Der Patriarch. Richard Strauss und die Seinen aus dem Verlag Arthaus Musik

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Wie viele hässliche Worte wurden über ihn schon gesagt. Ich erinnere mich vor allem an eine 1991 vom SWR-Fernsehen ausgestrahlte Diskussionsrunde am Rande der Richard-Strauss-Festspiele in Garmisch, in der außer der genialen Strauss-Interpretin Elisabeth Schwarzkopf und dem Experten Stephan Kohler – heute Programmheftredakteur der Münchner Philharmoniker – niemand ein gutes Haar an ihm ließ.

 

Seine Kritiker stellten Richard Strauss dabei nicht nur an den Pranger, weil er es gewagt hat, wie Wilhelm Furtwängler im Zweiten Weltkrieg nicht aus Deutschland zu emigrieren, vielmehr sogar als Präsident der Reichsmusikkammer zu amtieren, sondern auch, weil er angeblich schlechte Musik geschrieben habe. Besonders harsch ging weiland Michael Gielen mit dem 1864 in München geborenen Komponisten ins Gericht. Er würdigte die Opern mit Ausnahme von „Salome“ und „Elektra“ als eklektisch herab, sprach von vermeintlich „leeren Durchführungen“ und hatte offenbar ein derart nüchternes Verhältnis zur Musik, dass er sich noch nicht einmal von einem so genialen Werk wie dem „Rosenkavalier“ berührt fühlen konnte.

 

Umso erfreulicher lässt sich nun registrieren, dass aus Anlass des im vergangenen Jahr von der Musikwelt groß gefeierten 150. Geburtstag des Komponisten ein Bilderbuch erschienen ist, dass Strauss ein respektvolles Denkmal setzt.

Es ist keine klassische Biografie, aber ein schön gestaltetes und illustriertes Buch im A4-Format, dessen Reiz vor allem davon ausgeht, dass man Strauss hier in eigenen Schriften, Briefen und Tagebucheintragungen am besten kennenlernt.

 

Als heutige Leiterin des Strauss-Archivs in Garmisch und Ehefrau des Strauss-Enkels Richard konnte die Herausgeberin Gabriele Strauss da aus dem Vollen schöpfen. So gestattet das Buch einen Einblick in den liebevollen Briefwechsel zwischen Richard und seiner Frau und Muse Pauline, die Strauss letztlich zu allen seinen großen Opernheldinnen inspirierte. Interessant aber auch die Zeilen, die der „Patriarch“ an Cosima Wagner richtete, von der er für alle seine Ideen eine Einschätzung und möglichst eine Zustimmung ersehnte.

 

Daneben gibt es zahlreiche kompakte Essays zu unterschiedlichen Themen (epochale Werke, Geld, Antike, Arbeit, Freizeit, Macht und Exil), die in dem langen Künstlerleben eine Rolle spielten. Auch der Strauss-Kenner erfährt da noch so manches Wissenswerte.

 

Natürlich geht das Buch nicht über den wunden Punkt in dieser Biografie hinweg.

Allerdings erfährt man, dass Richard Strauss keineswegs – wie dem Künstler gern unterstellt wird- aus politischer Überzeugung Präsident der Reichsmusikkammer wurde, sondern vielmehr aus einer gewissen Naivität. Strauss habe sich „uneinheitlich“ verhalten, bilanziert der Züricher Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken. Als Verächter der Weimarer Republik habe er „Hoffnungen für die Kulturpolitik“ gehegt, doch sei Strauss schon im Umfeld seiner Dresdner Arabella-Premiere im Juli 1933 in „einen ersten wirklichen Konflikt mit dem Regime“ geraten, den er jedoch pragmatisch für sich löste.

So wollte Strauss trotz politischem Druck an den bereits ins Exil geflohenen Dirigenten Fritz Busch festhalten, stimmte dann aber doch einer regimetreuen Lösung mit Clemens Krauss zu. Die Geschäfte für die Reichmusikkammer führte er zudem nur mit mäßigem Einsatz, als Funktionär sei er ohnehin nicht die erste Wahl von Hitler und Goebbels gewesen, meint Lütteken. Zu dem erzwungenen Rücktritt von dem hohen Amt kam es 1934, als Strauss Rückgrat zeigte und entgegen Goebbels’ Forderungen an dem österreichischen, aus jüdischer Familie stammenden Schriftsteller Stefan Zweig als Librettisten für seine „Schweigsame Frau“ festhielt.

Strauss’ Schwiegertochter Alice, geborene Grab, war übrigens auch eine Jüdin, die Emigration ihrer Mutter gelang 1938 im letzten Moment.

 

Eine Freude hat man auch an einigen faksimilierten Handschriften von Strauss und Dutzenden von Fotos in unterschiedlichen Formaten. Motive aus dem ganz privaten Familienalbum finden sich ebenso darunter wie Porträts berühmter Sängerinnen und Szenenbilder aus Operninszenierungen. Die Druckqualität ist sehr gut.

 

Koautorin Barbara Wunderlich hat auch noch ein filmisches Porträt gefertigt, das dem Buch als DVD beiliegt. Hier erlebt man die Autorin Gabriele Strauss im Dialog mit den Sängerinnen Brigitte Fassbaender und Inge Borkh und anderen Zeitzeugen. Bei alledem erkundet die Kamera auf feinfühlige Weise jenen magischen Ort, an dem Strauss mit Pauline und anderen Familienmitgliedern viele Jahre wohnte und arbeitete, und die von innen heute fast noch genauso aussieht wie damals: die Villa in Garmisch.  

INFO:

Gabriele Strauss und Barbara Wunderlich: Der Patriarch. Richard Strauss und die Seinen, Halle 2014, Arthaus Musik, 128 S.