Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 2

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) – Zwei Fahrgäste in einem Taxi, irgendwo in Teheran. Der Mann auf dem Beifahrersitz erzählt von einem Bekannten, dem sämtliche Autoreifen gestohlen und durch Ziegelsteine ausgetauscht wurden.

 

Solche Diebe sollten mit dem Tode bestraft werden. Die Lehrerin auf dem Rücksitz widerspricht dem Fundamentalisten, eine hitzige Debatte entbrennt.

 

 

 

Taxi“ ist nach „Offside“ (2005) und „Closed Curtain“, 2013 auf der Berlinale mit einem Drehbuch-Bären ausgezeichnet, ein weiteres bemerkenswertes Werk von Jafar Panahi und nach den Anschlägen in Paris auf Charlie Hebdo genau der richtige Film zur richtigen Zeit, insbesondere, nachdem der Iran im Vorfeld die Berlinale aufgefordert hatte, ihn nicht zu zeigen. Ein größeres Bekenntnis für die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung wäre kaum denkbar, Solidarität ist richtig und notwendig, zumal „Taxi“ auch einen Beitrag zur aktuellen Debatte über den Islam leistet, den viele doch offenbar unterschätzen. Von wegen, die Gefahr gehe nur von radikalen Terroristen aus: Der intolerante, unerbittliche Fürsprecher der Todesstrafe im Film ist ein einfacher Mann aus dem Volk.

 

 

 

Schon sagenhaft, wie und unter welchen Bedingungen Panahi dieses minimalistische Roadmovie überhaupt zustande gebracht hat. Der Regimekritiker wurde 2010 immerhin zu sechs Jahren Gefängnis und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt. Allerdings wurde die Haftstrafe bislang nicht vollstreckt.

 

 

 

Panahi darf jedoch seine Heimat nicht verlassen, weshalb 2011 der Stuhl in der Berlinale-Jury für ihn symbolhaft leer blieb und er auch diesmal die Weltpremiere nicht miterleben konnte.

 

 

 

Immerhin ist „Taxi“ ein Beispiel dafür, welche enorme Kreativität man mit wenigen Mitteln entwickeln kann. Differenziert, humorvoll und minimalistisch erzählt Panahi von dem schwierigen Alltag in einer Diktatur, wobei seine persönlichen Schwierigkeiten, im Verborgenen zu drehen, auf raffinierte Weise mitschwingen.

 

Panahi setzt sich selbst als nebenberuflicher Taxifahrer in Szene. Eine Rechtsanwältin, die wie er mit Berufsverbot belegt ist, zählt ebenso zu den Mitreisenden, die er an einem Tag befördert, wie seine altkluge Nichte. Das Mädchen soll mit einer Kleinkamera einen Film für ein Schulprojekt drehen, nach islamischen Regeln, was bedeutet: keine Schwarzmalerei, keine politischen und wirtschaftlichen Themen und das Einhalten der strengen Kleiderordnung.

 

 

 

Die Gespräche des Regisseurs mit den Fahrgästen, darunter auch ein kurioser mobiler DVD-Händler, der verbotene Arthaus-Filme in seinem Sortiment führt und Panahi als Geschäftspartner für seine „kulturelle Arbeit“ gewinnen will, werden von einer auf dem Armaturenbrett des Autos befestigten Kamera aufgezeichnet. Ob es sich um reale Personen oder Schauspieler handelt, bleibt offen. Angesichts der notgedrungenen Abwesenheit des bekennenden Oppositionellen gab es keine Pressekonferenz zur Klärung von solchen Details.

 

INFO:

 

R: Jafar Panahi
Iran 2015
Farsi

82'