
Arun Bhattarai & Dorottya Zurbó
Berlin (Weltexpresso) - Arun: Dorottya (aus Ungarn) und ich (aus Bhutan) führen seit 11 Jahren gemeinsam Regie, seit der Zeit, als wir uns beim Docnomads Joint Masters Programm kennengelernt haben. Wir haben gemeinsam unseren ersten abendfüllenden Dokumentarfilm The Next Guardian inszeniert, eine intime Familiengeschichte, die in Bhutan spielt und die 2017 auf dem Internationalen Dokumentarfilm Festival Amsterdam uraufgeführt wurde. Dieser Film, Agent of Happiness, ist nun das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit und unseres gemeinsamen Lebens in den letzten zehn Jahren in Bhutan.
Unsere Gespräche und Diskussionen, die auch immer vor dem Hintergrund unserer verschiedenen Kulturen stattgefunden haben, haben uns nicht nur in unserem Interesse für den Dokumentarfilm bestärkt. Sie haben uns auch darin bestärkt, verstehen zu wollen, woher wir kommen und wie wir jeweils von den unterschiedlichen Perspektiven unserer künstlerischen Arbeit profitieren können.
Bhutan war von der Außenwelt abgeschottet, bis es 2008 eine konstitutionelle Monarchie wurde. Es war das letzte Land der Erde, in dem man kein Fernsehen empfangen konnte – bis sich das 1998 änderte. Wegen dieser isolierten Lage wird Bhutan oft von westlichen Medien als das „letzte Shangri-La“ bezeichnet, als verborgenes buddhistisches Königreich. In den vergangenen Jahren wurde Bhutan dann durch seine Philosophie und abstrakte Wissenschaft des „Bruttonationalglücks" bekannt, das vom König Bhutans in den 1990er Jahren erdacht wurde. In Bhutan wird das Glück seiner Bürger von Glücksgutachtern gemessen, die im ganzen Land unterwegs sind. Auf Basis der Ergebnisse ihrer Umfragen entstehen dann Fünfjahrespläne. Diese Philosophie ist heute auf der ganzen Welt das bekannteste „Markenzeichen“ Bhutans.
Dorottya: Ich stamme aus Ungarn und damit aus einem der pessimistischsten Länder der Welt. Ich war von der Idee beeindruckt, dass eine Nation Glück zur Grundlage ihrer nationalen Identität macht. Als Osteuropäerin mit einer entsprechend belasteten Vergangenheit habe ich ein instinktives Misstrauen gegenüber Kommunikation und Propaganda, die von der Regierung gesteuert wird. Aber in Bhutan funktioniert das anders, als wir uns das gemeinhin vorstellen. Ich war neugierig darauf, wie es sich auf Menschen auswirkt, wenn Glück ihnen sozusagen als offizielle Vorgabe auferlegt wird. Können wir wirklich glücklicher werden, wenn Glück zum Bestandteil unseres kollektiven Bewusstseins gemacht wird – wissend, dass unser Land weltweit in der Statistik des Glücksindex führend ist? Arun und ich wollten mehr darüber wissen, wie man Gefühle und Lebenserfahrungen mit Formeln messen kann. Und wir wollten diesen Akt des Messens in ein filmisches Erlebnis übersetzen, das mehr aussagt als ein Diagramm. Wir wollten Geist und Seele des bhutanischen Volkes näherkommen, der Zerbrechlichkeit ihres Glücks. Lernen, wie man Glück finden kann, sei es im tiefsten Schmerz oder auch darin, nicht nach mehr zu streben, loszulassen. Das ist etwas, das ich auch für mein eigenes Leben lernen muss.
Arun: Als Bhutaner, der in der Zeit aufwuchs, als das „Bruttonationalglück“ entwickelt wurde, war es unmöglich, dieser Idee zu entkommen. Wir lernten darüber in der Schule, man sah es, wenn man das Fernsehen anmachte, und man feierte es sogar am „Nationalen Glückstag“. Ich persönlich hatte aber immer das Gefühl, selbst in Konflikt mit den Idealen des „Bruttonationalglücks“ zu stehen, da ich der ethnischen nepalesischen Minderheit Bhutans entstamme. Das „Bruttonationalglück“ stellt das menschliche Wohlergehen über den materiellen Wohlstand, aber die Rechte der nepalesischen Minderheit wurden oft nicht geachtet. Dies war Anlass für uns, etwas tiefer zu graben und einen eigenen Einblick vor Ort zu bekommen. Persönliche Geschichten zu erzählen, die einen komplexeren Eindruck vermitteln, als es die reine Umfragestatistik tut.
