Bildschirmfoto 2025 02 01 um 22.31.39Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Januar 2025, Teil 11

Redakition

Berlin (Weltexpresso) - Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über Lottogewinner zu machen?

Maxime Govare: Wir wollten von etwas erzählen, das die menschliche Natur und alle Wertesysteme völlig umkrempeln kann: Geld, das durch ein Glücksspiel wie Lofo vom Himmel fällt, war dafür perfekt
geeignet.

Romain Choay: Es ging um außergewöhnliche Geschichten, die ganz normalen Menschen widerfahren. Ein Lottogewinn ist wie ein Teilchenbeschleuniger. Ihr Leben ändert sich von einem Tag auf den  anderen. Aber bei Ihnen kann der Lottogewinn zum Albtraum werden...


Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Maxime Govare: Weil viel Wahres darin steckt. Es ist zum Beispiel bewiesen, dass 50 Prozent der Leute, die im Lotto gewinnen, innerhalb von vier Jahren ruiniert sind. Es ist zu viel Geld auf einmal für Leute,
die nicht unbedingt darauf vorbereitet sind, es weckt zu viele Begehrlichkeiten. Und es gibt das Beispiel eines uns bekannten Schauspielers, dessen Frau mit zwei engen Freundinnen Lotto gespielt hat. Sie
haben drei verschiedene Spielscheine gekauft, aber sie war die einzige mit den richtigen Zahlen, und ihre beiden Freundinnen wollten, dass sie den Gewinn in drei Teile aufteilt, was abwegig war. Am selben
Tag gewann sie also 1,5 Millionen Euro und verlor ihre besten Freundinnen.

Romain Choay: Wir wollten einen Film machen, der für die Zuschauer spielerisch ist und Spaß macht, der sie mitten hinein ins Geschehen wirft. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die auf manchmal etwas
wilde und ironische Weise mit unseren Gefühlen spielt. 

Maxime Govare: Es gibt Dinge, die wir gehört haben, und Dinge, die wir interpretiert haben.

Romain Choay: Aber nichts basiert wirklich auf einer wahren Geschichte. Alles ist erfunden.


In Ihrem Film erzählen Sie gleich eine Reihe von Geschichten über Lottogewinner: Es gibt die, die glauben, dass sie gerettet sind, weil sie arm sind; diejenigen, die betrogen werden, und diejenigen, die ihre moralischen Maßstäbe verlieren. Warum ist es so kompliziert, auf einen Schlag sehr reich zu werden?

Maxime Govare: Mich würde das in Angst und Schrecken versetzen. Wenn ich 30 Millionen gewinnen würde, hätte ich keinen Grund mehr, morgens aufzustehen. Ich habe auch das Gefühl, dass es die Beziehungen zu anderen Menschen verzerrt. Es ist ein bisschen so, wie wenn man ein Superstar ist: Alle finden einen ständig schön, sympathisch und witzig. Wenn du also gewinnst, sind deine Freunde dann immer noch deine Freunde oder sind sie nur aufgrund des plötzlichen Reichtums interessiert? Im Kino werden Lottogewinne immer als leichte Komödie behandelt, obwohl es tatsächlich sehr brutal ist.

Romain Choay: Menschen, die gewinnen, verändern sich, aber auch ihr gesamtes Umfeld verändert sich und wird von einem Tag auf den anderen zu einer großen Bürde, die es zu tragen gilt. In allen unseren Geschichten geschieht dieses außergewöhnliche und brutale Ereignis an einem Wendepunkt im Leben der Hauptfiguren.


Wie kam es, dass Sie zu zweit das Drehbuch geschrieben haben und dann auch gemeinsam Regie führten?

Maxime Govare: Wir haben bereits drei Filme zusammengeschrieben. Bei SECHS RICHTIGE – GLÜCK IST NICHTS FÜR ANFÄNGER wollten wir wirklich mit einer Stimme sprechen, eine Hydra mit zwei Köpfen werden. Der größte Teil der Arbeit entfiel auf den Schreibprozess, beim Abklopfen unserer Vision mit ziemlich ähnlichen Universen, die sich gegenseitig bereichern sollten. Sobald wir uns einig waren, teilten wir uns alle Rollen, sowohl in Bezug auf technische Aspekte als auch auf die Dinge wie die Schauspielerführung.

Romain Choay: SECHS RICHTIGE – GLÜCK IST NICHTS FÜR ANFÄNGER ist mein Regiedebüt. Ich hatte das Glück, von Maximes Erfahrung zu profitieren, und hoffe, dass es mir geglückt ist, einen frischen Ton miteinzubringen.


Hatten Sie Vorbilder in Sachen schwarzer, satrischer und schräger Humor?

Maxime Govare: Unser absolutes Vorbild ist „Wild Tales – Jeder dreht mal durch!“ von Damián Szifron. Auch „Very Bad Things“ von Peter Berg und „Veganer schmecken besser“ von und mit Fabrice Eboué
waren Inspirationsquellen.

