8. LICHTER Filmfest Frankfurt International vom 17. bis 22. März, Freitag, Teil 16
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer einen seiner Filme gesehen habe, fragte der österreichische Schauspieler und Regisseur Peter Kern in den kleinen Saal EDEN der EKINOS hinein, wo gerade sein neuester Film Rhein-Main-Premiere hatte. Zwei meldeten sich. Wir sind sicher, daß nach diesem Film sehr viele zu Sondervorführungen der Kernfilme eilen täten, denn das Publikum war höchst enthusiasmiert.
Kein Wunder. Denn es ging in die Vollen, gab Absurdes, Häßliches, Schönes zu sehen, wobei einen die Hauptdarstellerin Amira Casar Staunen machte ob ihrer Unmittelbarkeit auf der Leinwand, die man nicht dadurch erklären kann, daß man ihr in der ersten Reihe sozusagen auf dem Schoß saß. Um Schoß geht es aber gleich zu Beginn. Leider haben wir zu wenig Erfahrung, sind ja nicht mal in die Verfilmung von Shades of Grey mit den, wie es heißt, sterbenslangweiligen Sado-Maso-Szenen gegangen. Von Langeweile kann hier keine Rede sein, wenn wir eine erstmal Unbekannte im schicken Lederdreß mit Maske auf dem Boden sich winden sehen, während eine so richtig weanerische Nullachtfunkzehnfrau auf Stöckeln und halb ausgezogen, ihr mit der Peitsche Lust zu verschaffen versucht. Erstmalig sehen wir so auch diese Apparatur, mit Hilfe deren durch die Hure deren Urin in die zarte Kehle der Liegenden – der Sexkundin - eingetrichtert wird. Na so was, das hatten wir uns immer derber vorgestellt, nicht so klinisch, mehr so natürlich darübergepinkelt. Wieder was dazugelernt.
Dazu gibt uns Peter Kern noch so manches. Zum Dazulernen nämlich. Und das meinen wir nicht süffisant. Sondern ernst. Ob irgendjemand außerhalb Wiens, außerhalb Österreichs diesen Film versteht, das haben wir uns auch gefragt, denn er ist so weanerisch, so österreichisch, wie es nur geht. Aber fangen wir endlich an mit der durch die französische Schauspielerin so knallhart dargestellte Hanna von Stezewitz. Aha, denken wir uns erst einmal. Eine Adlige in Wien? Die offen das 'von' trägt und nicht hinter vorgehaltener Hand. Das muß ein ausländischer Adel sein und Stezewitz klingt ja auch schon so preußisch. Hatten wir da was verpaßt im Film? Nicht so wichtig, denn damit ist das Thema des Films angeschnitten. Was verboten ist, das macht uns richtig scharf, sang Wolf Biermann einst. Ob es das österreichische Verbot ist, den gewesenen Adel durch 'von' zu tragen oder das angeblich gute Benehmen, das man goutieren soll, was aber in Wahrheit aus Unterwürfigkeit, Anpassung, Dazugehörenwollen, Sichnichtdanebenbenehmen dürfen und anderen Spielarten besteht.
Es stimmt, es ist wenig so widerlich im Leben wie die Scheinheiligkeit der Oberen Zehntausend in Wien, wobei man gleich in die Hunderttausende gehen darf. Auch da fällt einem sofort etwas ein: Was dem Hamburger seine Zimmermannstracht, ist dem Österreicher seine Niedertracht, wußte einst André Heller. Wir sind übrigens schon lange im Film, denn nach den aufreizenden Szenen, die schon eine Konfliktebene von Kindesmißbrauch, Mädchenmißbrauch – die Tochter der Hure, die sie bei der Arbeit im Luxusbordell in der Nähe hat – andeutet, erleben wir die Tagesseite dieser Hanna als Konzernchefin. Skrupellos ist sie überall, Herrin des Geschehens, die sich – so also die Botschaft, zumindest sexuell unterlegen fühlen muß, weil sie sonst immer die Hosen anhat? Mitnichten. So einfach macht es sich und uns Peter Kern nicht. Denn auch beim Untenliegen bleibt Hanna obenauf. Und macht immer eine gute Figur.
Sie kujoniert jeden. Angefangen morgens mit ihrem Butler, dem guten Stück an ihrer Seite, den Winfried Glatzeder, der nicht nur durch den Paul in PAUL UND PAULA bekannt ist, lässig, fahrlässig, bemüht und durchtrieben gleichermaßen gibt. Er organisiert ihr Leben und räumt die Scherben beiseite, ob sie nun bei der Vorstellung der neuen Firmendevise LUST AM LEBEN danebentritt oder mal so nebenbei eine Praktikantin mißbraucht - war das nicht ein bißchen anders, daß die Mutter ihre Tochter der Chefin andiente? Dann aber die Folgen nicht aushält, sich dann aber mit viel Geld abfinden läßt.
Ach was, wir wollen gar nicht die ganze Geschichte erzählen, die den Nazi-Großvater ins Bild bringt und dann ins Grab, wobei bei dessen Tod die feine Enkelin ihre Finger drinnen hat, was die Krankenschwester ahnt, die Nonne, die die heißeste Nummer hinlegen wird, wenn sie unter den Fingern, schon wieder die Finger der Hanna und schon wieder wo drinnen, zur Liebesglut gebracht wird. Man weiß nie, worüber man sich mehr erheitert, ob der sagenhaften Bilder: allein eine Nonne in ihrer Berufstracht beim Küssen und versuchten Kopulieren, so es geht, mit Madame Chefin oder ob der tiefen Wahrheit, die dahinter verborgen ist.
Die Welt ist nicht nur Schein in Österreich, diese Welt ist auch schlecht. Geld regiert sie und dem Goldenen Kalb laufen alle hinterher, das hier in Gestalt der Hanna auftritt. Sie ist das absolut Böse, so daß wir Zeuge werden, wie eigentlich alle den Widerwärtigkeiten zusehen, bis der Krug solange zum Brunnen geht, bis er bricht. Doch da gibt es einen, der die Moral wieder herstellt und für das böse Ende der Hanna sorgt. Nicht aus Moral, sondern zum eigenen Nutzen. Aber wie und wo und was dieses äußerst raffinierte Ding gedreht wird, das schauen Sie selber in diesem Spektakel der Finanzmafia von Wien, die durch ihre Verbrüderung mit der Kultur - na ja, die darf in der Regel eine Frau verkörpern - sich noch einen gebildeten und kunstvollen Touch gibt. Eine bitterböse Satire und ein herrlicher sinnlicher Spaß mit einer tollen Amira Casar. Ja, auch die anderen sind gut, aber sie trägt den Film, so wie sie die Lederkluft und die irrsten Kostüme von Chanel lässig im Bankengeschäft am Leib trägt.
Das Auge sieht in jedem Film mit, selten aber mit solchem sinnlichen Vergnügen an Farben und Formen. Wir wünschen uns eine Peter Kern Woche im Filmmuseum!!
P.S. Toll, als wir das Hellerzitat noch mal im Wortlaut überprüfen wollten - daß es sinngenau war, wußten wir genau - fanden wir unter 'google' nichts anderes, als unsere Erwähnung des Zitats in unserer Filmwerkschau von Helmut Qualtinger bei Hoanzl. Gute Gesellschaft, die Peter Kern hoffentlich goutieren wird. Uns als piefkinesische Rezensentin hat gefreut, daß auch die Wortfolge stimmte. So sind sie die Deutschen, ordentlich und genau. Könnte es einen solchen Film über Berlin geben? Irgendwie nicht, oder?
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/103-der-mann-mit-den-2451-gesichtern