glück 4Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Juni 2025, Teil 10

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Herr Prof. Dr. Esch, wie würden Sie Glück definieren? 
Zunächst einmal unterscheiden wir verschiedene Betrachtungsweisen des Glücks. Wenn sich Menschen z.B. mit der Frage nach ihrem persönlichen Glück durch Nachdenken auseinandersetzen – wir nennen das die kognitive Definition –, dann ist es interessant, dass ein Teil von ihnen alles, was in der Vergangenheit war, tendenziell negativ bewertet, so dass sie in der Gegenwart tendenziell besser dastehen als zuvor – das nennt man dann Optimismus; und ein anderer Teil das Gegenteilige sagt, also ,früher war alles besser‘ – das wären dann, etwas vereinfacht, die Pessimisten. Unsere Definition von Glück, mit der wir arbeiten, ist wiederum, dass Glück weniger ein Nachdenken, Reflektieren oder Abgleichen ist, sondern zuallererst ein Gefühl. D.h. wenn ich Sie nachts wecken würde mit dem Fragebogen aus Bhutan oder einer Skala 0-100, dann ist das, was Sie mir dann spontan und ungefiltert sagen, das, worum es geht. Weil Glück im Belohnungssystem des Gehirns erzeugt wird, es ist ein Gefühl, das uns sagt: Das, was wir gerade erleben, ist lohnenswert – oder eben nicht. Diese Komponenten des Belohnungssystems und damit die unterscheidbaren Glückszustände finden wir vom Menschen abwärts bis hin zu ganz einfachen Lebewesen, von Schnecken über Muscheln, Pflanzen oder Bakterien. Das ist in der Evolution immer weiter verfeinert worden, es ist aber immer das gleiche Grundprinzip: Wir sollen durch ein Gefühl, hier: ein Glücks- bzw. Belohnungsimpuls, zu einem bestimmten Verhalten verleitet werden. D.h. wir sollen einen Beweggrund haben, ein „Motiv“, etwas Bestimmtes zu tun, was dann nicht nur für mich selbst gut ist, sondern vor allem für meine Spezies. Bzw. umgekehrt: Was für das Überleben und Vorankommen meiner Spezies hilft, soll mir gut vorkommen und sich lohnenswert anfühlen.


Glück also als etwas biologisch Gesteuertes und nicht individuell Wahrnehmbares?

Wenn wir sagen: Glück ist ein Gefühl und eine Motivation, dann steckt dahinter tatsächlich eine biologisch extrem harte Währung: Fortpflanzung und Entwicklung. Oder man könnte auch sagen die wichtigsten Grundbedürfnisse des Menschen, frei nach Clayton Alderfer: Wachstum, Überleben und Beziehung. Glück ist gewissermaßen das unsichtbare Werkzeug, das uns all das erreichen lässt. Wobei es unterschiedliche Formen des Glücks gibt, unterschiedliche Dinge, die wir zu unterschiedlichen Lebensphasen als Glück empfinden – zu denen wir also motiviert werden sollen.


Und wie sehen diese aus?

Wir unterscheiden hier drei zentrale Formen – Motivationen und Lebensphasen –, mit denen unterschiedliche soziale Funktionen einhergehen. Die erste ist die Phase der Jugend – hier: das Glück des Wollens: Ich will etwas tun und erreichen, habe Vorfreude, bin kreativ, risikobereit, ich wachse, lerne und überwinde Hindernisse. Das ist eine sehr Ich-bezogene Phase, in der wir von der Gesellschaft geschützt werden und denken, dass wir uns die Welt untertan machen. Auch wenn es biologisch genau andersherum ist und es die Welt ist, die uns in dieser Phase formt.


Wie geht es dann weiter?

Mit der mittleren Lebensphase, in der sich unser Gehirn immer besser in die Welt einpasst. Wir werden integraler Teil von ihr. Dadurch nimmt die Vorfreude ab, weil wir alles schon einmal erlebt haben. Unser Gehirn findet jetzt Abkürzungen, damit uns intuitiv Lösungen ad hoc zur Verfügung stehen. Das Glück zeigt sich nun auch anders, nämlich in Form des „Nicht-Haben-Wollens“ und Vermeidens. Wir haben gelernt, Lebenszeit investiert, und jetzt haben wir etwas zu verteidigen und müssen die Schutzschilder hochfahren. Stress ist jetzt das zentrale Motiv, wir haben Konflikte und Konkurrenten – ob am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft oder Partnerschaft –, hinzu kommen Schmerz und Krankheiten. Alles, was unangenehm ist, soll jetzt vermieden werden. Und Glück hat nun eine ganz andere Färbung, mehr in Richtung: „Wenn der Stress Pause macht“.


