Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 23
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Daß man den Regisseurs eines Films nach den Vorstellungen vom Himmel in Japan befragt und welches Geschlecht die Engel haben, hätte man sich vor dem Anschauen des Films auch nicht gedacht. Ein Film, der komisch ist, traurig macht, denn das Leben der meisten Menschen hat einfach ein falsches Drehbuch.
Da sitzen sie nämlich im Himmel, die Drehbuchschreiber menschlicher Existenz, die uns alle mit Namen kennen, und denen sie aus Bosheit, Fahrlässigkeit oder Versehen die dicksten Hämmer in den Lebenslauf diktieren, wenn sie ihre Hauptpersonen nicht gleich mit dem Tod erledigen. Eine gekonnte Szenerie, mit der der Film anfängt, wo auf langen langen Rollen, die aufgerollt vor den am Boden sitzenden Schreibern liegen, mit den schönen Schriftzeichen der Japaner die Schicksale nun eingepinselt werden. Doch mit den Ergebnissen sind nicht alle zufrieden. Schon gar nicht Gott. Denn der verlangt ein wenig mehr Avantgarde.
Mit solchen Pointen würzt Regisseur Sabu die Handlung. Er verfilmt hier seine eigene belletristische Geschichte und verrät auch, daß er schon beim Schreiben immer die Bilder sieht, die später beim Drehen entstehen. Immer wieder werden die Schreiber von anderen ob ihrer Schicksalsverläufe kritisiert, was kulminiert, als die schöne Yuri bei einem Verkehrsunfall stirbt. Wie alles auch filmisch durchdacht ist, ist schon an dieser Szene zu sehen. Denn wir Zuschauer, die wissen, daß sie gleich sterben wird, erleben, wie sie dem Tod entkommt, atmen gerade auf und durch, schon knallt es und das Auto hat sie totgefahren. Das soll nicht so bleiben, denn ein Aufstand der Himmelsschreiber verlangt hier, daß dieses Tod verhindert werden soll, indem die Zeit zurückgestellt wird, und einer ihrer schlagkräftigsten Typen, das ist Chas, ein früherer Gangster, auf die Erde geschickt wird, um dort für Ordnung und das Überleben von Yuri zu sorgen.
Allein die Idee ist herrlich und die ästhetische Umsetzung auch. Natürlich nur männliche Engel und die erklärte der Regisseur damit, daß er auch ein Mann sei, aber die Vorstellung in Japan die Engel als weiblich oder als Kinder mit Flügeln sehe. Also nicht anders als in Europa.
Was wir jetzt als Reise des Chas (Chasuke) miterleben, ist ein Ritt über den Bodensee, nur daß er inmitten einer Provinzstadt stattfindet, wo Chas erst einmal in den engen Gassen Yuri sucht, dabei aber auf die abenteuerlichsten Typen und Ereignisse stößt. In Lebensgefahr ist er ständig, das ändert sich auch nicht, als er am Straßenrand solche schönen weißen Flügel findet, die er mit einem Brustband befestigt und nun auch äußerlich zum Engel mutiert. Wir sind in Okinawa, wo bisher keine Filme gedreht wurden und die engen kleinen Gassen und die gewissen Altertümlichkeit und Kleinheit eine spezielle Atmosphäre erzeugt, die wir nicht unbedingt mit Japan identifizieren, wo fast immer das moderen Japan mit den von Autos vollgefüllten Straßen, den Hotels und Sushistätten gezeigt wird.
Das Schönste passiert dann so nebenbei. Denn ausgestattet mit dem sechsten Sinn und seinem Wissen um die im Himmel festgeschriebenen Lebensläufe, kann Engel Chas diese Vorsehung ändern. Er braucht dazu nur einen ganz festen Willen, viel energetische Kraft, mit der er mit bestimmten Handbewegungen dann das Messer, das einer gerade zum Angriff führt, zum Beispiel in der Luft wenden läßt, so daß der potentielle Mörder seine eigenen Finger abschneidet. Ja, blutig geht es zu in dieser Provinz, denn zunehmend wird Chas zum Objekt der Begierde für die wünsten Verbrecher vor Ort und für die anderen auch. Längst erreicht er als Mr. Engel seine Berühmtheit, aber eigentlich geht es ja um die schöne Yuri. Die ist wirklich schön und wie die Geschichte weitergeht und ob sie auf Erden oder im Himmel endet, muß man hier nicht verraten.
Der Film ist verspielt, aber doch auch von tiefen Gedanken zum Tod und einem Weierleben erfüllt, die Bilder kommen einem oft bekannt vor, denn Sabu verarbeitet viele Kinomomente als Zitate. Wenn man den Film in ein Genre stecken müßte, kommt man schon in Schwierigkeiten. Denn es ist auch einfach eine Liebesgeschichte, die besonders melodramatisch verläuft. Einen Gangsterfilm sehen wir auch, aber vieles Szenen sind einem Comic entnommen. Also alles ein bißchen Durcheinander.
INFO:
R: Sabu
Japan, Frankreich 2014
Japanisch, 106'
D: Ken’ichi Matsuyama, Ito Ohno, Ren Ohsugi, Yusuke Iseya, Hiromasa Taguchi, Tina Tamashiro, Hiroki Konno, Orakio, Susumu Terajima