DAS RADIKAL BÖSE von Stefan Ruzowitzky im naxos.Kino Frankfurt, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In der anschließenden Diskussion mit Werner Renz, Fritz-Bauer-Institut an der Frankfurter Universität, das vorwiegend Holocaustforschung und damit auch Täterforschung betreibt, und Wolfgang Richter, dem Hauptproduzenten des Films aus Darmstadt, die Wolfgang Lindner vom naxos.Kino moderierte, ging es mit vielen Fragebeiträgen und Kommentaren hoch her, aber ganz und gar nicht kontrovers.
Es war eine Grundstimmung vorhanden über das Grauen, das man eben filmisch erlebt hatte, der gegenüber Wolfgang Lindner als vollkommenen Gegensatz dieses gemeinsame Gespräch mit gutgewillten Diskutanten unter freiem Himmel an einem herrlichen Sommerabend im Hof der Naxoshalle mit Wein oder Wasser hervorhob . Da hatte er Recht.
Neben vielen fachlichen Nachfragen, nach der Rolle der Waffen-SS und diesen Einsatzgruppen und der Ordnungspolizei, die Himmler unterstellt waren, oder auch der Forschungslage hinsichtlich der Gewaltbereitschaft von Männern und Frauen, galten die Antworten erneut der Klärung, daß und wie die Ermordung der Zivilisten als nationalsozialistische Aufgabe zur „Vernichtung lebensunwürdiger Juden“ durchgeführt wurden.
Die beiden Diskutanten Renz und Richter konnten ebenfalls zu einigen Prozessen in Hessen Auskunft geben, die als Folge dieser Gräuel versucht wurden, wobei die Beweislage jeweils dürftig war, denn die Betroffenen waren ja ermordet worden. Zwei Namen sind an diesem Abend im Zusammenhang mit einer positiven Aufarbeitung der Geschichte gefallen, Fritz Bauer (1903-1968), der unvergessene Generalstaatsanwalt in Frankfurt, der nicht allein auf den von ihm initiierten Auschwitzprozeß zu reduzieren ist, und Arno Lustiger (1924-2012), der viel über jüdischen Widerstand gegen die Nazis geforscht hatte - im Gegensatz zu Teilen seiner Familie hatte er die KZs überlebt - und dessen Cousin Jean-Marie Lustiger Erzbischof von Paris geworden war und wiederum den in Deutschland noch nicht so bekannten katholischen Priester Patrick Desbois förderte, der im DAS RADIKALE BÖSE als Befragter eine wichtige Rolle spielt.
Desbois ist bei der französische Bischofskonferenz zuständig für die Beziehungen zum Judentum und ist Vorsitzender der Organisation Yahad – in Unum, die wiederum Jean-Marie Lustiger mitbegründet hat. Yahad hat als Aufgabe, den durch die Deutschen verübten Massenmord an den Juden im Gebiet der heutigen Ukraine und Weißrusslands in der Zeit zwischen 1941 und 1944 zu dokumentieren. Von ihm wurden so auch die letzten noch lebenden Zeitzeugen der Massenerschießungen, bis heute rund 1200, befragt. Es geht dabei auch um die Namen, aber auch um die Massengräber, die weithin unbekannt sind. Man geht von tausenden solcher Massengräber aus und hat bisher rund 500 lokalisiert.
In der Tat spielen diese Aufnahmen im Film eine besondere Rolle, weil die heute Alten und Uralten damals Kinder und Jugendliche waren und viele Details zum Ablauf der Verfolgung und Erschießung mitteilen konnten. Eine Sonderfrage war die im Film erkennbare Mittäterschaft von Einheimischen dieser Ostgebiete, die durch Kennzeichnung von Häusern, in denen Juden lebten, den Deutschen halfen, ihre Opfer schneller zu finden und zu erschießen. Ein Diskussionsteilnehmer fand das nicht gut, diese zu zeigen und von den Deutschen hierzulande, die ihre jüdischen Mitbürger ans Messer lieferten, zu schweigen. Darauf fand Werner Renz deutliche Worte, daß nämlich die Mittäterschaft anderer niemals die Täterschaft der Deutschen entlaste, der Film aber eben das Wüten der Deutschen in den Ostgebieten zum Inhalt habe, wo einzelne Einheimische halfen. Daß sich die Deutschen im Nationalsozialismus auch hierzulande und zwar massiv als Denunzianten verhalten haben, stehe außer Frage.
Wolfgang Richter nun wiederum konnte aus dem Nähkästchen der Filmproduktion plaudern. Der Titel DAS RADIKAL BÖSE, der Film zitiert hier anfänglich Primo Levi; „Es gibt die Ungeheuer, aber sie sind zu wenig, als daß sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlich ist, das sind die normalen Menschen.“ erinnert sofort an Hannah Arendt, die in Verbindung mit dem Schreibtischtäter Adolf Eichmann von der „Banalität des Bösen“ gesprochen hatte, und zum radikalen Bösen, den tätigen Mördern, geäußert hatte, daß es das sei, „was nicht hätte passieren dürfen, das heißt das, womit man sich nicht versöhnen kann...woran man auch nicht schweigend vorübergehen darf.“ Dies gilt gleichermaßen für den Regisseur Stefan Ruzowitzky als Motiv für seinen Film wie für die Zuschauer, die ihn sich anschauen und darüber diskutieren.
Wolfgang Richter erzählte vom Hintergrund des Films, dem Buch von Christopher Browning ORDINARY MEN (auf Deutsch im Rowohlt Verlag: Ganz normale Männer) , wo der US-Historiker, der im Film auch auftritt, den frühen Willen zur totalen Vernichtung der Juden durch Hitler und die Seinen schon 1941 ansetzt und zwar im Osten mittels Massenerschießung. Bei Browning geht es um das Reserve-Polizeibataillon 101 und die 'Endlösung' in Polen und er hatte schon die Milgram-Experimente ausgewertet, demnach auch ganz normale Männer zu Mordgehilfen, ja zu Mördern selbst werden, wenn sie diese Taten, besser: Untaten als von ihnen erwartet, empfinden.
Auch zur Arbeit des Regisseurs und dieser Filmproduktion konnte Wolfgang Richter Interessantes weitergeben. „Stefan hat ein Händchen, mit Komparsen umzugehen“, beantwortete die Fragen derer, die sich ob der Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten beim Nachspielen der Szenen wunderten, denn die Verbrechen selber wurden nicht 'nachgespielt'. Nach dieser Diskussion befand man: „Eigentlich möchte man den Film von vorne sehen“! Soviel verbirgt sich als Hintergrund hinter der vordergründigen Leinwand.
Foto: Hier sieht man die Komparsen nicht während der Drehpausen Fußballspielen, sondern Szenen aus dem Film, in denen sich die Normalität dieser jungen Männer, die gerade Massenerschießungen durchgeführt hatten, Ventil bricht.
INFO:
Die dienstägliche derzeitige Filmreihe „überLeben“ können Sie unter www.naxos-kino.org verfolgen. Die nächste Vorstellung ist übermorgen, Dienstag, 19. August 2014 um 19.30 Uhr: MÜNCHEN 1970 – ALS DER TERROR ZU UNS KAM, ein Film von Georg M. Hafner
Unsere Filmbesprechung zu DAS RADIKAL BÖSE: http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/2446-das-radikal-boese