Das klingt aber nicht gerade nach Glück.

Jetzt kommt das Spannende, und das führt direkt nach Bhutan: Lange dachte man, zumindest in der Neurowissenschaft, dass es nur diese beiden Zustände gibt. Heute wissen wir aber, dass das Glück in unserem Leben eher einer U-Kurve gleicht, denn danach kommt noch ein dritter Zustand: Das Gefühl anzukommen, zur richtigen Zeit genau am richtigen Ort zu sein – das Ego kommt zur Ruhe, ganz so wie es in Hermann Hesses Gedicht „Glück“ heißt: „Die Seele ruht“. Ich muss weder Abenteuer suchen noch kämpfen und verteidigen, sondern habe das Gefühl, ganz im Hier und Jetzt sein zu können. Viktor Frankl nennt das die Selbsttranszendenz – das Ich tritt zur Seite, und plötzlich erlebe ich mich als Teil von etwas Größerem, einem Wir. Diese Form des Glücks bezeichnen wir gern als „Glückseligkeit“ oder einfach „Zufriedenheit“. Fragen wir Menschen in dieser Phase – und das sind nun die Älteren –, wofür sie morgens aufstehen, dann ist das zentrale Motiv das Erleben von innerem Frieden und Dankbarkeit.


Das heißt Glück ist auch eine Frage des Alters?

Diesen Glückszustand der Zufriedenheit oder Glückseligkeit finden wir – daher auch der Titel unseres Bestsellers „Die bessere Hälfte“ – erstaunlicherweise, in der Tat, vor allem in der zweiten Lebenshälfte. Man nennt es auch das „Zufriedenheits-Paradoxon“: Unsere Idee vom Alter ist ja gemeinhin, dass man nicht mehr laufen kann, alleine ist, kein Geld hat – aber paradoxerweise sind es gerade die Älteren, die sich von der Idee emanzipieren, dass Glück unbedingt Wachsen und Konsum bedeuten muss. Wir können so im Laufe unseres Lebens drei parallele Bewegungen beobachten: von Jung zu Alt, vom Ich zum Wir und vom Außen zum Innen. Glück ist dann etwas, das nicht mehr von außen kommen muss, sondern zu etwas Innerem wird, schließlich zu Zufriedenheit. Das Spannende ist nun, dass man diese Zufriedenheit sogar noch bei den allermeisten 100-jährigen findet – nicht alle, aber 90% der 100-jährigen sind zufrieden, so etwa die aktuelle Hundertjährigen-Studie aus der Schweiz. Im Zweifelsfall können sie nicht mehr sehen oder laufen, aber sie sind zufrieden. Wobei man sicher dazusagen muss, dass das der Idealfall ist. Wenn ich schwer krank bin und Schmerzen habe, Verluste erleide oder arm bin, nicht genug zu essen habe oder schmerzhaft einsam bin, sieht das sicherlich ganz anders aus.


Was heißt dies in Bezug auf Bhutan?

Was wir aus Verschriftlichungen wissen, ist, dass das Glück der Bhutaner, diese Zufriedenheit, geprägt ist von dem Gefühl des Wir – von einer Verbundenheit als zentralem Motiv. Verbundenheit über die verschiedenen Generationen hinweg, mit Menschen, Ahnen und auch deren „Geistern“, mit Orten, Kultur und Heimat, vor allem aber auch mit der Natur. Mit etwas Größerem also, deswegen nennen wir diese Dimension auch die spiritokulturelle.


Welche Rolle spielt dabei der Glaube?

Auch wenn es unterschiedliche Ausprägungen des Buddhismus gibt, bietet er insgesamt sicherlich die Dekonstruktion des Ichs und des Egos hin zum Wir und der Verbundenheit an. Das Ich ist nur als Teil der Natur zu sehen, wir alle sind miteinander verbunden, alles entsteht in Bedingung und in Beziehung zueinander. Der Buddhismus ist da sehr strikt und unverhandelbar: Was ich heute mache, wird in einer anderen Form anderswo eine Wirkung haben. Der Auftrag, der daraus entsteht, ist, sich über seine Taten, Nichttaten, Gedanken und seine Verbundenheit mit der Natur zu definieren. Wenn wir in dieser Hinsicht auf die drei Formen des Glücks zurückkommen, kommt das der dritten Phase des fortgeschrittenen Alters nahe, in der wir uns vom Ich zum Wir bewegen und im Idealfall Zufriedenheit und Glücksseligkeit finden.


Kann man Glück lernen?

