Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 12
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Andreas Dresen ist ein sehr guter Regisseur und vor allem einer, der die Welt der DDR und ihren Übergang in ein durch Westdeutschland geprägtes Deutschland präzise benennt. Grundlage dieses Films ist der Roman des Leipzigers Clemens Meyer, den dieser 2006 veröffentlichte.
Es geht erneut – anderer Ort, andere Zeit – um eine Jungengang, in der ein Mädchen Sehnsuchtsobjekt wird. Das hatten wir gerade in VIKTORIA von Sebastian Schipper und man fragt sich schon, ob die Adoleszenz von Jungen, ihr Hineinwachsen ins Erwachsenenleben so sehr viel spannender ist als die von Mädchen. Auf jeden Fall ist nicht nur dies auffällig, sondern auch, daß – im Drehbuch, das den Roman auf die Filmleinwand kürzt – ein Mädchen dann die andere Welt verkörpert. Dieses Mädchen hat im Gegensatz zu VIKTORIA allerdings ihre Laufbahn schon auf den Leib geschrieben, denn das schönste Mädchen Leipzigs, Sternchen genannt, endet im Edelnacktetablissement.
Aber um sie geht es gar nicht, es geht um die Jungens, um Dani, der die Heldenrolle spielt, um Rico, Paul und Mark, die kurz nach dem Ende der DDR sich selbst zu finden versuchen, was angesichts der nun angebrochenen angeblichen demokratischen Freiheit die Unabhängigkeitsgefühle von jungen Leuten potenziert. Sie leben nicht nur am Stadtrand von Leipzig, sondern sind auch diejenigen, die zu den Wendeverlierern gehören. Welche Funktion die zahlreichen Einblendungen aus der Zeit der jungen Pioniere mit dem roten Halstuch und ihr Sprachgebrauch für die jungen Leutedamals wirklich spielt, ist nicht auszumachen. Was der Zuschauer empfindet, das ist, in welche festgefügte, aber eben auch sichere Welt diese ehemaligen Pioniere hineingewachsen waren, die sich nun dem Angebot der angeblichen Freiheit ausliefern: Alkohol, Zigaretten, Drogen.
Den Film kann man völlig unabhängig vom Roman sehen, denn Wolfgang Kohlhaase und Andreas Dresen spitzen die Geschichte auf die Gegensätze von Freundschaft und Verrat, auf Zuversicht und Illusion, auf Brutalität und Zärtlichkeit zu. Was die Brutalität angeht, die hier vor allem zwischen diesen Jungens und den sie verfolgenden Skinheads angeht, mag man das Schlagen, das immer wie Ermorden aussieht, kaum ansehen. Gut, es hat eine Funktion im Film, ist aber als gesellschaftliche Erscheinung so widerwärtig, daß man sich 2015 fragt, wo damals in Leipzig eigentlich das Volk war, auf das sich Pegida heute so beruft. Wieso ist damals gegen den Rechtsradikalismus von jungen Deutschen kein Aufstand geprobt wurden, ist eine der Fragen, die man hat, die der Film natürlich nicht beantworten kann, weil er auf anders konzentriert ist.
Nimmt man noch einmal die beiden deutschen Filme VIKTORIA und ALS WIR TRÄUMTEN als deutsche Zustandsbeschreibung von Jugend, so fällt auf, daß insbesondere der letztere Film tatsächlich eine Zustandsbeschreibung vornimmt, wir aber viel zu wenig ins Innere der Personen gelangen. Sie führen keine Gespräche mit sich selbst, ihre Seelenlage wird nun durch verzweifelte Aktionen dargestellt. Da fehlt uns etwas.Wir hatten uns mehr versprochen.
Aus der Pressekonferenz:
Über den Unterschied von Drehbuch zum Film: Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase: man muß sich im Drehbuch vom Buch entfernen und sich dann ihm wieder nähern. Es geht darum, das Herz des Romans zu verstehen und eine Übersetzung in ein anderes Medium zu leisten, von diesem anarchischen, chaotischen und bösen Buch.
Clemens Meyer hatte „das „Glück, Andreas Dresen zu kennen, deshalb hatte ich Vertrauen. Das ist ein Film, der ist von Meistern gemacht.!“
Jede Jugend fragt: Was kostet die Welt?“ Die Welt in Leipzig nach er Wende ist schon verkauft und andere haben längere Arme, es kommt die Desillusion.“ sagt Drehbuchschreiber Kohlhaase.
Zur Gewalt im Film. Die Gewalt gehört zu dieser Gruppe dazu, zum Milieu und dieDialoge sind wie aus dem täglichen Leben. Das zumindest behaupten die Darsteller, die alle auf dem Podium sitzen.
INFO:
R: Andreas Dresen
Deutschland, Frankreich 2015
Deutsch; 117'
D: Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Marcel Heuperman, Joel Basman, Frederic Haselon, Ruby O. Fee, Chiron Elias Krase, Luna Rösner, Tom von Heymann, Nico Ramon Kleemann