Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Januar 2025, Teil 17
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zuerst muß man den Titel klären, der zu vielen Mißverständnissen führt. Es können nicht alle wissen, daß die Architekturrichtung, die die Gebäude mit rohem Beton, mit Sichtbeton errichteten, von Le Corbusier auf Französisch als béton brut bezeichnet wurde, was zwischen 1960 bis in die 80er Jahre, als sich die Bauweise mehr und mehr durchsetzte, als Brutalismus bezeichnet wurde. Ein Brutalist also ein Architekt ist, der sichtbar mit Beton arbeitet und dabei gerne geometrische monumentale Formen verwendet. Ausdruck dieser Bauweise war beispielsweise in Frankfurt am Main das Historische Museum oder viel später das Technische Rathaus, heute beide schon lange abgerissen, denn beliebt war der Brutalismus hierzulande nicht.
Die Mißverständnisse können aber auch dadurch zustande kommen, daß man zu viel weiß und mit dem Brutalismus die Kunstrichtung art brut verbindet. Denn diese außerhalb des herkömmlichen Kunstbetriebes aufgekommene Richtung der Kunst wird zwar erst nach dem 2. Weltkrieg vom Franzosen Dubuffet derart benannt, wobei er mit diesem Begriff erst einmal die Kunst bezeichnet, die von Laien, von Außenseitern geschaffen wird, wozu auch die Kunst der Geisteskranken gehört, vom Psychiater Hans Prinzhorn schon im und nach dem ersten Weltkrieg gesammelt und 1922 in seinem Kunstband Bildnerei der Geisteskranken eben als Kunst herausgestellt. Aber schließlich hatte schon Picasso ab 1907 mit den Werken afrikanischer Künstler und ihrer Imitation das angeblich Rohe geadelt.
Weil dieser Hintergrund für den normalen Kinogänger kein gängiges Wissen ist, bleibt der Titel irreführend. Aber er bleibt auch für den irreführend, der das aufgeführte kunst- und architektonisches Wissen hat. Denn dies ist kein Architekturfilm und auch nicht allein ein Film über einen im Stil des Brutalismus bauenden Architekten und erst recht nicht über einen brutalen Mann, das hat nichts miteinander zu tun, sondern
- ein Film über einen Europäer, der den Fängen der Nazidiktatur und der Ermordung in einem KZ entkommen konnte und in den USA mit einem bewundernswerten Durchsetzungswillen und gegen viele Widerstände Bauten errichten kann, wie er sie sich vorstellt, wobei die Bauwerke und seine Person für ihn eine Einheit bilden.
- ein historischer Film über einen ungarischen Juden, der im Gegensatz zu
etwa 565.000 ungarischen Juden, die nach Auschwitz deportiert wurden und dort umgebracht wurden, sich retten konnte
- ein historischer Film über Einwanderung in die USA, speziell von Juden, die Hitlers Schergen entkamen und nun mit ihren Traumata einen Platz in der amerikanischen Gesellschaft suchen und sich beweisen müssen
- ein psychologischer Film über einen versehrten und durch Flucht in die USA geretteten Mann, der über ein Jahrzehnt auf seine Frau wartet, die zudem körperlich beschädigt ankommt
- aber auch ein psychologischer Film über einen Mann, der in Europa ein berühmter und gefeierter Architekt war und den in den USA kaum einer kennt
- ein historischer Film über die USA in der Nachkriegszeit, wobei sowohl das ländliche Amerika wie auch die Städte charakterisiert werden
- ein soziologischer Film über die Gesellschaft der USA in der Nachkriegszeit, das Wuchern des Kapitalismus, die gesellschaftliche Rolle der Frau und das damalige Verhältnis Frau – Mann
- ein wirtschaftspolitischer Film über einen, der mit Geld alles zuscheißen kann (Mario Adorf in Kir Royal - als Generaldirektor Heinrich Haffenloherich scheiss dich zu mit meinem geld!!) und es auch tut (Harrison Lee Van Buren)
- keine verfilmte Biographie, sondern die Biographie einer erfundenen Kunstfigur, in der man Züge einiger ‚echten‘ Architekten entdecken kann
- und noch viel mehr.Daß Regisseur Brady Corbet, der auch das Drehbuch mitschrieb, für den Film 215 Minuten braucht, hätte nicht sein müssen; aber wenn man sich sagt, daß das Schicksal dieser Menschen ein unendliches, voller Leid war und es im Film um sehr viel mehr geht, als ein einzelnes Schicksal, sondern an Lázló Tóth (Adrien Brody) gleich mehrere Einwanderungsfälle in die USA durchgespielt werden, kann man die Länge verstehen. Vor allem, weil man es gut aushält, denn zum einen entwickelt sich die Geschichte glaubwürdig in den verschiedenen Aspekten, zum anderen ist alles wunderbar fotografiert, auf der Leinwand ist der Film auch ein Fest für die Augen.
