202506873 1 RWD 240075 Jahre Berlinale Teil 4

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) – Gestern Morgen wollte ich den Film „Sirens Call“, also den „Gesang der Sirenen“, in einer letzten Pressevorführung der Sektion Forum sehen. Es geht darin um die Sirenen, die unerkannt unter uns leben, sich anpassen und die Menschen studieren. Diese Fischfrauen reflektieren im Film sehr differenziert und tiefsinnig in Englisch über uns. 


Der Film war zwar mit deutschen Untertiteln angekündigt, doch stattdessen gab es zur englischen Sprache lediglich englische Untertitel – eigentlich ja unsinnig. Ich verstand leider nur wenig und die schönen Bilder reichten mir auch nach einer Dreiviertelstunde. Da war es für die Pressekonferenz der Internationalen Jury bereits zu spät, sie war gerade im Ausklang. Ich habe mich sehr geärgert und gedacht, typisch für diesen elitären Bereich. Doch beim Nachlesen fiel mir auf, der Film wurde unter anderem vom ZDF als „Kleines Fernsehspiel“ mitproduziert. Also eigentlich gar nicht so intellektuell abgehoben…

Im Ursprung war das Forum eine Initiative jenseits der offiziellen Filmfestspiele, die sich bereits in den 1950er-Jahren gegen den Starrummel und das Übergewicht US-amerikanischer Kommerzfilme auf dem Festival richtete. Der scharfzüngige Filmkritiker Ulrich Gregor, der mit seiner Frau Erika lange Jahre das Forum leitete, meinte später: „Wir hatten damals keine besonders hohe Meinung von der Berlinale. Wir glaubten an den Film als Kunstform und in unseren Augen war die Berlinale ein bisschen zu kommerziell und ein bisschen zu sehr dem Establishment verpflichtet.“

!963 gründeten Erika & Ulrich Gregor die „Freunde der deutschen Kinemathek“, die später zeitgleich zu den Filmfestspielen – recht erfolgreich – von der Berlinale abgelehnte, vor allem aber alternative Werke zeigten: Streifen mit formalen und inhaltlichen Experimenten, kritische mit politischen und gesellschaftlichen Themen. Dazu kam eine große internationale Vielfalt ohne Wettbewerb. Nach dem Skandal um den Film „O.K.“ wurde das kritische Projekt als Internationales Forum des Jungen Films 1971 als eigenständige Sektion zur Teilnahme eingeladen. Erst drei Jahre später wurde es dann, nun als  Forum , eine unabhängige und gleichwertige Sektion des Festivals, obwohl sie vom damaligen langjährigen Leiter Alfred Bauer als Konkurrenz wahrgenommen wurde. 

In den vielen Jahren seines Bestehens zeigte das Forum unglaubliche Filme, etwa das über neunstündige Epos Claude Lanzmanns „Shoa“, das auf beklemmende Art und Weise mit der deutschen Nazi-Vergangenheit umgeht.

Der Streifen wird restauriert wieder auf der aktuellen Berlinale gezeigt. 

Im Forum laufen seit über 50 Jahren immer noch Filme, die das Leben in fragmentierten, fast verschwommenen Bildern einfangen – etwa das Flimmern einer Kindheit in den Ruinen einer zerrissenen Stadt, eingefangen in körnigem Super-8. Andere Werke zeigen den kraftvollen Widerstand gegen eine Militärdiktatur oder entführen uns in die dichte Atmosphäre eines südafrikanischen Townships. Aber man kann auch zarte Liebesgeschichten erleben oder die Entwicklung von extremen Persönlichkeiten begleiten. Im letzten Jahr war ein Highlight der Berlinale der Spielfilm „Mit einem Tiger schlafen“, über die österreichische Künstlerin Maria Lassnig (Birgit Minichmayr).

Wird fortgesetzt

202506873 2 RWD 2400Fotos:
Aus „Sirens Call“ © Gossing Sieckmann / filmfaust / Kochmann

„Sirens Call“ D / NLD 2025, 121 Minuten
von Miri Ian Gossing, Lina Sieckmann, Miri Ian Gossing & Lina Sieckmann

Quellen:
Berlinale-Archiv (Online)
Peter Cowie: Die Berlinale, Berlin 2010
Wikipedia