8. LICHTER Filmfest Frankfurt International vom 17. bis 22. März, Teil 16
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main – Heute ist ja FRITZ BAUER TAG in Frankfurt. Es werden der Dokumentarfilm von Ilona Ziok FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN um 13 Uhr und der erste Spielfilm über Fritz Bauer um 15.30 Uhr im Rahmen des Lichter Filmfestes im Cantatesaal aufgeführt. Wir sprachen mit Lelle Franz, die Fritz Bauer noch gekannt hat, über ihre Einschätzung des Spielfilms IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS.
Claudia Schulmerich: Wie hat Ihnen der Film gefallen?
Lelle Franz: Unterm Strich gibt es ein paar Szenen, die mir gefallen haben, die mich auch berührt haben, wenn es um die Schicksale der Zeugen geht, die noch aussagen konnten, aber ansonsten fand ich den Film schlecht.
Warum?
Weil er nur mit Versatzstücken arbeitet. Die Atmosphäre Ende der Fünfziger Jahre kommt nicht zum Tragen.
Aber darum bemüht sich der Film doch ganz besonders?
Ja, er bemüht sich darum, aber mit absurden Klischees. Der Hauptdarsteller Alexander Fehling, den ich schon in anderen Rollen gesehen habe und da ist er richtig gut, der wird in diesem Film mühsam auf die Fünfziger/Sechziger Jahre getrimmt. Er stakst hier hilflos durch die Gegend.
Und Gert Voss als Fritz Bauer?
Das ist eigentlich die noch größere Fehlbesetzung, Fehlstelle. Denn der junge Schauspieler, Alexander Fehling, der die komprimierte Staatsanwaltsfigur darstellt, der ist ja gar keine echte Figur, er ist, wenn ich das richtig einschätze, ein bißchen an den Kügler angelehnt, auch vom Typ her, aber ansonsten eine Kunstfigur. Aber Gert Voss soll ja Fritz Bauer sein. Voß deutet ihn als zurückhaltenden intellektuellen Grandseigneur, der kaum Einfluss nimmt, nur hin und wieder mal eine Meinung äußert. Der Zuschauer erfährt nicht, welche Bedeutung Fritz Bauer für die Ermittlungen im Auschwitz-Verfahren hatte.
Und wie war Fritz Bauer?
Fritz Bauer war auf jeden Fall ganz anders als Voss ihn darstellt, aber wie! Fritz Bauer war ständig in Bewegung, ein wuseliger Typ, der ein Konzept zu allem hatte und dies fast dozierend immer weitergab, aber er war mit Sicherheit überhaupt kein väterlicher, überlegener Typ. Im Gegenteil. Er war ein Mensch, der seiner Obsession nachjagte. Er wollte diese Prozesse durchziehen und vor allen Dingen, er wollte ja noch weitergehen, er wollte ja diesen großen Euthanasieprozeß gegen die Nazijuristen führen.
Woher wissen Sie das, auch wie Fritz Bauer war?
Mein verstorbener Mann ist 1960 Richter geworden, er war damals der jüngste Richter am Landgericht Frankfurt am Main und hatte etwas mit den Vorermittlungen zu tun. Der Hintergrund dieser Mitarbeit war, daß die Staatsanwaltschaft, also Fritz Bauer, die Anklageschrift fertig hatte, wie es in der Prozeßordnung vorgeschrieben ist, den Antrag auf richterliche Vorermittlungen gestellt hat. Bevor überhaupt ein Prozeß festgesetzt wird, findet die richterliche Vorermittlung statt und an der dürfen nur Richter beteiligt sein. Da hat die Staatsanwaltschaft dann gar nichts mehr mit zu tun. Mit anderen Worten: die Richter prüfen, ob die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft sie davon überzeugt, daß sie sagen, jawohl, dieser Prozeß muß stattfinden mit genau diesen Anklagepunkten. Und damit hatte mein Mann zu tun. Da war er zweimal in Israel und hat dort Zeugen befragt, KZ-Überlebende, die sich geweigert hatten, nach Deutschland zu kommen. Da gab es sehr viele und auch einige Juden im Osten, die haben sich durch die Bank weg geweigert, nach Deutschland zu kommen. So weit ich mich erinnere, war im ersten Prozeß überhaupt kein Zeuge aus Israel. Die Israelis hatten eine andere Haltung als Polen, Russen, Ungarn, die wollten deutschen Boden damals nicht mehr betreten.
Hat sich Fritz Bauer von 1963 bis zu seinem plötzlichen Tod 1968 verändert? Und wenn ja, wie?
