Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 3

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Man ist nach dem Eröffnungsfilm, in der gut nach 1900 eine Frau ihrem forschenden Ehemann an den Nordpol nachreist, und sich als Königin des Nordpols gebärdet, schon überrascht, gleich am nächsten Tag eine Königin der Wüste zu erleben.

 

Der Vergleiche kann es noch mehr geben, es geht beidemale um einen echten historischen Hintergrund, der beidemale in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und danach spielt, aber die beiden Frauen, um die es jeweils geht, die sind zueinander wie Antipoden, auch wenn beide starke Charaktere sind. Im Gegensatz zur Nordpolkönigin, deren Eskapaden anderen das Leben nehmen, ist die Wüstenkönigin – eine Bezeichnung, die die echte 1868 geborene Gertrude Bell von den Beduinenstämmen erhielt – eine mit unbändigem Freiheitswillen versehene englische Aristokratentochter, die nach ihren Studien in England das dortige seichte Leben für eine Frau nicht aushält und gerne erst einmal nach Teheran an die dortige englische Botschaft geht und von dort für immer in ihren Sehnsuchtsort: die afrikanisch-arabische Wüste, wo sie sowohl forscht, wie auch später, nachdem das Osmanische Reich zerschlagen ist und die Engländer nicht den ganzen Orient zur Kolonie machen können, zur Königsmacherin zweier dortiger Staaten wird: Jordanien und Irak.

 

So endet der Film, der zwar die große Weltpolitik als Hintergrund hat, die in das Leben der Menschen eingreift, aber die Aufmerksamkeit gilt doch dem Leben der Hauptperson, der Nicole Kidman die aufbegehrende Unabhängigkeit wie auch eine stille Größe und Tiefe gibt, die im Einklang mit der Natur auch lernt, mit ihren Gefühlen im Einklang zu leben. Denn da ist erst einmal Henry Cadogan (James Franco), der seitens der Botschaft für ihre Sicherheit sorgen soll, ein prächtig unkonventioneller Mann, der zudem über Zaubertricks verfügt. Und nun kommen Szenen, wie man sie in den Filmen der Welt lange nicht gesehen hat. Liebesszenen, die einmal fern der heutigen Fleischbeschau sind, wo Zweie - kaum treffen sie sich, derart übereinanderherfallen, daß es eher nach Kampf denn Liebe aussieht, nein, hier erleben wir auf der Leinwand die gegenseitige Verzauberung von zwei Menschen mit, ihr Ineinandertauchen, das vorsichtige Tasten und das große Sehnen. Hut ab, Herr Herzog, muß man da einfach sagen. Eine solche Intimität möglich zu machen, ist eine Leistung. Nur leider will der Vater der Lady diesen Schwiegersohn nicht, weshalb die Tochter nach England reist, um den Vater zu überzeugen und derweil sehr undurchsichtig der Geliebte ertrinkt, was oberflächlich als Unfall verkauft wird, aber ihr und uns Zuschauern doch eher als Selbstmord erscheint.

 

Daß Herzog die intimen Liebesszenen wirklich kann – auf der Pressekonferenz sagte er sogar, derartige Liebesszenen habe er erstmals in seinem langen Schaffen gedreht – erkennt man, wenn es ihm gleich ein zweites Mal gelingt. Denn obwohl Gertrude der Liebe nun entsagt und ihr Leben nur dem Erforschen der Wüstenstämme widmet, ihrer Sprachen, Poesie, Geschichte und mutig in das Innere der Gefahren eindringt, mit Respekt vor den Potentaten auftretend, wie solchen für sich einfordernd – dies ist der überwiegende Teil des Films - , überkommt sie dennoch das zweite Mal eine Liebe, anders als die erste und noch schwieriger .Es geht um den Konsul selbst, dem Damian Lewis ein englisches Unterstatement verleihen kann, einen Witz und dennoch völlige Hingabe, so daß das ganze Kino den beiden Erfüllung wünscht, nur ist der Gute schon verheiratet.

 

Der eigentliche Film aber spielt in der Wüste, die wie man hier wunderbar sieht, ja keine einheitliche Wüste ist, sondern aus Bergen und Tälern besteht, die sich zudem dauernd im Wind verändern, wozu auch Salzwüsten gehören, so daß man beim vorsichtigen Gehen auf diesen weißen Salzkrusten mit dem wiederum auf dem Boden schleifenden Kleid nicht anders kann, als an den Eröffnungsfilm zu denken, wo in der selben Art schwankend über das Eis die eleganten Roben wandelten.

 

Sicher kann man zu diesem Film auch andere Meinungen hegen. Gleichwohl, er gefiel uns, er gefiel uns richtig gut. Das lag nicht nur am Sujet – unglaublich, daß eine so wichtige, mutige, ungewöhnliche Frau nicht Beispiel in jedem Geschichtsbuch ist, sondern weithin unbekannt - , sondern an der Poesie, mit der Werner Herzog seine Darsteller durch dieses Filmleben schickt. So viel unterschwelligen, also britischen Humor, nicht den derben, sondern den höchst diffizilen, kennen wir überhaupt nicht mehr aus dem Kino. Hier ist er.

 

INFO:

 

R: Werner Herzog
USA 2014
Englisch
D: Nicole Kidman, James Franco, Damian Lewis, Robert Pattinson