Serie: Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 1. Januar 2015, Teil 1
Corinne Elsesser
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Eigentlich ist das der richtige Film zum Jahresausklang, melancholisch und von den Vergeblichkeiten des Lebens erzählend. Der Jahresanfang dagegen ist mit guten Vorsätzen gespickt, von denen wir eben auch zu Jahresende wissen, daß wir sie wieder nicht angepackt hatten und sich nichts verändert hat. Die Redaktion.
Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach
In einem kargen Raum bestaunt ein alter Mann eine ausgestopfte Taube. Seine ebenso alte Ehefrau hat sich bereits Richtung Ausgang aufgemacht. Nachdenklich schaut der Mann die Taube an, ehe er seiner Frau folgt. Der Raum ähnelt einem anderen Raum, in dem der Handelsvertreter Jonathan (Holger Andersson) an einem Tisch sitzt und am Tonbandgerät immer die gleiche romantische Melodie anhört. Er wohnt mit seinem Geschäftspartner Sam (Nils Westblom) in einem Heim für Alleinstehende, einsam und auch ein wenig traurig. Und so gehen die beiden ihren Geschäften nach. Da das Leben voller Enttäuschungen ist, haben sie sich für den Verkauf von Scherzartikeln entschieden. Ihr Angebot ist auf die Klassiker Vampirzähne, den Lachsack und die Maske „Gevatter Einzahn“ reduziert. Pech haben sie allerdings mit ihren Kunden, denn die wollen entweder nicht oder haben keinen Bedarf an Nachschub und sind in ihrer Zahlungsmoral nicht gerade zuverlässig.
Die beiden begegnen immer wieder in den Episoden, die der schwedische Regisseur Roy Andersson in 39 Bildern erzählt. Mal sind es Traumsequenzen, mal romantische Szenen, mal eine ironische Anspielung auf die Fernsehwerbung oder auf den grotesk anmutenden Verlauf der Geschichte.
In einer modernen Bar sitzen nur wenige Gäste, als plötzlich mit Karacho ein Soldat der schwedischen Armee des 18. Jahrhunderts hereinprescht und die Ankunft des Königs verkündet. Die jungen Frauen, die am Tisch sassen, werden hinausgejagt, ein Mann am Spielautomat ausgepeitscht. Einzig der junge Barkeeper hält die Stellung hinter seinem Tresen. Da reitet auch schon König Karl XII. auf seinem Rappen herein, steigt ab und setzt sich an die Bar, wo er mit dem Barkeeper liebäugelt. Vor den Fenstern draussen auf der Strasse zieht die Kavallerie selbstbewusst und siegessicher von links nach rechts in den Krieg. Später kehrt das Bild noch einmal wieder, ohne König und ohne den Barkeeper, und die Soldaten ziehen nun von rechts nach links am Fenster vorbei, zerfetzt, kriegsverletzt und zermürbt nach der verlorenen Schlacht.
An einer Bushaltestelle erfährt ein Mann von den Wartenden, dass er sich im Tag geirrt hat und fragt: „Kann man denn fühlen, was für ein Wochentag es ist?“
In einem Laborraum, der wiederum allen anderen Räumen im Film ähnelt, steht eine Forscherin am Fenster und spricht in ihr Mobiltelefon: „Ich freue mich zu hören, dass es dir gut geht.“ Dies wiederholt sie mehrmals, während ein von ihr zu Forschungszwecken in einem Metallgestell fixierter Affe im Vordergrund Elektrostösse erhält und bitterlich das Gesicht verzerrt.
Es ist das Triviale und Beiläufige, das Roy Andersson in klar und einfach konzipierten Räumen inszeniert. Er stellt es in ein Spannungsverhältnis zum Grossen und zum Essentiellen. So wird die Tierquälerei für Forschungszwecke konterkariert mit dem persönlichen Bedürfnis, sich nach dem Befinden seiner Verwandten zu erkundigen. Der als heroisch und siegreich in die Geschichte eingegangene König Karl XII. geht in eine Bar, einfach weil er Durst hat. Und die beiden Handelsvertreter bewegen sich durch die banalen Situationen ihres Alltags. Unverdrossen gehen Sie ihren Weg, der nirgends hinführt, höchstens von einer absurden Begebenheit zur nächsten. Mit einem Schmunzeln folgt man den beiden, nie aber mit einem Lachen. Zu nah bewegen sie sich an unseren eigenen Lebenssituationen, zu sehr ähnelt ihr Alltag in seinen Wiederholungen und Vergeblichkeiten dem unseren. Darüber und über das Leben im Allgemeinen lohnt es sich nachzudenken.
Nach „Songs from the second floor“ (2000) und „Das jüngste Gewitter“ (2007) ist der Film der dritte Teil einer Trilogie über das menschliche Wesen. An der Biennale di Venezia wurde er 2014 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.
Info:
Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach (Originaltitel: A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence)
Regie: Roy Andersson
Schweden/Norwegen/Fankreich/Deutschland, 2014
Länge: 100 Minuten