Er war enttäuscht, resigniert, er hat unverbrüchlich daran geglaubt, daß man Menschen verändern kann, daß man sie aufklären kann, daß man ihnen etwas nahebringen kann, so daß sie erschrocken innehalten wie in einer kathartischen Situation: da ist Schreckliches passiert, das darf nie wieder vorkommen. Das war manchmal sogar Thema in unseren privaten Gesprächen, daß ich ihm vorgehalten habe, daß die Menschen ganz anders sind, auch die Jugend, auf die er baute. Ich weiß noch, wie wir uns mal gestritten hatten um dieses Milgram-Experiment, wo ich gesagt habe: So sind die Menschen, lesen Sie doch mal Adorno, über die autoritären Charakterstrukturen...Das wollte er nicht wissen, er wollte nur glauben, daß es möglich ist, jemand zu belehren und zur Umkehr zu bringen. Wie auch immer. Aber diesen Glauben hat er immer mehr verloren. Den hat er verloren, wegen der öffentlichen Reaktion auf die NS-Prozesse. Der erste Auschwitz-Prozeß wurde wie ein Highlight hochgepuscht, überall stand etwas darüber in den Tageszeitungen, aber schon beim zweiten Prozeß, der meiner Meinung nach der interessantere war, da hat kein Hahn danach gekräht. Da wurden keine Tonbandaufzeichnungen gemacht, das war in der Presse kaum existent, sondern unwichtig, was dort ablief. Und das ist leider heute noch so.
Sie waren in dieser Zeit, die in IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS dargestellt wird, so jung, wie die Leute im Film. Entspricht der Film mit den Partys und alledem dem Lebensgefühl, das Sie damals hatten?
Lautes Lachen. Das ist auch eine Absurdität, was da gezeigt wird. In dieser Zeit hörte man AFN, wenn man kein Jazzfan war, man tanzte immer noch Boogie Woogie, aber das, was da an Partyszenen gezeigt wird, das ist so eine Art Discoverschnitt in 60er Jahre-Kostümierung. Das ist albern.Man nannte das damals nicht Party, sondern hat Feste gefeiert, da wurde viel diskutiert, man wollte einfach auch ein bißchen anders sein als die Eltern. Damals war die Diskrepanz zwischen jung und alt noch sehr groß, die meisten hatten Eltern, die durch die Nazizeit geprägt waren.
Sahen die jungen Mädchen so aus wie im Film, haben die sich um Mode gekümmert?
Erneut sehr lautes Lachen. Also, es gibt da eine Szene im Film, an die ich mich besonders erinnere, in der sich die Freundin des jungen Staatsanwalts zum ersten Mal auszieht. Wie eine Karikatur aus dem Simplicissimus steht sie da in einer Unterwäsche, die keine Frau damals angezogen hätte. Diese korsettähnliche Verschnürung um die Brust, die sie im Film trägt, an so etwas kann ich mich überhaupt nicht erinnern, geschweige denn, daß ich so etwas je besessen hätte und ich war Anfang der 60er Jahre noch nicht einmal Dreißig.
Und das Büro Fritz Bauers?
Das sieht im Film ganz anders aus, so verwaschen, selbst die Le-Corbusier-Tapete und die Möbel sind eine Mischung aus Sperrmüll und Ikea. Fritz Bauers echtes Zimmer im Gericht, dieses Eckzimmer, wo man – mein Mann und ich, wir nannten es immer den Thronsaal - so ein paar Stufen hoch ging und da war dann eine große Flügeltüre und dann kam man in dieses riesige Zimmer, das ganz modern und trotzdem sehr charaktervoll eingerichtet war mit einem riesigen Schreibtisch. Dieses Zimmer hatte eine beeindruckende Atmosphäre, es war das Büro eines Mannes, der eine Bedeutung hat, das hat man gespürt. Fritz Bauer saß hinter einem großen Schreibtisch, das war für ihn auch sehr wichtig, diese Theke zwischen sich und den anderen...
Im Film trinkt er ja oft Alkohol mit den Besuchern am kleinen Tischchen.
Das habe ich nie erlebt. Ich habe Fritz Bauer immer nur hinter seinem Schreibtisch erlebt, er kam nur zum Verabschieden dahinter hervor. Ich erinnere mich, daß andere das auch erwähnt haben.
Und wenn er sein Zimmer verließ, der berühmte Satz vom feindlichen Ausland?
Dieser Spruch, „Wenn ich mein Zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland“, den hat er sehr gerne gebracht, ich habe ihn bestimmt vier, fünf, sechs Mal von ihm gehört. Er hatte eine Vorliebe für solche Floskeln, über die man lachen konnte, da war er manchmal wie ein Pennäler; er hatte das Gerichtsgebäude und die Kollegen gemeint. Niemanden sonst. Er hat nicht die Gesellschaft gemeint oder irgendwelche Menschen, die ihn draußen angefeindet haben. Er hat zwar böse Briefe bekommen, ganz furchtbare Briefe, darüber hat er gerne geredet und die hat er gerne gezeigt.
Das wird ja im Film auch dargestellt...
Ja, ja, aber diese Briefe waren ihm eher anekdotisch wichtig. Er hatte keine Angst. Er war ja ein Mensch, der von dem, was er tat, sehr überzeugt war, und das in einem Gericht, dessen Belegschaft ihm feindlich gesinnt war. Aus bestimmten Situationen, wie dem Mittagessen in der Kantine, hat er sich herausgehalten. Mit solchen Formen von Geselligkeit und Austausch konnte er nichts anfangen.
Was war mit den Nazis im Gericht, seinem Stellvertreter, der in der NSDAP war?
Der erwähnte Spruch bezog sich auf alle seine Kollegen Fritz Bauer war ein Fremdkörper. Sie haben ihn abgelehnt wegen seiner Arbeitswut und der Verbissenheit, mit der er das, was er wollte, durchgesetzt hat, Zugleich bewunderte man seinen Mut, der ihn trotz vieler Rückschläge nicht verließ.