Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 8/25
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) –Wer die Meteoraklöster nicht kennt, dem muß man zuvor sagen, daß diese oben auf natürlichen Felsen gebauten Klöster im griechischen Thessalien, die durch den Nebel zwischen Tal und Kuppe immer wieder ausschauen, als ob sie im Himmel schweben, eine Anverwandlung der Heiligen Berges Athos sind, also tief im kulturellen und religiösen Gedächtnis der orthodoxen griechischen Kirche und ihrer Gläubigen ruhen.
Von daher wundert man sich erst einmal überhaupt, daß dort Nonnen auftauchen – die natürlich erst einmal in der dienenden Funktion der Frauen gegenüber den Mönchen deren Versorgung nach oben transportieren lassen. Es kommt aber noch schlimmer, ein junger Mönche namens Theodoros – Theo Alexander - ist einer Nonne aus dem gegenüberliegenden russisch-orthodoxen Kloster mehr als zugetan und versucht, sie durch allerlei Liebestaten wie für sie zu kochen und mit ihr zu essen, zu verführen. Sie aber liebt in erster Linie ihren Herrn Jesus und kommt dann in zweiter Linie auch dem Verliebten nahe. Die griechisch-orthodoxe Kirche habe dazu nicht eine derart ablehnende, ja die Todsünde nach sich ziehende Auffassung wie beispielsweise die katholische, weil alle, auch die Sünder in der Liebe Gottes ruhten.
Wir erleben also, mit offenem Mund sozusagen, daß hier eine Geschichte erzählt wird, die uns archaisch anmutet oder wie aus mindestens dem Mittelalter oder einer ganz anderen Kultur und Welt. Die Aufnahmen von Landschaft und Klöstern sind wunderschön, der Film ist meistenteils sehr stumm und gibt nur die natürlichen Laute von Tier und dahinwehenden Gesprächen wieder. Die Menschenaufnahmen verweilen sehr sehr lange auf Gesichtern und der Interaktion mit anderen und wenn einem filmische Referenzen einfielen, dann wären es sicher nicht ALEXIS SORBAS oder SONNTAGS NIE, sondern bestimmte Filme von Ingmar Bergmann.
Gerade weil die Art, die Wirklichkeit solchermaßen filmisch abzubilden, einen an die 60er Jahre erinnert, wäre diese Film für heute schwer erträglich, wenn der Regisseur nicht einen geradezu genialen Trick er- und gefunden hätte: bestimmte Sequenzen werden als Animation gebracht. Vorwiegend seien das die verdrängten oder sich nicht heraustrauenden Gefühle der Protagonisten, wo die Sehnsüchte nach Liebe – der Film nimmt die antike Differenzierung von Eros und Agape (platonisch) auf – sich in der Animation verwirklichen dürfen, aber auch anderes, nur psychoanalytisch zu Deutendes, wurde vom Regisseur Spiros Stathoulopoulos und seiner Produzentin erläutert. Sie stimmten aber auch einer zusätzlichen Interpretation zu, die auffällt, wenn man das Bildprogramm der orthodoxen Kirche in der byzantinischen Kunst der Ikonen als Tafel oder Mosaik berücksichtigt.
Stilistisch ist nämlich die reduzierte Formensprache der Animation, die etwas Hölzernes, dramatisch schwarz Umrandetes hat, identisch mit der der orthodoxen Ikonen auf Tafeln oder vor allem als Mosaike. Von daher erzeugen die Animationen einen visuellen Eindruck, als ob sich die Mosaike verlebendigt hätten, übrigens ein Vorgang, der in den Augen Gläubiger der orthodoxen Kirche sowieso abläuft, denn für sie sind Ikonen das Fenster zur anderen Welt, wo die Gottheit den Blick von hinter den Ikonen direkt ins Herz der sie Anschauenden lenkt. Das, was man sonst Visionen nennt, sind also hier die vom Regisseur erfundenen Animationen.