beforeSerie: Wiedergelesen, Wiedergehört, Wiedergesehen, Teil 1

Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Redaktion hatte aufgeräumt, was heißt aufgeräumt, es wurde renoviert, eigentlich saniert und dazu gehörte, den Bestand an Büchern, CDs und DVDs zu sichten, zu ordnen und da kam die Idee auf, das eine oder die andere doch noch mal zu besprechen und so zu aktualisieren, wo wir doch alle ständig mit Neuem beschäftigt sind und Altes leicht vergessen, wobei als 'alt' ja schon das bezeichnet wird, was von gestern ist.


Bei den im TV immer wieder gezeigten älteren Filmen fehlt SUNRISE, SUNSET, MIDNIGHT vom amerikanischen Regisseur Richard Linklater, obwohl diese Filme zu ihrer Zeit große Hits waren. Zu Ihrer Zeit heißt für den ersten Film SUNRISE 1995, für BEFORE SUNSET 2004 und 2013 für BEFORE MIDNIGHT. Obwohl ich mir aus Liebesfilmen wenig mache, hat mich 1995 der erste Film einfach entzückt, was an dem Geflirre der Gefühle lag, die Julie Delpy und Ethan Hawke derart sinnlich auf der Leinwand ausbreiteten, verbunden mit genau den sinnvoll-sinnlosen Dialogen, die alle leicht intellektuellen Liebenden von sich geben. Was heißt hier 'lag'? Das Wunderbare an Filmen, an Büchern, an diesen Datenträgern ist ja eben, daß es keine Vergangenheit gibt, daß sie jederzeit wiederangeschaut, gehört, gelesen werden können, also ewig jetzt sind. Von dem tiefen persönlichen Verlust spreche ich jetzt nicht, der das Ende der Kassetten, die man im TV abspielen konnte, für mich bedeutete. Aber auch deren Inhalte sind auf CDs und DVDs überspielbar.

Die Inhalte sind also ewig. Nur wir haben uns verändert und auch das ist eine wichtige Erfahrung, die man mit sich selber macht. So kommt es auch, daß wir auf einmal das, was wir so lange im Herzen trugen, beim Wiederanschauen vermissen, das Ganze fahl, ja unansehnlich finden. Nein, diese Trilogie nicht; es soll nur aufgezeigt werden, wie es einem gehen kann, wenn man auf das Gestern zurückgreift.

Aber hier geht es nicht um der Rezensentin Gefühle, sondern schlicht um das Wiedererinnern, Wiedererkennen von Büchern, Filmen und CDs, die einfach in Kürze vorgestellt werden, damit sie nicht aus der Welt sind. Die ganze Redaktion will sich beteiligen und diese Serie gemeinsam tragen.

Fangen wir an damit, daß die drei Filme damals 7, 5 Millionen US-Dollar gekostet hatten, aber ganz 61,5 Millionen Dollar einspielten. Liebe lohnt sich also, wenn sie so kapriziös daherkommt, wie es Julie Delpy gelingt. VOR SONNENAUFGANG heißt die deutsche Fassung, wo sich im Jahr 1994, also nach dem Niederreißen des Eisernen Vorhangs auf einer Zugfahrt von Budapest nach Wien der US-Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) und die Französin Céline (Julie Delpy) kennenlernen. Er reiste quer durch Europa und fliegt am nächsten Morgen zurück über den Teich, sie hatte ihre Großmutter besucht und fährt heim nach Paris. Sie unterhalten sich. Über Gott und die Welt.

Und jetzt passiert nicht mehr, als daß die beiden in Wien aussteigen, Jesse Celine überzeugen kann, erst am nächsten Morgen weiterzufahren und die beiden viel redend, wenig essend und sich immer mehr verliebend den Tag verbringen und dann gemeinsam die Nacht. Aber hier gibt es keine billige Version und wenn sie nicht gestorben sind, so lieben sie sich noch heute. Hier gibt es die Variante: kein Austausch von Adressen noch Telefon, sondern ein Wiedersehen nach sechs Monaten am selben Gleis und demselben Bahnhof.

Obwohl ja offensichtlich die Züge überall zu spät ankommen, gäbe es heute hier ein anderes Problem, das allerdings lösbar ist. Im Film geht es um den Wiener Westbahnhof, der seit dem Kriegsende als Tor zum Westen wie ein Hauptbahnhof fungierte. Inzwischen ist der ehemalige Südbahnhof zum Hauptbahnhof mutiert, die beiden müßten sich zukünftig also hier treffen.

