technoclub, der an Federico Fellinis Streifen „Satyricon“ erinnert. Hier hat er auch Sex mit einem riesigen Grashüpfer. Ein Müllauto verstreut Abfälle, Kinderspielzeug, Bälle und eine sterbende Puppe in den Straßen. Nach dem Tod des Vaters fliegt der Sohn aus dem Fenster über die Dächer der Stadt. Ganz eindeutig ist die magische Kunst der Bilder viel, viel stärker als die schlichte Geschichte. Ach ja und das Schaf, das in dem Film gelegentlich als Haustier auftritt, blökt zum Schluss „Mäh!“

Ganz offensichtlich gelingt es der zeitgenössischen Kinokunst immer wieder,  alte Themen neu zu erzählen. Sicher werden uns noch weitere solche Filme auf der Berlinale faszinieren!

Fotos
Oben: Hanswerner Kruse
Mitte: © Berlinale
Unten: © Borris Kehl