Kommentare zum Film 'Die Koffer des Herrn Spalek', durch Cilly Kugelmann vom Jüdischen Museum, Berlin – Mal Seh`n Kino Frankfurt am Main 22.02.2015 - Teil 2
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im Anschluss an die Vorführung des Films 'Die Koffer des Herrn Spalek' kommentierte Cilly Kugelmann, die Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin das Geschaute und Sinn und Zweck der Exilforschung.
Eine Museumseinrichtung zur Exilforschung ist eine 'kulturelle Wiedergutmachungsinstitution' zur 'Geschichte des deutschsprachigen Judentums', ein 'Gedächtnisreservoir'. Die Emigriertengeschichten sind die 'letzten Augen/Ohrenzeugen' der Geflüchteten.
Eine Exilforschung habe nicht etwa repräsentative Emigrantinnen und Emigranten zum Gegenstand, sondern Alltagsgeschichten, die All-history, die 'Special Collections'. Belege werden sowohl proaktiv als auch aktiv gesammelt. Selbst wenn die Dinge nichts kosten, müssen sie fachgerecht behandelt werden: Objekte wie Füllfederhalter, Schlipse oder Eintrittskarten, die kleinen Habseligkeiten. Eine Auswahl treffen ist problematisch, weil Neutralität einzuhalten ist. Es steht zur Alternative: alles sammeln oder nur das, was noch nicht repräsentiert ist. 'Was sammeln wir nicht?', ist nicht gut möglich. Ausstellungen werden an Themen orientiert, nicht direkt an dem, was alles im Einzelnen aufgehoben wurde.
Eine Umbruchssituation ist eingetreten, weil die Erste Generation schwindet; sie hat weniger weggeworfen, Papiere galten noch als wichtiger; 'nichts wegschmeißen' war selbstverständlich. Die Kinder können nicht mehr so viel mit den Bündeln anfangen.
Herr Spaleks Originalität
Die Lieblingsszene im Films war für Cilly Kugelmann die mit dem Telefonanruf, der auf den Anrufbeantworter ging, als eine Eigentümerin Herrn Spalek rigoros befahl: 'besuchen sie mich nie wieder', 'rufen sie mich nie wieder an!'. Die Geberinnen und Geber prägt eine Ambivalenz. Übergabe beschlossen, aber dann wieder zurückgenommen; Überschätzung des Vorhandenen, aber auch Unterschätzung; ein historischer Wert erscheint nicht immer als so offensichtlich. Ein natürliches Ende rückt immer näher. Die Bestände gehen auf Geschwister über, diese einigen sich nicht mehr so leicht; es bleiben nur noch wenige Jahre.
Der Sammler wird einer kuriosen Gruppe zugerechnet. Herr Spalek wird aus dem Publikum kritisiert: er habe im Umgang mit den Abgebenden wenig Fingerspitzengefühl; er wirke einzelgängerisch, nicht so selbstreflektiert und wenig diplomatisch. Ein Einwand bedenkt: er war schon 81 Jahre alt, er 'hat mit ungefähr Gleichaltrigen zu tun, ist ungeduldig, dass jemand bald sterben kann; will möglichst vor dem Tod über die Bühne bringen'. Er ist 'ein Reisender mit fremden Koffern', 'hat keinen Auftrag, arbeitet alleine, ist vielleicht nicht immer geschickt'. Er ist Teil einer Peergroup. Er hat ein eigenes Schicksal. Seit 40 Jahren tut er, bleibt dran, wird auch älter und vergesslicher. Jüngere wären gelassener, ehrfürchtiger, brächten wohl mehr Distanz auf. Aber die Spender seien nun mal auch hochgradig ambivalent.
Herr Spalek hat als Professor Exilforschung gemacht. Zum Sammler und Transporteur für die Nachwelt ist er erst geworden, als er emeritiert war (um das Jahr 1993).
Cilly Kugelmann widmet sich gern den Objekten, z.B. einem frühen Spielzeug aus Palästina - wie vorgekommen - Dingen von eigenem Reiz; auch mit Traktoren, Hühnern und Schafen, die mit dazugehörten ('das müssen wir unbedingt haben' – fürs Museum). Etwas Interesselosigkeit gezeigt, fördert, etwas doch noch zu bekommen. Leihgaben sind üblich.