Wie vereinbart kommt Jesse zwischen dem ersten und dem zweiten Film nach Wien an das besagte Gleis, doch keine Celine ist zu sehen.Und er kennt ja nicht ihre Adresse. In VOR SONNENUNTERGANG sind seit dem zufälligen, aber tiefgehenden Zusammentreffen der beiden neun Jahr vergangen! Jesse ist Schriftsteller geworden, hat geheiratet und unternimmt eine Lesereise durch Europa. Der Clou ist, daß er die damalige Nacht mit Celine in Wien als Roman niederschrieb und sein Buch ein Welterfolg wurde, auch von Celine gelesen, die sofort sie beide wiedererkannte. Es kann gar nicht anders kommen, als daß die beiden bei seiner Lesung aufeinandertreffen, er auch den Grund erfährt, weshalb sie damals vor achteinhalb Jahren nicht am Gleis in Wien stand. Die Oma starb.

Auch hier gibt es jetzt ein funkelndes Zwiegespräch, erst stellen es beide so dar, daß es ihnen ohne den anderen ausgezeichnet gehe, aber nach und nach stellen sie sich ihren Gefühlen, die noch die alte gegenseitige Anziehung bedeutet, er kommt mit zu Celine...und bleibt da, zumindest endet der Film mit ihrer Hoffnung, „Du verpaßt den Flug“ und seiner Bestätigung, „Ich weiß“.


VOR MITTERNACHT spielt nun sogar neun Jahre später. Jesse ist in Paris geblieben, die beiden ein Paar geworden, mit Zwillingen gesegnet. Jesse ist weiterhin Schriftsteller und die Familie, um die sich traditionell stärker Celine kümmert, ist auf dem Weg nach Griechenland, wo sie im wirklich herrlichen Anwesen eines fördernden Freundes von Jesse den Sommerurlaub verbringen. Hier wird fast noch mehr gesprochen als in den vorangegangenen Filmen. Das hat allen Grund. Denn wo Liebe waltet, sind die Worte nicht so wichtig, wo sich aber eine Frau nicht genug gewürdigt und auch nicht mehr genug geliebt fühlt, sollen die Worte dies kompensieren. Ich kann mich noch genau an die Pressekonferenz 2013 auf der Berlinale erinnern, als beide Schauspieler über diesen dritten Film sprachen, der wiederum glänzende, wirklich unter die Haut gehende Dialoge von Mann und Frau – man denkt dabei immer an Bergmans SZENEN EINER EHE (1973) – bringt, exzellent gespielt ist, eine wunderbare Landschaft mit interessanten Menschen und die Fülle von Speisen und Natur zeigt und wo man doch mit einem gewissen Schmerz aus dem Film herausgeht, weil das Leben zwischen Mann und Frau eben doch schwieriger ist, als der Anfang dieser beiden in Wien vor 19 Jahren erahnen ließ.

Wäre es anders gekommen, hätten sie sich gleich damals zusammengetan? So hat Jesse in Griechenland nicht nur die Auseinandersetzungen mit seiner Frau Celine durchzustehen, die sich von ihm trennen will, sondern muß die Probleme mit seinem Sohn aus erster Ehe bewältigen. Da gibt es den Sorgerechtsstreit und er muß den Sohn, der beim Familienurlaub dabei war, ins Flugzeug in die USA setzen.

Wie der Film ausgeht? Genauso, daß man nicht weiß, wie es weitergeht mit den beiden, aber nicht allzu viel Hoffnung hat. Inzwischen sind 12 Jahre vergangen. Aber kein neuer Film in Sicht. Wir haben heute einfach eine andere Zeit. Die Lust, die es damals erzeugte, sich die Anbahnung von Liebe, ihre Enttäuschungen und dann doch Wiederholungen anzuschauen, schon deshalb, weil beide, natürlich Celine doch etwas mehr, derart wortgewandt ihre Gefühle dem anderen an den Kopf, das Herz oder den Geschlechtsteil werfen, ist heute so nicht mehr erfahrbar.

Schauen wir uns deshalb also die BEFORE-Trilogie an!

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
SA/Österreich, 1995-2013
FSK ab 6 freigegeben
Erscheinungstermin: 9.9.2021
Serie: Arthaus
Genre:
Drama,
Romanze
Spieldauer: 279 Min.
Regie: Richard Linklater
Darsteller: Ethan Hawke, Julie Delpy
Originaltitel: Before Sunrise / Before Sunset / Before Midnight (1995-2013)
Sprache: Deutsch, Englisch
Tonformat: Dolby Digital 2.0/5.1
Bild: Widescreen
Specials: Am Set von »Before Sunset«; Wiedersehen mit Celine und Jesse (Behind the Scenes); Audiokommentar mit Ethan Hawke, Julie Delpy und dem Regisseur Richard Linklater