
Hanswerner Kruse / Hannah Wölfel
Paimpont/Bretagne (Weltexpresso) – In der bretonischen Kleinstadt Paimpont scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Auch wenn die Einwohner nicht unterschiedlicher sein könnten, eint sie der Stolz auf ihren Zusammenhalt und ihre Nächstenliebe.
Als Zeichen der Solidarität stimmt die Gemeinde begeistert dafür, eine aus der Ukraine geflüchtete Familie aufzunehmen.Eine leere Wohnung für sie ist schnell gefunden und alles Weitere für ihre Aufnahme wird gründlich vorbereitet. Einige probieren, wie man den Flüchtlingen zeigen könnte, das man mit dem Korkenzieher eine Rotweinflasche öffnet. Das regionale Fernsehen ist benachrichtigt und will die Ankunft und Einbürgerung begleiten.
Doch plötzlich stellt sich heraus: Die erwarteten Ukrainer kommen nicht, „denn die sind heiß begehrt“ – an ihrer Stelle soll die syrische Familie Fayad in Paimpont aufgenommen werden. „Warum haben wir die Ukrainer nicht bekommen“, echauffieren sich einige der vermeintlich weltoffenen Bürger. An das für die Flüchtlinge bestimmte Haus schmieren sie „Barbaren raus“. Das syrische Ehepaar schläft seit vielen Jahren in einem eigenen Zimmer, aber „möchtest Du in einem Haus leben, an dem solche Sachen stehen“, fragt der Mann. Natürlich haben die beiden bisher gut Französisch gelernt.
Die Begegnungen zwischen den Einheimischen und den neuen Fremden wirken hilflos. Es kommt ständig zu Missverständnissen und Vorurteilen. Im Dorfladen nimmt der Mann zwei kleine Nüsse mit und wird übel beschimpft. In der Schule müssen die Kinder überlegen: „Was ist Rassismus?“ Und das TV ist immer dabei...
Im weiteren Verlauf lernen wir die Einheimischen besser kennen. Die Supermarktbesitzerin hat ein gehöriges Alkoholproblem, der elsässische Klempner ist bretonischer als die Einheimischen und der Dorfpolizist ist einfältig und unmusikalisch. Dagegen kommt die Familie aus dem gehobenen Mittelstand in Damaskus. Vater Marwan hat dort als Architekt gearbeitet und möchte dies auch gerne in Frankreich wieder tun. Seine Frau Louna ist Grafikdesignerin. Mit dabei sind Lounas Vater Hassan, ihre schulpflichtigen Kinder Dina und Waël und die Ärztin Tante Alma.
In einer heruntergekommenen Ruine hat ein heimliches Liebespaar Sex miteinander. Doch gerade dieses Haus will der „Öko-Opa“ aus Solidarität der Flüchtlingsfrau schenken. Es gibt eine Dorfversammlung, auf der die Syrer ihr Schicksal vorstellen, dabei auch ein gruseliges Video zeigen – und deutlich wird, warum sie nach Frankreich geflohen sind. Gegen einen rassistischen Übergriff steht die Lehrerin auf.
Während der rassistische Klempner krakeelt: „Wir müssen unsere nationale Identität retten“, freut sich die syrische Großfamilie: „Die Ruine wird unser Zuhause.“ Mit Hilfe einiger Dorfbewohner richten sie das Haus wieder her. Doch immer noch kommt es zu Streitereien, Übergriffen und offener Gewalt. Was mit kitschigen Willkommensgesten begann, wird bald hart und brutal. Anfängliche Unsicherheit schlägt bei einigen in offenen Faschismus um. Die Dorfbewohner sind zerrissen, und lange Zeit ist der Streifen kein typischer Culture-Clash-Film, hat aber immer noch viele seltsame und komische Wendungen...
Die weitere Entwicklung wollen wir hier nicht verraten, aber diese ungewöhnliche Komödie ist ja ein Märchen – und hat deshalb vielleicht ein gutes Ende. Möglicherweise gelingt das auch durch multikulturelle oder kulturübergreifende Liebe! Und durch die Frauen, die in dem Film stark sind – oder stärker werden. "Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne" ist kein moralischer Film. Die mitspielende Regisseurin Julie Delpy zeigt die Entwicklung der Integration wie in einem Labor und sagt dazu im Interview:
„Ich mag keine Filme, die den moralischen Zeigefinger erheben oder mit dem Hammer auf den Kopf hauen. Es war entscheidend, jedem Charakter – selbst dem karikaturhaftesten – seine Menschlichkeit zu bewahren, ihn nicht unerträglich wirken zu lassen, sondern die Realität von Menschen zu zeigen, die aus Angst heraus handeln. Meine Figur Joëlle sagt an einer Stelle: ‚Es ist die Angst. Die Angst vor den anderen. Die Angst, dass einem etwas weggenommen wird, selbst wenn einem nichts genommen wird. Die Angst, dass einem etwas weggenommen werden könnte.‘“
Foto:
© 2025 Weltkino Filmverleih GmbH
Info:
Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne,
F, 2024, 104 Minuten, FSK 12 Jahre,
StabREGIE Julie Delpy
DREHBUCH Julie Delpy
KO-AUTOREN Matthieu Rumani, Nicolas Slomka, Léa Doménach
Mitspielende:
Julie Delpy Joëlle Lesourd,
Sandrine Kiberlain Anne Poudoulec
Laurent Lafitte Hervé Riou
Ziad Bakri Marwan Fayad
Jean-Charles Clichet Sébastien Lejeune
India Hair Géraldine Riou
Dalia Naous Louna Fayad
Mathieu Demy Philippe Poudoulec
Marc Fraize Johnny Jannou
Rita Hayek Alma Fayad
Fares Helou Hassan Fayad
Emilie Gavois-Kahn Marylin Legall
Albert Delpy Yves Auteuil
Brigitte Roüan Jacqueline Moulin