Es gibt viele lehrreiche und interessant inszenierte Szenen, zu den wichtigsten, auch witzigsten, wenngleich bitteren Szenen gehört die Geschichte vom Umbau der Bibliothek (oben) des superreichen Van Buren (Sr. Guy Pearce). Lázló Tóth hat eine wirklich geniale Idee. Es gibt zu wenig Platz für die Bücher, gleichzeitig ist die Art Rotunde ein bauliches Ereignis. Er läßt einfach die Bücher verschwinden, indem er sie hinter Holzpaneelen längs in herausziehbaren Regalen versteckt und einen großen lichtdurchfluteten Raum gewinnt mit einem eindrucksvollen Sessel , einem Freischwinger al la Marcel Breuer, zum Lesen. Van Buren ist entsetzt. so viel Geld und man sieht nichts! Er feuert den Architekten, will sogar Schadensersatz. Doch dann interessiert sich die Innenarchitektur für diesen Umbau. Eine Fotoserie macht die Bibliothek und auch den Besitzer berühmt und Van Buren merkt jetzt erst, daß er mit Lázló Tóth einen Fisch an der Angel hat, der ihm viel Ruhm einbringen kann. Und genau darum geht es ihm. Er möchte öffentlich eine Rolle spielen.
Tóth dagegen kann sich sich zu diesem Zeitpunkt nicht aussuchen, welche Aufträge er annimmt. Er hat keine und die Vorstellung des Kapitalisten, sich mit einem Bau ein Denkmal in der Bevölkerung zu setzen, bedeutet ja auch für ihn, als Architekt wahrgenommen zu werden. Die Errichtung dieses Baus mit den architektonischen Besonderheiten ist Zentrum des Films, wo sich die verschiedenen, oben aufgeführten unterschiedlichen Filmziele treffen und es Tóth im gewollten Gemeindezentrum für das ländliche Pennsylvania auf einem Hügel sogar gelingt, im monumentalen Gebäude (Brutalismus eben) eine geforderte Kirche unterzubringen.
Menschlich ist die Zusammenführung des Ehepaares anrührend, denn Lázlos Frau Erzsébet (Felicity Jones) kommt erst sehr spät in die USA und das im Rollstuhl.
Das alles ist viel auf einmal, braucht seine Zeit, ist aber interessant und lehrreich. Die große Anzahl an Nominierungen für die Oscars erscheint einem allerdings eher ideologisch motiviert, denn künstlerisch-filmisch.
Foto:
©Verleih
Info:
Stab
Regie BRADY CORBET
Drehbuch BRADY CORBET, MONA FASTVOLD
Regie BRADY CORBET
Drehbuch BRADY CORBET, MONA FASTVOLD
BESETZUNG
Rolle Schauspieler*in
László Tóth ADRIEN BRODY
Erzsébet Tóth FELICITY JONES
Harrison Lee Van Buren Sr. GUY PEARCE
Harry Lee JOE ALWYN
Zsófia RAFFEY CASSIDY
Maggie Lee STACY MARTIN
Gordon ISAACH DE BANKOLÉ
Attila ALESSANDRO NIVOLA