Dorottya und Arun: Das brachte uns zum „Happiness Center“, wo wir auf unseren Protagonisten Amber Gurung trafen, der als Glücksagent von Tür zu Tür zieht, um bhutanische Bürger nach ihrem
persönlichen Glücksgefühl zu befragen. Seine Offenheit und sein selbstironischer Humor haben uns sofort für ihn eingenommen. Als wir ihn dann nach und nach besser kennen lernten, haben wir gemerkt, dass er selbst tief in seinem Inneren unglücklich war, weil er auf der Suche nach der großen Liebe war. Er bereist das Land, um das Glück der Menschen zu messen, ist selbst aber sehr einsam. Wir hatten das Gefühl, dass diese Dynamik für einen Film interessant sein könnte: ein Glücksagent auf der Suche nach seinem eigenen Glück. Wobei diese Suche nach Liebe dadurch erschwert wird, dass er nicht die bhutanische Staatsbürgerschaft besitzt, obwohl er in Bhutan geboren wurde. Amber ist der Erste überhaupt, der aus der nepalesischen Minderheit Bhutans stammt und eine Hauptrolle in einem bhutanischen Film spielt.
Sein zu Herzen gehender Charakter und seine Fähigkeit, Freude und Leichtigkeit auch in den hoffnungslosesten Situationen zu empfinden, ermöglicht Empathie für ihn und damit auch für andere Menschen in Bhutan, die mit dem gleichen Problem zu kämpfen haben wie er. Durch Amber treffen wir auch auf Menschen wie Yangka, ein Mädchen im Teenager-Alter, das in einem abgelegenen Dorf lebt und mit der liebevollen Erziehung ihrer jüngeren Schwester die Rolle des Familienoberhaupts übernimmt. Oder Dechen, eine Transgender-Performerin, die Kraft und Akzeptanz durch ihre Mutter findet. Oder Tshering, der den Tod seiner Frau betrauert und Hoffnung aus seinem buddhistischen Glauben schöpft. Und Tashi, die ihrem patriarchalischen Ehemann zu entfliehen versucht und ihr Glück in einer unerwarteten, schwesterlichen Freundschaft findet. Die Art, wie sie ihr Leben annehmen, ihre Liebe und Kraft hält unserer eigenen Suche nach Glück den Spiegel vor. Der Film lässt den Zuschauer an sein eigenes Leben und die eigenen Kämpfe denken, und ermutigt insbesondere auch das bhutanische Volk, über die im Film gezeigten Themen zu sprechen.
Als Dokumentarfilmer suchen wir nach authentischen, menschlichen Geschichten. Wir halten es für wichtig, die menschlichen Dramen hinter den ganz alltäglichen Ereignissen zu zeigen, die Dynamik von Beziehungen, die verborgenen, unsichtbaren Seiten der Wünsche, Träume und Ängste. In unseren Filmen beschäftigen wir uns oft mit dem Aufeinandertreffen von Kulturen, Identitäten, Werten und Mustern. Diese Geschichten ziehen uns an, die intimen Situationen des Lebens, die unsere kulturellen Unterschiede egalisieren und mit denen wir das Vertraute im Anderen zeigen können – die universellen Werte und die Gefühle, die uns alle verbinden, wo auch immer auf der Welt wir leben. Agent of Happiness ist eine bittersüße Geschichte, die in einer Welt spielt, die noch unberührt ist, und die sich vor den Augen unserer eigenen, größeren Welt noch verbirgt. Wir glauben auch, dass es wichtig und unsere Aufgabe als Künstler ist, in schwierigen Zeiten positive Geschichten zu erzählen.
Foto:
©Verleih
Info:
Regie
Arun Bhattarai & Dorottya Zurbó
Produzenten
Noémi Veronika Szakonyi, Máté Artur Vincze, Arun Bhattarai
DIE PROTAGONISTEN
Amber Kumar Gurung – im Auftrag der Regierung Bhutans für die Erfassung des ,Glücks-Index‘ der bhutanischen Bevölkerung zuständig.
Sarita Chettri – Wunschpartnerin von Amber Gurung
Guna Raj Kuikel – Kollege von Amber Gurung
Hemlata Gurung – Mutter von Amber
…sowie die von Amber und Guna befragten Einwohner Bhutans:
Yangka Lhamo
Wangmo Lhamo
Dophu Dem
Dechen Selden
Tshering Lham
Tshering
Tashi Tshomo
Karma Lhamo
Kezang Yuden
Karma Wangdi