Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 10

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Daß dieser wirklich besonders ungewöhnliche und schöne Dokumentarfilm – im Deutschen der Perlmuttknopf – im Wettbewerb läuft, hat auch etwas mit der zunehmenden Anerkennung des Dokumentarfilms als Genre zu tun, was sich in der anschließenden Pressekonferenz mit dem Regisseur vertiefte.

 

 

Man hält den Atem an, wenn es losgeht. Wenn wir auf der großen Leinwand einen riesigen Eisblock sehen, entpuppt sich dieser als Quarz, der in sich eingeschlossen wie Tränen Wassertropfen hat. Damit ist schon eine der Richtungen angegeben, denn mit einer ruhigen und dunklen Stimme im Hintergrund kommentierend, erfahren wir zwar viel, ja Außergewöhnliches, aber die Art, wie der Film gedreht, konstruiert, gemacht ist, hat etwas von einem Gedicht über das Wasser zu tun, denn immer wieder hört man im eigenen Kopf Kompositionen, auch Musik, weil das, was die Augen sehen, voller poetischen Schönheit ist, aber auch von einer unbändigen Kraft zeugt.

 

Um Wasser geht es. Nur um Wasser. Erwähnt wird erst einmal die Atacamawüste, die im Süden Chiles, im Regenschatten der Anden liegt, dieses riesige Gebirge, das an seinem Ende unter dem Wasser versinkt, was in Tausenden von Inseln, den ehemaligen Bergspitzen ausläuft. Diese Gegend ist 30 000 Jahre alt, was wir aber im Film wirklich erleben ist das Element Wasser als den Stoff, der überhaupt das Leben auf der Erde ermöglicht und deren Beschaffenheit der Regisseur in Patagonien ganz im Süden filmt . In der Pressekonferenz spricht Regisseur Patricío Guzmán davon, daß er sicher sei, daß in nicht so ferner Zukunft die Erde mit den Planeten Kontakt gewinne, auf denen ebenfalls Wasser vorhanden sei. Nur aus Wasser entstehe Leben.

 

Nein, wenn wir uns das recht überlegen, sagt dies die Stimme im Film, die uns über die Bedeutung des Wassers aufklärt, denn, daß auf der Erde überhaupt Wasser ist, ist den Kometen zu verdanken, die es brachten und aus denen sich als Erstes die Ozeane entwickelten. Natürlich muß man dabei an die Schöpfungsgeschichte denken, in der der Christengott ebenfalls sehr früh die Erde und Wasser scheidet. Unmöglich die Kraft der Bilder mit Worten wiederzugeben oder den gescheiten Text nachzuerzählen. Obwohl, ein wenig schwärmen von den traumhaften Bildern darf man schon. Wenn die so oft gesehen Eisblöcke und Eiswüsten in einem strahlenden Weiß erscheinen, das wirft einen nicht um; wenn  dann die Blautöne ins Bild kommen und man ob der Schönheit schon schluckt, sind diese hellen blauen Töne an der Eisoberfläche dennoch ebenfalls bekannt. Aber dann: dann werden die tieferen und hinteren Eisschichten zu einem tiefen Königsblau. Das sind ästhetische Wunder und man kann sie in diesem Film, der nicht Sichtbares zeigt, mit eigenen Augen verfolgen.

 

Das ist die ein Seite. Die andere ist der Wissensimpuls, den der Film auslöst, denn man möchte unbedingt mehr davon hören, wie das genau zusammenhängt mit der Erde und dem Wasser. Galt einem bisher das Wasser als Träger der Geschichte; seit den Griechen ist das ewiggleiche Fließen, das doch niemals dasselbe Wasser enthält, eine Metapher. Der Titel verdankt sich den Perlmuttknöpfen, die man in Chile auf dem Meeresgrund gefunden hatte, und daß Guzmán in seiner Heimat dreht, hat eben auch damit zu tun, daß Chile 4 300 Kilometer Küste hat. Wasser im Überfluß. Nicht immer an der richtigen Stelle.

 

In Patagonien leben bis heute indigene Völker, fünf an der Zahl. Sie sind uns aus Kunstphotographien bekannt, denn eines der Völker hat die Bemalung der Körper zum Merkmal gemacht. Nicht irgendwelche Teil, sondern alle, mit oft geometrischen Strukturen in einem blendenden Weiß. Daß die eine Frau verneint, eine Chilenin zu sein, sondern ihren Stamm nennt, hat auch damit zu tun – das wird in der Pressekonferenz vertieft -, daß Chile in besonders grausamer und leider erfolgreichen Weise die indigene Bevölkerung auszurotten versuchte. „Da starben mehr als bei der Eroberung durch die Spanier“, betonte der Regisseur, der sich darüberhinaus sehr intensiv damit auseinandersetzte, warum auch Wasser eine Spur der Erinnerung sein kann, der eigenen Geschichte des Landes Aufmerksamkeit zu widmen, was derzeit nicht geschieht. Auch seine Filme, auch der über Allende ist noch nie im chilenischen Fernsehen gezeigt worden.

 

Das glauben wir ihm sofort, denn die tiefste Erfahrung bei einem Besuch des Landes, nahe den Vulkanen, war leider die völlige Geschichtsvergessenheit der jüngsten Vergangenheit. Von 100 Schülern im Alter von 14 Jahren, kannten gerade mal 11 den Namen Allende und wußten, was sich damit verbindet, der Putsch gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten. Ein Armutszeugnis für das sehr USA-orientierte
Land, das aber zumindest einen sehr guten Dokumentarfilmregisseur hat, den es würdigen sollte und seine Filme zeigen: im Fernsehen und im Kino auch.

 

INFO:

 

R.:Patricio Guzmán
Frankreich,Chile,Spanien 2015
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