Wenn wir der Logik der drei Ausprägungen des Glücks folgen, kann man nicht einfach zuhause sitzen und sagen: Phase 1 ist toll, Phase 2 überhaupt nicht, da bleibe ich lieber zu Hause und warte auf Phase 3. Nein, wir müssen da durch, sonst erreichen wir Phase 3 nicht. Aristoteles nennt das Eudaimonie – quasi den „Lebenslohn“. Dieser wird nur gezahlt, wenn man sein Leben gelebt hat. Das ist nicht immer einfach, aber es gehört eben dazu. Insofern heißt Glück zu lernen: Leben aushalten, Zutrauen haben – und daran glauben, dass es schon wird. Dass die bessere Hälfte auf uns wartet. Wie die Forschung zeigt, kann man aber schon ein paar Dinge unterstützend tun, um das Glück zu fördern: seinen Körper spüren, z.B. durch regelmäßige Bewegung; Altruismus – bewusst etwas geben können; eine Aufgabe haben und Erfüllung finden, generell in dem, was man tut und hat; aber auch loslassen können – also Dinge mit Haut und Haaren tun, wenn sie ihre Zeit haben, sie aber gehen lassen, wenn die Zeit vorüber ist, ob Gesundheit, Partnerschaft, Ehe oder Job; an etwas glauben; und schließlich die Königsdisziplin: Liebe – sich selbst als liebenswert erachten und etwas haben, das man wirklich liebt.


Bhutan ist heute auf der ganzen Welt für das „Bruttonationalglück“ und seine darauf ausgerichtete Politik bekannt, die die Bevölkerung glücklich bzw. glücklicher machen soll. Kann so eine Politik funktionieren?

Die pure Form des Glücks, dieses Habenwollen der ersten Phase, das können wir hier alle gut. Die zweite Form, also das Älterwerden und Dinge aushalten zu müssen, wenn sie schwierig werden, ist die Phase, mit der viele von uns zu kämpfen haben. Und die dritte Phase, die Zufriedenheit mit dem, was ist, Verbundenheit, Transzendenz: Hierin sind wir in unseren westlichen Gesellschaften eher nicht gut. Das spüren wir auch. Und weil wir merken, dass uns etwas ganz Zentrales fehlt, ist die Suche nach Achtsamkeit und „spirituellem Atheismus“ bei uns so auf dem Vormarsch. Länder wie Bhutan haben hier – zumindest nach dem, was wir hören – einen Riesenvorteil. Weil sie genau da hinein investieren: Sie machen eine Perspektive auf, zeigen einen Weg, leben intergenerativen Zusammenhalt. Die Älteren sind nicht einfach nur alt und „Ausschussware“, sondern werden auch als ,senior advisors‘ wertgeschätzt. Sie haben Erfahrung und sind die Bewahrer des kollektiven Wissens einer Gesellschaft. Wenn ich diesen Aspekt also pflege und über die Politik unterstütze und nähre, dann hilft das der Gesellschaft. Gesellschaften, die es schaffen, diesen Bogen zu spannen, werden voraussichtlich weniger Ressourcen verbrauchen und insgesamt zufriedener sein.


Tobias Esch
Univ.-Prof. Dr. med. Tobias Esch ist Neurowissenschaftler, Gesundheitsforscher und Allgemeinmediziner. Seit vielen Jahren untersucht er unter anderem an der Harvard Medical School oder der Berliner Charité, wie Selbstheilung funktioniert und wie ihre Potenziale innerhalb und außerhalb der etablierten Medizin nachweisbar für die Gesundheit genutzt werden können.

Zentrales Forschungsgebiet für Tobias Esch ist die Entwicklung von individuellem und kollektivem Glück beziehungsweise von Lebenszufriedenheit und persönlichem Wachstum über die Lebensspanne (zusammen mitunter als „Glücksforschung“ tituliert), dazu Grundlagenarbeiten zur Selbstregulation und dem hirneigenen Belohnungssystem, inklusive der Meditations- und Achtsamkeitsforschung: Modelle zur Neurobiologie und Förderung von Glück, Achtsamkeit, Heilung und Gesundheit.

Tobias Eschs populäre Sachbücher (unter anderem „Wofür stehen Sie morgens auf?“, „Der Selbstheilungscode“ oder „Die Bessere Hälfte“, zusammen mit Eckart von Hirschhausen) wurden in verschiedene Sprachen übersetzt, mehrfach ausgezeichnet und erreichten Spitzenplätze auf den Bestsellerlisten. Gleiches gilt für seinen aktuellen Podcast (zusammen mit Suse Schumacher). www.tobiasesch.com


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