Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 4

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Von den vier bisherigen Filmen im Wettbewerb sind drei Filme Frauenfilme, Filme über Frauen und wo eine Frau ist, ist ein Mann nicht weit. Von daher sind solche Frauenfilme immer auch Filme über Beziehungen, über Liebe, das Fehlen der Liebe oder auch Liebe im Übergang.

 

Spielen der Eröffnungfilm mit Juliette Binoche als Eiskönigin und der Werner Herzog Film über die Wüstenkönigin, verkörpert von Nicole Kidman, noch großes melodramatisches Kino, wozu gehört, daß mindestens einer stirbt, so ist dieser Film des Engländers Andrew Haigh von einer ganz anderen Machart. Ein stiller Film, ein Film, in dem es um Nuancen geht, wo das Heben einer Augenbraue schon größere Bedeutung erhält, als es Sandstürme oder Eiseinbrüche im menschlichen Beziehungsgeflecht bedeuten können. Hier geht es um Kate Mercer, der Charlotte Rampling eindrucksvoll Gestalt gibt und um ihren Ehemann Geoff (Tom Courtenay), der einem erst als Trottel vorkommt, dann wohl merkt, was er durch Verschweigen angerichtet hat und noch einmal alles aus sich herausholt, um der eigenen Frau nach 45 Jahren zu imponieren und ihr Herz zurückzugewinnen.

 

Eigentlich geht es nämlich um den 45. Hochzeitstag, den man in Erinnerung an die Hochzeit auch mit der Musik von damals bestückt, nach der getanzt werden soll. Aber statt der Freude auf dieses Ereignis, zu dem alle Freunde und Verwandte in großer Zahl eingeladen sind und bei der wir am Schluß des Films auch dabei sind, statt der Freude stellen sich bei Kate gegenteilige Gefühle ein: Fremdheit dem eigenen Mann gegenüber, einen Vertrauensbruch, den sie empfindet, ja geradezu Treulosigkeit, direkt gesagt, die Eifersucht auf eine andere Frau. Die ist zwar schon 50 Jahre tot, aber daß Toms damalige Freundin auf der gemeinsamen Tour in den Schweizer Alpen in einer Eisspalte verschwand und gerade jetzt gefunden wurde, wiegt deshalb so schwer, weil Tom dies Kate, die er erst danach kennen- und liebenlernte, niemals erzählte.

 

Sie selber findet dann auf dem Dachboden noch heraus, daß diese Freundin schwanger von Tom war – die beiden Mercers haben keine Kinder – und daß beide heiraten wollten. Diese so wichtige Begebenheit dem Menschen, mit dem man 45 Jahre zusammenlebt, nicht erzählt zu haben, sagt natürlich etwas über diesen Mann, aber auch über diese Ehe aus. Man hat bei Kate, die zu den ehemaligen Lehrerinnen gehört, die dann immer als besonders patent, auch burschikos, auf jeden Fall bestimmend dargestellt werden, das Gefühl, daß mit einem Male alle vorhandene Selbstgewißheit, die durchaus selbstgerechte Züge trägt, alle Zufriedenheit über das Erreichte dahin und das Leben schal geworden ist.

 

Was der Film beschreibt, ist kein Drama, sondern die Situation, die eintritt, wenn auf eine spiegelglatte Fläche, die das Leben der beiden war, ein Stein geworfen wird, der nun Risse zieht, von denen keiner – auch nicht die Hauptpersonen, auch nicht der Regisseur – weiß, wie es weitergehen wird. Ob der Riß sich vergrößert, zum Einbruch wird und einen oder beide hinunterzieht, oder ob der nächste Frost ihren Boden wieder kitten wird.

 

 

INFO:

R: Andrew Haigh
Großbritannien 2015
Englisch, 93'
D: Charlotte Rampling, Tom Courtenay, Geraldine James, Dolly Wells, David Sibley, Sam Alexander, Richard Cunningham, Rufus Wright, Hannah Chalmers, Camille Uca