Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 11
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Kein Entrinnen gönnt einem der chilenische Regisseur Pablo Larraín, man muß sich nicht nur die abscheulichen furchtbaren Geschichten anhören, wie massenweise Priester sich an Knaben vergehen, zusätzlich sind die Bilder der alt gewordenen Verbrecher, die keine Priester mehr sein dürfen und in einem Haus am Meer in der Provinz leben, in Dunkelheit gehüllt und eine schwere dramatisch dräuende Musik liegt laut über allem.
Diese Geschichten in Filmen zu erzählen, ist sicher notwendig, dazu gleich mehr. Aber erst einmal der ungeheure Schock, den ich erlebte, als ein Heruntergekommener, der als Kind von Priestern mißbraucht wurde, seinem Hauptpeiniger hinterherfährt und als er ihn in diesem Haus stellt, wo diese Ex-Priester, die ihr Amt nicht mehr ausführen dürfen, gemeinsam büßen sollen, ihm laut von der Straße aus in Worten beschreibt, was dieser mit ihm gemacht hat, als er zu seinem Lustknaben wurde. Jede sexuelle Handlung, die vor allem im Analbereich und auch Mund vor sich geht, von der wir eigentlich gar nichts wissen wollen, wird buchstäblich wie ein Bild mit Worten gemalt, was so furchtbar ist, weil ich selbst daran erkenne, wie froh ich bin, daß ich mich nicht im Detail damit beschäftigen muß, sondern mit den Worten Pädophilie und Kindesmißbrauch die Sache umrissen ist. Das ist aber falsch, weilsolche Befriffe formal bleiben und nicht den lebenslangen Schmerz der Opfer ausdrücken. Und genau von diesem hören und sehen wir hier..
Was sich als lebenslanger Schmerz aber dahinter verbirgt, können diese Worte gar nicht transportieren. Der Film wurde in einer Situation in Chile gedreht, in der die Geschichtsvergessenheit anhält und die Kirche miteinschließt. Die Katholische Kirche Chiles war nämlich zu Zeiten der Diktatur auf der Seiten der Schwachen und kämpfte gegen die Potentaten. Aber im formal demokratischen Chile hat sie sich zu einer doppelzüngigen Institution gewandelt, die verschweigt und verbirgt. Dies bildet der Film ab.
Es geht nämlich nicht nur um das, wie sich Priester im Namen Gottes an diesen Knaben vergangen hatten, sondern ebenso um die Aufarbeitung dieser Vergangenheit, die die Kirche offiziell unternimmt. Deshalb wird ein Kirchenbeauftragter in diesen Club der Verlorenen an die Küste geschickt, der alle Geschehnisse in Einzelgesprächen auf Band aufnimmt, aber selbst strauchelt und als Konsequenz dieses Haus, das er schließen wollte, weiterbestehen läßt und ohne Untersuchungsergebnis zurückfährt in die Zentrale. Düsterer kann man dies nicht darstellen, als der Film es tut, der dann wiederum seine durchaus komischen Seiten hat.
Es beginnt mit dem Windhundrennen. Die Hausbewohner haben nämlich einen, Rayo, der ihnen auch die riesigen Gewinne bei den Wettkämpfen einbringt, der von allen geliebt wird und vor allem von dem einen Priester trainiert wird. Schließlich komme schon in der Bibel der Windhund als einziger Hund vor, wird dem kirchlichen Aufpasser vorgehalten, als der das Gewinnstreben der Gruppe mittels Hund tadelt. Wir lernen in Einzelszenen die Fünfergruppe der Priester kennen, denen Schwester Monica das Haus führt. Ohne Vorwarnung kommt ein Neuer, mit diesem erscheint aber in kurzer Folge ein Typ auf der Straße, der den fassungslosen Bewohnern von draußen die oben erwähnten sexuellen Übergriffe in allen Details als Litanei hineinschreit.
Dann fällt ein Schuß. Der Ankömmling war mit einer Pistole nach draußen gegangen und hat sich selbst erschossen. Deshalb kommt der kirchliche Ermittler, um das alles aufzuklären, weil er sich nicht erklären kann, daß dieser Mann nach seiner weltlichen Verurteilung und Bestrafung sich dann selbst richtet. Der Zuschauer, der die Vorwürfe dieses Sandokán gehört hatte, kann dagegen die Selbsttötung sehr gut verstehen. Sandokán nun gehört nicht zu den Anklägern, die über die Öffentlichkeit oder die Gerichte Rache nehmen will. Sein Fall ist komplizierter und kann nur angedeutet werden. Er gehört zu denen, bei denen die Traumatisierung durch den Mißbrauch, ihn aber emotional und sexuell an die jeweiligen Priester band, denn diese hatten ihm ja von ihrer heiligen Handlung an ihm gesprochen. Er hat seine sexuelle Identität durch die erwachsenen Männer entwickelt und ist nun im Beziehungsgeflecht von Anklage und dem Wunsch den heiligen Priestern nahe zu sein.
Im Film gibt es ununterbrochen Handlung, die wir nicht wiedergeben wollen, sondern nur noch darauf verweisen, daß uns alles zusammen, Handlung, Licht und Musik, zu viel geworden war. Genau dies war aber Absicht des Regisseurs, der extra russische Objektive verwandte, wo das Licht dunkel und irrisierend wird. Auch die musikalische Untermalung mit Bach, Britten und einem chilenischen Komponisten, ist Absicht.
INFO:
R: Pablo Larraín
Chile 2015
Spanisch
D: Roberto Farías, Antonia Zegers, Alfredo Castro, Alejandro Goic, Alejandro Sieveking, Jaime Vadell, Marcelo Alonso, Francisco Reyes, José Soza