Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 9/25
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) –Brillante Mendoza ist ein Regisseur, der sonst andere Filme dreht, hier aber glaubt, er müsse die politischen Hintergründe eines wahren Vorgangs von 2001/02 auf den Philippinen filmisch aufbereiten; damals sind beliebige Touristen und Bewohner für über ein Jahr als Geiseln genommen worden von Aufständischen, die für die Herausgabe ihrer Gefangenen viel Geld verlangten, um ihren Kampf fortsetzen zu können.
Das Entscheidende, aber auch schwer Erträgliche ist dann, daß die Gefangennahme und die sich über ein Jahr hinziehende Verschleppung durch den philippinischen Urwald unerträglich anzuschauen ist, weil keiner geschont wird und so der Eindruck von echtem Leid und Verzweiflung entsteht. Das ist das eine, das andere ist, daß es Krieg ist, der dort im Dschungel herrscht, denn das Regierungsmilitär greift immer wieder die Rebellen an, das sehr laute Schießen hört nicht auf und die Toten kann man nicht mehr zählen. Der Regisseur legt Wert darauf, daß er keine eigene politische Position einbringt, sondern den unerhörten Vorgang darstellen wollte.
Hintergrund sind die politischen Erwartungen, die die muslimische Abu-Sayyaf-Gruppe mit der Geiselnahme von Mitarbeitern der Weltbank, die in einem Hotel auf einer Ferieninsel weilten, verbinden. Nur: diese sind als die Vermummten und Bewaffneten zuschlagen, längst abgereist, in ihre Hände fallen zwölf ausländische Gäste, Touristen und christliche Missionare. Das ist nun die falsche Zielgruppe, weltweit Aufmerksamkeit zu erringen und Geldflüsse in Gang zu setzen. Zudem verbietet es doch eigentlich den streng muslimisch auftretenden Rebellen ihre Religion, derart verächtlich und brutal mit Menschen umzugehen und vor allem Frauen als Gebrauchsgut zu behandeln.
Auf der anderen Seite ergeben sich durch die Nähe in den dramatischen Situationen, sowohl bedingt durch die gefahrvolle Natur - die Gruppe bewegt sich unaufhörlich durch den Urwald - wie auch die ständigen Attacken des Militärs, die beim Bombardieren und Abschießen zwischen Aufständischen und ihren Gefangenen nicht unterscheiden können, ergeben sich also durch die Nähe der beiden Gruppen eine neue soziale Situation, in der weder das Freund-Feind-Schema weiter paßt, noch die Rollen von Herrn und Knecht durchzuhalten sind. Immer wieder sind es auch die Entführten, die den Entführern helfen, taktisch in der Bitte um Aufgabe der militärischen Angriffe gegenüber den offiziellen Stellen, menschlich durch Gespräche und ärztliche Behandlung. Auch durch Gefühle.
Zwei Begriffe haben sich in dieser Geiselatmosphäre, einer psychologischen Melange von Entführern und Entführten durchgesetzt. Das ist einmal das Stockholm-Syndrom, in dem die Geiseln sich psychisch und mental auf die Seiten ihrer Entführer stellen, um deren Leben und damit ihr eigenes zu retten. Man kann aber auch ganz undramatisch erst einmal von einer symbiotischen Beziehung sprechen, in der sich beide Personengruppen durch ihre identische Situation hier im Urwald buchstäblich befangen und ‚gefangen’ sind. An der Person der Therese, Sozialarbeiterin in Mission aus Frankreich, dargestellt von Isabelle Huppert, die den Marsch durch den Dschungel und die soldatischen Angriffe überlebt, wird das eigentliche Geschehen durchgespielt, auch wenn die Dramen der anderen Geiseln durchaus viel Platz erhalten.
Dennoch ist sie – sie ist auch die bekannteste Besetzung – diejenige, die propädeutiscvorführt, wie sehr sich die anfängliche Wut, der Haß und die Abneigung in ein Miteinander wandeln, wobei vor allem der junge Hamed von ihr betreut wird. Da ist sie wirklich wie eine Mutter zu ihrem Sohn und erzählt ihm von ihrer Tochter und den beiden Söhnen zu Hause. Auch eine junge Frau läßt sich mit ihrem Einverständnis mit einem der Rebellen vermählen und der Film kann – durch die lange Dauer der Flucht – auch die Geburt des entstandenen Babys zeigen. Vielleicht sind es solche Szenen, auf die sich die angesprochene Neutralität des Regisseurs bezieht, denn während der Geburtsszenenr läßt die Regierung ein Krankenhaus zusammenschießen, was gegen die Genfer Konventionen ist.
Kurzum: Eine solche, über ein Jahr dauernde Geiselhaft in zwei Stunden im Kino mitzuerleben, heißt auch zwei Stunden Geiselhaft für den Kinozuschauer. Es ist schon harte Kost, was man sich anschauen muß. Wir rätseln noch über uns selber, ob wir das eher aushalten, wenn es einer wahren Geschichte entspricht oder uns lieber wäre, das wäre fiktiv. Dann auf jeden Fall hätten wir uns das nicht zugemutet, von daher war die Frage eines Kollegen, was der Regisseur mit diesem Film zeigen und erreichen will, durchaus passend. Denn das Grundproblem von Freiheitskämpfen weiß man vorher und wird durch das Nachher nicht klüger.