8. LICHTER Filmfest Frankfurt International vom 17. bis 22. März, Donnerstag, Teil 15
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß es Leute gibt, die ihren Urlaub zum LICHTER FILMFEST nehmen, können wir gut verstehen. Wie schön muß das sein, sich dauernd Filme reinziehen zu können, ohne darüber schreiben zu müssen. Obwohl, wir wollen ja auch, denn es bringt einem selbst etwas, seine Gedanken und Gefühle formulieren zu müssen. Man sieht gewissermaßen die Filme zweimal.
Heute also das Filmmuseum. Denn neben dem Cantatesaal als eigentlichem Festivalzentrum gibt es die EKINOS, das MAL, SEH'N, den LEDERPALAST in Offenbach, - wohin wir leider nicht kamen und hoffen, daß der Film VERLIEBT, VERLOBT, VERLOREN von der tollen Sung-Hyung Cho demnächst in die Kinos kommt, wozu immer vorherige Pressevorführungen gehören. Die Regisseurin hatte mit FULL METAL VILLAGE auch unser Aufsehen erregt. - , das CALIGARI in Wiesbaden, die ASTOR FILM LOUNGE und auch das Filmmuseum, wo LICHTER FILME laufen.
TRISTIA- Eine Schwarzmeer-Odyssee
Der Film heißt nach den KLAGELIEDERN des OVID, als Publius Ovidius Naso von Kaiser Augustus nach Tomis, dem heutigen Constanta in Rumänien am Schwarzen Meer verbannt wurde, wo er 17 n. Chr. Starb. OVID ist so etwas wie ein Roter Faden, der den Dokumentarfilm durchzieht, dessen Star gleichwohl das Wasser ist, was im Film umrundet wird: das Schwarze Meer.
Mit diesem Schwarzen Meer zeigt uns einmal ein Dokumentarfilm _ Hessenpremiere - die in seinen Gefilden lebenden Menschen, ohne irgendeine Zahl zu nennen, weder Einwohner, noch Klima, noch Geschichte, noch sonst etwas, was ablenken könnte von dem Ziel, uns diese bunten Völkchen miterleben zu lassen. Insgeheim ist es wohl das Ziel des Filmemachers, der keine einzige Grenze zeigt, damit auch aufzuweisen, wie ähnlich sich die Menschen an den Schwarzmeerküsten sind, die durch die Kriege der jüngsten Zeit gebeutelt sind, wobei es nicht nur um den jüngsten Konflikt – die Krim ist Hauptinsel des Schwarzen Meeres – geht, viel mehr noch der Krieg und die ewig währende Feindschaft zwischen Georgiern und Abchasiern. Letztere bilden heute einen autonomen Staat, der von Rußland anerkannt ist, weshalb sie überleben, obwohl Georgien es als georgisches Staatsgebiet ansieht, was d'accord mit dem Völkerrecht geht.
Aber um Recht geht es gar nicht in diesem Straßenfilm, der mit einem halb kaputten Auto beginnt und den vielen hilfreichen Gesten der jeweiligen Bevölkerung, die im übrigen überhaupt nicht geknechtet, sondern kreuzfidel vor die Kamera treten. Das bringt Stanislaw Mucha zuwege, ein Pole in Deutschland, wobei man mal offen dazu sagen muß, daß in Polen die guten Regisseure nur so aus dem Boden schießen. Wie es ihm gelingt, die aberwitzigsten Situationen zu filmen und die so unterschiedlichen Menschen doch auf die gleich Weise vor die Kamera zu bringen: witzig, orientiert, offen und fordernd, das hat was. Heraus kommt ein Potpourri an Menschsein, das sich gewaschen hat und das man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hoffentlich bald wiedersieht. Schon deshalb, weil keiner vom LICHTER FILMFESTIVAL da war, um Karten für den Publikumspreis auszuteilen und angestrichen entgegenzunehmen, denn dieser Film ist Teil des Programms Langfilmspielfilme regional.
Das anschließende Publikumsgespräch war aufschlußreich und erklärte, weshalb dem kleinen Filmteam die Aus- und Einreise problemlos gelangen und die Drehgenehmigungen erreicht wurden: fünfstellige Bestechungssummen waren bei dem Trip mit dabei. Die wirkten.
GREED
Großes Kino gab es dann unter Flügelbegleitung durch Maud Nelissen mit GREED, einem Stummfilm von 1924, den Erich von Strohheim in Amerika gedreht hatte: mit einem typisch amerikanischen Thema, das heute unser aller Thema ist: die Gier nach Gold. Der 129 Minuten lange Film in Schwarzweiß, zeigt sozusagen, was Geldgier aus den Menschen machen kann, wenn sie dieser Sucht verfallen, von der schon Sigmund Freud die Grundlagen nannte.
Stroheim verfilmt einen amerikanischen Klassiker, McTeague, einen Roman von Frank Norris, der am Anfang zum Staunen und am Schluß zum Weinen ist, denn er zeigt chancenloses Leben. Da ist einmal der gute Junge, der ohne weitere Ausbildung ein braver Zahnarzt wird. Da ist ein andermal die sanfte Jungfrau, schön von Gesicht und diesem Zahnarzt, der sie sieht und begehrt, gewogen. Es darf sogar ordentlich geheiratet werden. Aber dann passiert etwas mit der Frau. Wir erleben diesen Moment genau mit. Sie hält ein Goldstück in der Hand. Die ganze Welt spiegelt sich darin und dies ist der Anfang vom Ende, der Anfang vom Unglück, das jeden mitreißt, der mit ihr zu tun hat.
Daß das Gold noch dann in der Sonne glänzt, wenn Mensch und Tier die Wüste nicht überlebt haben, ist auch so eine schreckliche Erkenntnis, zu der der Film führt. Menschen vergehen, Gold bleibt bestehen. Es habe Stroheim das Gold in der Schwarzweißfassung von Hand einmalen lassen, heißt es. Und lange vor Auschwitz und den ob des Goldes herausgerissenen Zähnen der Ermordeten, sehen wir hier Gold im Munde glänzen. Das konnte Strohheim noch nicht ahnen und geht uns hier unter die Haut.
Foto: aus TRISTIA. Hier sehen Sie eine der vielen Denkmäler des Ovid von hinten, wie er sinnig aufs Meer schaut. Die vielen abblätternden Leninstatuen sind ebenfalls äußerst beeindruckend.