Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Februar 2025, Teil 1
Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nach THE GUILTY, der komplett in einer Polizei-Notrufstation spielte, erforschen Sie mit DIE WÄRTERIN eine weitere geschlossene Welt: Ein Gefängnis. Wie kam es dazu?
Ich bin schon lange fasziniert von Gefängnissen. Zu aller erst, weil ich sie für sehr gute cineastische Handlungsorte halte. Man hat dort all diese extremen Charaktere, klaren Regeln und starken Machtdynamiken. Darüber hinaus ist ein Gefängnis ein Ort voller Archetypen und Symboliken. Es ist gewissermaßen eine perfekte Leinwand um Geschichten zu erzählen, die allerdings oft sehr ähnlich verlaufen. Darin sah ich eine Gelegenheit, etwas Neues zu wagen, die Geschichte aus einer anderen Perspektive zu erzählen.
Außerdem ist jedes Gefängnis ein Spiegel der Gesellschaft, die es errichtet hat. Ich habe das Gefühl, das wir in Dänemark und auch im Rest Europas noch nicht wirklich entschieden haben, wie wir unsere Gefangenen behandeln wollen und damit auch, welche Art Mensch wir sein wollen. Sind wir rationale oder emotionale Wesen? Glauben wir wirklich an Rehabilitation und Vergebung? Oder bevorzugen wir doch Vergeltung und Strafe? Derzeit versucht das Justizsystem beide Seiten gleichermaßen zu bedienen, obwohl sie sich unvereinbar gegenüberstehen. Das finde ich paradox und faszinierend und das ist auch der Hauptkonflikt, den ich in DIE WÄRTERIN untersuchen möchte.
Wie sah die Recherche aus?
Sehr gründlich: Mit meinem Co-Autor Emil Nygaard Albertsen habe ich verschiedene Haftanstalten besucht und mit Insassen, Wärtern, Gefängnispfarrern, Psychiatern, Anwälten und Opfern von Gewalttaten gesprochen, um alle Seiten kennen zu lernen. Da die Protagonistin eine Polizistin ist, war das natürlich der Fokus der Recherche. Martin Sørensen, einer unserer Berater, ist ein ehemaliger Polizist und wurde schnell zum wichtigsten Ansprechpartner. Er hat sogar eine kleine Rolle im Film übernommen. Wir haben uns drei Jahre vor Drehstart zum ersten Mal mit ihm getroffen und einen ersten Einblick in die praktische und psychologische Arbeitsweise in diesem Bereich erhalten.
Das Genre des Gefängnis-Films folgt zumeist strengen filmischen Regeln. Wie haben Sie sich diesen angenähert?
Ich liebe es, wenn ein Genre sehr definierte Regeln und Archetypen hat und der Gefängnisfilm ist zda ein typisches Beispiel. Wenn ein Genre derart klare Klischees hat, kann man damit sehr schön spielen, um die Erwartungen des Publikums zu unterlaufen. Bei der Arbeit zu DIE WÄRTERIN haben wir stets davon gesprochen, dass es eine Art „umgekehrter Gefängnisfilm“ werden sollte. Unsere Protagonistin, die Gefängniswärterin, ist in vielerlei Hinsicht das komplette Gegenteil der Insassen. Gleichzeitig ist sie selbst Gefangene ihrer Gefühle. Wir treffen sie also sowohl in einem echten als auch in einem gedanklichen Gefängnis. Daher haben wir beim Schreiben des Drehbuchs stets so getan, als wäre sie selbst eine Insassin. Wir sehen sie nie bei sich zu Hause oder überhaupt außerhalb der Gefängnismauern. Wir sehen sie nie in Privatkleidung oder mit ihrer Familie. Auch ihre Geschichte als Außenseiterin, die in einer gewalttätigen Umgebung versucht, sich treu zu bleiben, ist an typische Häftlings-Archetypen angelegt. Die internen Machtkämpfe unter
den Wärtern entsprechen ebenfalls den typischen Begebenheiten einer Geschichte über Häftlinge.
Das gilt für den Film ebenso wie für die Wirklichkeit.
Eva arbeitet in einer sehr maskulinen Welt. Wie fügt sie sich als weibliche Hauptfigur darin ein?
Es stimmt, dass es mehr Männer als Frauen in dem Film gibt, aber ich wollte nicht, dass sie wie ein Fremdkörper wirkt, nur weil sie weiblich ist. Es gibt mehrere weibliche Gefängniswärterinnen in DIE WÄRTERIN und Eva ist die einzige, die sich von der Gruppe entfernt. Was sie von ihren Kollegen trennt, ist nicht das Geschlecht, sondern ihre Verflechtungen mit den Gefangenen. Aber natürlich ist
sie als mütterliche Figur ein Kontrast zu ihrer maskulinen, gewalttätigen Umgebung und reflektiert damit die übergreifenden Themen des Films.
Der Film erkundet die verschlungenen Pfade, die Rache von Vergebung trennen…
Ja, definitiv. Aber ich denke, im Kern geht es um eine Frau, die gefangen ist in ihrer eigenen Trauer und versucht auszubrechen. Rache und Vergebung sind zwei mögliche Wege, diese Befreiung zu schaffen. Aber der Film will mehr als nur zu sagen: Das ist richtig, das ist falsch. Für mich ist es wichtig, die Antwort auf diese Frage dem Publikum zu überlassen.
Der Mörder ihres Sohnes erinnert Eva an die Brutalität seines Todes, aber auch seine eigene Gewalttätigkeit. Geht etwas ihrer mütterlichen Bindung irgendwann auf Mikkel über?
Die mütterlichen Elemente ziehen sich durch den gesamten Film, wenn man genau hinsieht. Und
ja, ich wollte, dass Evas Sicht auf Mikkel und die anderen Häftlinge durch den Tod ihres Sohnes
geprägt ist. Zu Beginn des Films behandelt sie die Insassen wie ihren eigenen Sohn. Sie sind
gewissermaßen ein Ersatz. Das ändert sich als Mikkel ankommt. Ihre Gefühle erhärten sich auch
gegenüber den anderen Gefangenen und natürlich gegenüber Mikkel. Besonders emotional wird
es, wenn Mikkel beginnt sie an ihren eigenen Sohn zu erinnern. Die beiden jungen Männer werden
zu einem, Opfer und Täter vermischen sich. Eva beginnt als Mutter mehr in sich hinein zu horchen.
War ihre Erziehung – oder besser gesagt das Fehlen selbiger – Grund für das Schicksal ihres Sohnes?
Eine entscheidende Szene ist die Begegnung mit Mikkels Mutter…
Diese Szene enthält so viel: Man hat drei komplexe Menschen und alle durchlaufen in diesem Moment ihren eigenen Prozess. Was sie verbindet, ist der Versuch, ihr Bestes zu tun. Keiner von
Ihnen hat böse Absichten und dennoch sind sie dort, wo sie sind. Das ist das Tragische an dieser
Szene. Ein wichtiger Bestandteil ist natürlich die Begegnung zweier Mütter und die Spiegelung von Evas eigener Vergangenheit.