Romain Choay: Ich würde auch Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ nennen, weil er mehrere Geschichten erzählt, die von einem einzigen Thema abhängen. Wir wurden in gewisser Weise auch von Claude
Chabrol inspiriert. Die Idee war, jeder unserer Geschichten ein eigenes Genre zuzuschreiben: Action, romantische Komödie oder noch eine Prise mehr Zynismus...



Gibt es etwas, das Sie sich in Ihren wilden Erkundungen der menschlichen Spezies verboten haben?

Maxime Govare: Ganz und gar nicht. Wir haen anfangs viel mehr Geschichten zu erzählen, haben uns dann aber auf diejenigen konzentriert, die sich in einer Art Dringlichkeit aufdrängten und bei denen es ein anspruchsvolles Erzähltempo vorzulegen galt. Der krasse Gegensatz einer braven Chronik, ein Ausdruck, den wir aus unserem Wortschatz verbannt hafen.

Romain Choay: Wir haben uns nicht eingeschränkt, aber dennoch wollten wir nach all diesen wilden und düsteren Geschichten, dass der Film am Schluss etwas Positives, Leichtes erhält und die  Menschlichkeit nicht aus den Augen verliert.

Maxime Govare: Wir wollten keinen nihilistischen Film machen, sondern auf unsere Weise erzählen, dass Geld nicht glücklich macht.


Enthüllt Geld, das quasi vom Himmel fällt, nicht im Grunde die wahre Natur der Menschen?

Maxime Govare:
Ganz richbg, und das sagt der Film auch: Geld verändert die Menschen nicht, es enthüllt nur ihr wahres Wesen. Es enthüllt einen Aspekt von ihnen, der versteckt war.

Romain Choay: Wir fanden es passend, diesen Film in einer Zeit zu bringen, in der wir uns alle so sehr darum sorgen, wie andere uns wahrnehmen. Der Lottogewinn befreit uns davon. Wie im Fall von Louise und Paul, die fünf Millionen Euro gewinnen. Paul ist bereit, alles zu tun, um wieder mehr Anerkennung und Liebe bei seiner Familie zurückzugewinnen, um ihr ein besseres Leben zu bieten.


Im Wettlauf gegen die Zeit wechselt die Episode in einen reinen Actionfilm. Hat das nicht viel Spaß gemacht beim Schreiben und Inszenieren?

Maxime Govare: Beim Schreiben ja, beim Drehen war es ein bisschen komplizierter. Ich denke, viele Menschen würden wie Paul reagieren und wären bereit, alle Risiken einzugehen, einschließlich des
Risikos, ins Gefängnis zu gehen, um die eigene Familie zu beschützen. Zumal es um die Ehe von Paul und Louise nicht zum Besten steht und Paul weiß, dass er seine Frau nicht noch einmal enttäuschen
darf. Das ist der Motor für die Handlung und genau das trägt dazu bei, dass der Zuschauer Pauls Aktionen verstehen kann.

Romain Choay: Paul ist sehr lethargisch. Zum ersten Mal in seinem Leben nimmt er die Dinge in die eigene Hand, wird zu einem Mann der Tat. Er hat sich jede Menge auf die Schultern geladen – und
nachdem er endlich loslegt, ist er kaum zu bremsen.


Warum ist Fabrice Éboué Ihr perfekter Paul?

Maxime Govare: Fabrice hat zwei elementare Voraussetzungen erfüllt: Er beherrscht schwarzen Humor und kann in seinen Rollen sehr gut den Durchschnittsfranzosen verkörpern, ein bisschen anrührender Feigling, ein bisschen wunderbarer Loser. Er ist unsere männliche Marianne und wird immer mehr von Menschlichkeit erfüllt. Beim Lesen des Drehbuchs muste er viel Lachen. Und wir selbst mussten viel lachen, als wir während des Schreibprozesses „Veganer schmecken besser" angeschaut haben.



Audrey Lamy kann mit einem Fingerschnippen vom Lachen ins Weinen wechseln. War diese Fähigkeit für Ihre Louise wichtig?

Maxime Govare: Es gibt Schauspielerinnen für das ernste Fach und Schauspielerinnen für Komödien. Audrey kann beides hervorragend. Sie ist liebenswert und spontan und verkörpert etwas sehr
Volkstümliches, im posibven Sinn, das den Menschen nahe ist.

Romain Choay: Wir haben die Chemie zwischen den beiden bereits in Fabrices Film „Ein Lied in Gottes Ohr“ gespürt und genau diese Chemie haben wir bei unseren Proben und den Dreharbeiten gespürt!
Sie ist genauso wendig wie er und kann reagieren, auch wenn er improvisiert. Audrey ist perfekt.


Pauline Clément, Mitglied der Comédie Française, spielt die Rolle der Julie, die den sehr gut aussehenden Schwindler Thomas genau an dem Tag kennenlernt, an dem sie den Jackpot von zehn
Millionen gewinnt. Wie würden Sie diese Figur beschreiben?

