202501576 1 RWD 2400Vor der Berlinale 2025 (5)

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) – In der Sektion Berlinale Special laufen Filme, die bereits woanders Premiere hatten wie der Bob-Dylan-Film oder die sich dem Wettbewerb nicht stellen wollen, wie „Licht“ von Tom Tykwer. In der Vorabschau für die Presse haben mich drei Filme aus diesem Bereich total überrascht, alle waren spannender, interessanter oder verrückter als erwartet. 

 

Und außerdem wachsen jeweils die weiblichen Protagonistinnen an ihren Herausforderungen! Wann und ob überhaupt die Filme in die Kinos kommen werden ist ungewiss.

Fangen wir mit „Köln 75“ an. Er erzählt die Geschichte von Vera Brandes, die als fast noch Minderjährige Jazz-Konzerte organisierte. In einer Zeit als der Jazz in manchen Kreisen als verstaubt und tot galt. Der Titel bezieht sich auf das von ihr gemanagte legendäre Köln-Konzert Keith Jarretts im Jahr 1975 in Köln. Das Event wurde auf Schallplatte aufgenommen und die wurde die meistverkaufte und bekannteste Veröffentlichung von Jarrett, außerdem die meistverkaufte  Jazz-Soloplatte und meistverkaufte Klavier-Soloplatte überhaupt.

202504164 1 ORGErwartet hatte ich eine trockene Dokumentation, doch der Film ist ein spannender Spielfilm und dennoch ein episodisches Biopic. Er zeigt wie die Zahnarzttochter Vera (Mala Emde) gegen den Willen ihres strengen und aggressiven Vaters (Ulrich Tukur) nicht nur die Schule schwänzt um Konzerte zu organisieren. Sondern sie will unbedingt Keith Jarrett nach Köln holen und riskiert dafür persönlich alles. Sie leiht sich 10.000 D-Mark von ihrer Mutter für die Konzerthalle und verspricht ein „ordentliches Studium“ zu absolvieren, wenn sie es nicht zurückzahlen kann.

Natürlich geht viel schief: Der Rundfunk will nicht für das Konzert werben, Jarrett hat irrsinnige Rückenschmerzen, der zur Verfügung gestellte Flügel ist ein kaputtes Schrottklavier –  wird das Projekt scheitern?
Neben den dramatischen Ereignissen erfahren wir viel über die besondere Improvisationskraft des Musikers. 

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Von „The Best Mother in the World“ erwartet man in dem brasilianisch-argentinischen Film eine Sozialschmonzette. Denn Gal (Shirley Cruz), eine starke, schöne, etwas ältere Schwarze will sich mit ihren zwei Kindern aus der Abhängigkeit eines versoffenen Mannes befreien. Aber sie hat tote Augen (Foto rechts). Lange hat sie Prügel und sexuelle Gewalt ertragen, weil der Tyrann für die zwei Kinder sorgt, die nicht von ihm sind. Und irgendwie scheint sie ihn trotz allem zu lieben. Sie sammelt mit einer zweiräderigen Rischka Papiermüll und leere Dosen in der Riesenstadt.


Jedoch eines Tages lädt sie ihre Kinder in das Gefährt und verkauft ihnen die Übernachtungen im Park darin als Camping. Sie badet mit ihnen in einem öffentlichen Brunnen, gemeinsam erleben die drei weitere überraschende Abenteuer… Doch ein alter Freund bedrängt Gal und will Sex für etwas Geld. Der Cousin, zu dem sie flüchtet gibt ihrem Mann Bescheid. Wir verraten nicht die weitere Geschichte, aber am Ende steht Gal nackt unter der Dusche, sie hat sich buchstäblich geöffnet und schaut mit blitzenden Augen ins Publikum.

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Der dritte Film „Kein Tier so wild“ lockt uns als kriminalistisches Drama der Gegenwart nach Shakespeares „Richard III“ in die Vorführung: Am Ende eines blutigen Straßenkriegs steigt Rashida (Kenda Hmeidan) als Anführerin der Berliner Unterwelt auf. Einerseits hält der Film überhaupt nicht, was die Ankündigung verspricht – er ist absolut kein Thriller.


Andererseits verblüfft er durch seine dramatisch-theatralische Sprache im Geiste Shakespeares, lange Monologe Rashidas als weiblicher Richard III, die traumartigen Handlungsorte , Lost Places in Wüsten oder Felslandschaften und auf Baustellen. Dazu die brausende Neue Musik. Tatsächlich werden alle bösartigen Wendungen der Protagonistin aus der historischen Vorlage in einer unwirklichen und queeren Inszenierung realisiert. Am Ende schreit Rashida: „Wir sind keine Bittsteller mehr in diesem Land. Unser Wille hat uns hierhergebracht. Ich. Bin. Kein. Tier!“

Man braucht etwas Zeit in diesen seltsamen und unerwarteten Film hineinzukommen, er ist nicht einfach. Doch dann kann man fasziniert eine außergewöhnliche Transformation der Shakespeare’schen Vorlage miterleben.

Fotos:
Zweites von oben: „Köln 75“ mit Mala Emde © Wolfgang Ennenbach / One Two Films
Ganz oben und Mitte: „The Best Mother in the World“ mit Shirley Cruz © Aline Arruda
Unten: „Kein Tier. So wild.“ Mit Kenda Hmeidan © Lukasz Bak / Sommerhaus Filmproduktion - Port au Prince Pictures - Goodfellas