Ein Museum hat es mit dem Abschneiden eines Privaten von den Betroffenen zu tun, Angelegenheiten werden öffentlich. Das kann zum Zögern führen; 'es wird in die Länge gezogen'.
Im Unterschied zu Herrn Spalek geht das Museum nicht subjektiv vor. Er führte nur allgemeine Interviews. Für das Museum geht es um die 'Koredaktion', als ein Drittes. Spaleks Vorarbeit wird in die wissenschaftliche Arbeit des Museums überführt. Nüchterner, genauer geht esdem Museum um die Bedeutung, die ein Objekt hat, Dinge bekommen 'Relevanz', nach der subjektiven 'Valerisierung'. Spalek war daran interessiert, 'nach Wissenschaftlern, Musikern, Malern, nach den Werken anhand der Korrespondenz zu rekonstruieren'. Das Museum 'braucht genaue Bezüge, zu jedem Objekt'.
Von besonderer Bedeutung sind die pädagogischen Tage, an denen Stifter SchülerInnen einer heutigen Schulgeneration etwas erklären und nachvollziehbar machen. So geschieht eine Weiterentwicklung der Zeitzeugenschaft.
Der Regisseur Gregor Eppinger gibt an: Herr Spalek ist Verhandler, Mittler. Die Entscheidung bedeutete für ihn die Verfolgung der Schnittstellen zur Nachvollziehbarkeit der Dokumente. Nach zähem Verhandeln kam das Archiv doch noch oft zum Zug.
Biographisch ist bekannt: 'Er ist 1948/1949 aus Polen in die USA gegangen, hat als Tischler gearbeitet ('vom Tischler zum Professor', eine typisch amerikanische Entwicklung); 'hat sich langsam hochgearbeitet, hat seit 1960 auf Einladung eines schwedischen Forschers dann seine Arbeit begonnen'. Warum er aus Warschau in die USA weggegangen war? - 'Er war sehr bedeckt, wollte nicht anreißen'.- Es lag offensichtlich in der Familiengeschichte. 'Er hat den Weg seines Vaters nachvollzogen', soviel weiß man.
Zwischen dem Jüdischen Museum Berlin und dem Leo Baeck-Museum in den USA besteht Kooperation. Inzwischen 'ist es so, dass mehr Leute ihre Dinge nach Deutschland schicken wollen und nicht mehr in die USA'. 'Da hat sich ein Wandel ergeben'. 'Wohin das Konvolut geht, ist für viele ausschlaggebend'.
Funktionen des Museums
C. K.: Das Museum archiviert, inventarisiert, konserviert, bewahrt auf und macht öffentlich zugänglich. 'Andere in der Welt wenden sich an die Institution und fragen an'. Es wird eine Kopie oder das Original ausgeliehen. Öffentliche Institution heißt auch: an der Öffentlichkeit sein (nach den allgemeinen Regeln der Archive). Über die Digitalisierung ist das nun auch möglich ('online am Schreibtisch'). Archive tauschen sich aus. Es kommen viele Anfragen.
'Jedes Objekt, das kommt, ist nicht nur Geschenk, es ist auch sehr teuer'. Daher ist auch die Überlegung, ob übernehmen? - Ja, auf jeden Fall: wenn auch: 'gezielt von Interesse'. Jedes Objekt bringt Kosten von erheblichem Umfang, was seine museale Bewahrung angeht.
'Der Film hat gezeigt, dass es ein Kernstück der Arbeit von jüdischen Museen in Deutschland ist, entweder von Lokal- oder Nationalgeschichte - der Schatz, den wir haben und insofern erfüllen wir auch die Widmung, die uns diese Gesellschaft aufgetragen hat und die illustriert ist anhand der originellen Geschichte im Film'.
Info:
Filmvorführung: 'Die Koffer des Herrn Spalek', Mal Seh`n Kino, Sonntag 22. Febr. 2015, in Kooperation mit dem Familie Frank Zentrum und dem Jüdischen Museum, Frankfurt. Im Anschluss: Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin, kommentierte den Film.
Weltexpresso hatte schon einmal über diesen bemerkenswerten Film berichtet, der 2013 im Rahmen des Lichter Filmfestes gezeigt wurde:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/1557-die-koffer-des-herrn-spalek