Maxime Govare: Sie ist in die Liebe verliebt: Geld ist ihr egal. Wir haben uns auf Richard Curbs’ „Alles eine Frage der Zeit“ bezogen, in dem der Held auf seinen Reisen durch Raum und Zeit die Frau seines
Lebens findet. Julie ist ebenfalls auf der Suche nach dieser Liebe fürs Leben und hat zwangsläufig Angst, dass man sie nur wegen ihres Geldes liebt. Der Gewinn im Lofo ist für sie fast schon ein Fluch, eine
Last. Pauline ist großarbg in dieser Rolle, die nach „Alice im Wunderland“ klingt. Sie folgt ihrem Leben nach einer eigenen Melodie.

Romain Choay: Es ist eine lupenreine romantische Komödie, aber wir haben ein bisschen mit den Codes gespielt, indem wir unsere kleine Prise sadistische Bosheit eingestreut haben. Wir hafen Pauline
in der parodistischen Serie „Broute“ und in der Eröffnungsszene von „Das Leben ist ein Fest" gesehen, wo sie großartig war. Sie hat sogar einen Hauch von Bridget Jones.



Es gibt auch noch die Geschichte aus dem Altenheim, in der das Personal den 60-MillionenGewinnschein von Henri, einem alten Mann, der gestorben ist, als er von seinem Volltreffer erfuhr, stiehlt und unter sich aufteilt. Hat Sie da vor allem die amoralische Seite in der Gruppendynamik interessiert?

Maxime Govare:
Sehr. Und die Tatsache, dass wir hier eine Figur dabeihaben, die anfangs fast zu gut war, fanden wir auch spannend. Sandra, gespielt von Anouk Grinberg, hat eine Form von positiver
Radikalität, die sich ins Negative verkehrt. Diese Überzeugungskraft nimmt dann sehr unterschiedliche Wege.

Romain Choay: Der Begriff Gruppendynamik spiegelt auch die Realität wider. Manchmal gibt es Feuerwehr- oder Polizeistabonen, die als Gruppe gemeinsam gewinnen. Das führt so zu interessanten
Geschichten, die nicht immer gut ausgehen. Unsere Krankenschwester Sandra ist eine so altruistische Figur. Was macht dieser Engel mit viel Geld? Wird er teuflisch?



Haben Sie sofort an Anouk Grinberg als Sandra gedacht, die den Diebstahl zunächst ablehnt und dann schlimmer als die anderen wird?

Romain Choay: Sie gehörte zu unserer ersten Wahl, und wir konnten uns kaum vorstellen, dass sie Ja sagen würde. Heute ist es unmöglich, eine andere Person in dieser Rolle zu sehen. Sie spielt nicht, sie
ist, sie verschmilzt ganz mit ihrer Rolle.

Maxime Govare: Anouk hat die Rolle sehr ernst genommen, es ist ihr Charakter, sie hat ihn geformt und unglaubliche Vorschläge geliefert.



In dieser Geschichte werden alle Protagonisten reich und ganz schön schäbig. Aber es scheint ein Fluch auf ihnen zu liegen. Muss man diejenigen, die Böses getan haben, bestrafen?

Romain Choay: Aber ist es denn so? Lastet ein Fluch auf ihnen? Oder spielt sich das nur in ihren Köpfen ab? Der Gruppeneffekt kumuliert mit dem Irrationalen. Der Zuschauer muss sich seine eigene Meinung bilden und jeder wird es anders interpretieren. Das ist es, was uns motiviert hat. Es ist ein sehr interaktiver Film. Fast wie bei Hitchcock.

Maxime Govare: Wann schafft man sich sein eigenes Unglück? Es hat uns Spaß gemacht, auf der Idee der Verschwörungstheorie zu surfen. Man muss nur zwei Dinge nehmen, die nichts miteinander zu tun haben, und sie miteinander verbinden: Schon hat man seine Verschwörung. Aber ist das wirklich wahr? Das muss der Zuschauer selbst entscheiden.


Die Gewinnsummen werden im Laufe des Films immer höher. Und es gibt vor allem ein Segment, das den Zuschauer überraschen wird ...

Maxime Govare: Das ist kein Zufall. Der Surrealismus wächst mit der Zeit, und das spiegelt sich in den Einsätzen und dem Grad der Fiktion wider.

Romain Choay: Wenn man spaltende, grenzwertige Tabuthemen mit Humor anspricht, kann das Lachen entschärfft werden und die Komödie erhält eine zusätzliche, stärkere und aktuellere Dimension.



Heißt es am Ende „Glückliche Gewinner" oder „Unglückliche Gewinner"?

Romain Choay: Es ist wie bei einem Whodunnit: Wer wird am Ende als glücklicher Gewinner dastehen? Das Ende des Films beantwortet die Frage.

Maxime Govare: Vielleicht quälen wir die Figuren, die gewinnen. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Leute, wenn sich der Film durchsetzt, noch mehr Lotto spielen werden. Denn neben dem
Geldgewinn wird es auch zu unglaublichen Ereignissen und außergewöhnlichen Abenteuern kommen. 
Wir wollten, dass die Zuschauer diese emotionale Achterbahnfahrt miterleben.