Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 8 a.K.

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Einen interessanten Ansatz hat dieser englische Film von Bill Condon. Man kennt die von Arthur Conan Doyle Ende des 19. Jahrhunderts geschaffene literarische Figur des Detective Sherlock Holmes heute vor allem aus verschiedenen Fernsehserien oder auch Filme. Dieser Ermittler ist sozusagen nicht totzukriegen.

 

Der Film nun verwandelt den fiktiven Detektiv in eine lebendige Figur, die um 1947, wo der Film spielt, immerhin schon 93 Jahre ist. Und nicht nur das, der Alte entspricht überhaupt nicht dem Bild, das sein Mitarbeiter Dr. Watson in den insgesamt 56 Kurzgeschichten und vier Romanen von ihm zeichnete, was in den bisherigen Verfilmungen eine durchlaufende Nummer ist: als Pfeifenraucher und mit Deerstalkermütze, wo er doch im richtigen Leben - also im Film - Zigaretten raucht und einen Hut trägt. Das ist schon ein genialer Ansatz, eine Kunstfigur zum Leben zu erwecken, die allerdings der Film nur nachmalt, denn die Geschichte beruht auf einem Roman. Den hat Mitch Cullin geschrieben und es geht im Grund um den Filmstoff, der mit einem unbewältigten Fall aus der Vergangenheit zu tun hat und dem guten Holmes nie Ruhe ließ.

 

Wir sind Zeuge, wie der alt gewordene Mann (der als 'Gandolf' für alle Zeiten bekannte Ian McKellen) sich mit Hingabe seiner Bienenzucht widmet und ansonsten ein beschauliches Leben führt. Das wurde gerade durch eine seiner seltenen Reisen unterbrochen, denn der weltberühmte Detektiv kommt gerade von einer Japanreise zurück, zu der ihn der Sohn des Mannes eingeladen hatte, der als Japaner für die Engländer spioniert hatte. Leider kann er sich an dessen Namen nicht erinnern, weshalb ihm der Arzt rät, jeden Tag jedes Vergessene mit einem Punkt im Kalender zu versehen, was, wie wir sehen, der gute Holmes, der immer ein bürokratisches Ass war, auch tut. Die Punkte werden immer mehr.

 

Seit 30 Jahren lebt er nun in der Provinz, was ihm Mr. Munroe (Laura Linney) möglich macht, die das Haus besorgt und alles drumherum, noch wichtiger allerdings ist für den alten einsamen Mann deren aufmüpfiger Sohn Roger, der den berühmten Detektiv für seine Polizeiarbeit, mit der er Geschichte schrieb, tief bewundert und ihm nacheifert. Tatsächlich war Sherlock Holmes – die Kunstfigur – für seine logischen Ableitungen berühmt. Er ging an die Fälle mit Detailgenauigkeit und sodann rational-analytischen Fragestellungen heran, ehe er daraus Schlüsse zog.

 

Der kleine Junge wird zum Auslöser für den alten Fall, dessentwegen er den Dienst verfrüht aufgab. Robert treibt ihn dabei nicht nur zur Kenntnisnahme seiner Vergangenheit an, wo ein angefangenes Manuskript, das er diesmal selber schreibt, auf die Fortsetzung wartet. Robert findet sogar 'Beweismaterial', das Holmes vor sich selber versteckt hatte. Und so kommt es zum Finale, in dem Holmes für sich erkennen muß, daß er in diesem einen Fall einfach falsch gehandelt hatte, sich falsch entschieden hatte und damit einen Menschen in den Tod trieb und sich in die Einsamkeit.

 

Das ist aber nur der eine Pfad in diesem Film, der sehr viele kleine Wege beschreitet und uns ein Zusammenleben dieser drei Personen zeigt, das sich als explosiv erweist. Man kann nicht alles verraten, aber es geht sehr stark um Robert, den seine Mutter nicht an den berühmten Detektiv verlieren will und auch nicht an eine Zukunft, die sie nicht überblickt. Sie ist die furchtsame Frau, die erleben mußte, wie ihr hochgemuter Ehemann seinen handwerklichen Kreise entwuchs, Soldat wurde und nicht wiederkam. Für ihren Arbeitgeber empfindet sie kaum Respekt, denn sie ist viel zu ungebildet, um ihn als Weltberühmtheit wahrzunehmen. Laura Linney spielt diese vom Leben enttäuschte und leicht herbe Mutter auf anrührende Weise. Sie sprach über diese Rolle auch einfühlsam in der folgenden Pressekonferenz, wo der kleine Robert der Star war, der nicht nur naseweis erklärte, wie viel er vom alten Holmes, der für ihn immer nur Gandolf ist, gelernt habe. Die Filmaufnahmen darf man sich sicherlich als durchaus lustig vorstellen, auch wenn es um Wehmut und die falschen Entscheidungen im Leben geht.

 

Ein Wort noch zum Drehort, der in Sussex liegt. So einen typischen englischen Bauerngarten voll von rosa, blauen und roten Blüten, von Cosmea, Hortensien, Malven, Rittersporn und wie sie alle heißen, erzeugt schon sowieso eine Atmosphäre von Aufgebhobenheit, verbunden mit einem Haus, in dem die alten schönen Schränke die Geheimnisse bewahren. Es ist eine vergangene Welt, die sehr viel Menschlichkeit ausstrahlt, auch wenn die Protagonisten dazu erst einmal über ihre lebenslänglich eingeübten Schatten springen müssen. In diesem warmherzigen Film gelingt dies.

P.S.: Der Film läuft a.K., d.h. außer Konkurrenz im Wettbewerb mit. Weshalb er damit auch für einen der Siegerprämien nicht in Frage kommt. Warum das so ist, konnte auf der PK keiner beantworten.

 

INFO:

 

R: Bill Condon

Großbritannien 2014

Englisch, 103'

D: Ian McKellen, Laura Linney, Milo Parker, Hiroyuki Sanada, Hattie Morahan